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»Man sagt ja, die Stedding seien ein sicherer Hort für jedermann«, sagte Rand. Er beobachtete Loial. »Jedenfalls wird das in den Geschichten so erzählt.« Er schluckte noch einen letzten Brocken Quark hinunter und ging zu dem Ogier hinüber. Mat folgte ihm mit einem Krug in der Hand. »Was ist los, Loial?« fragte Rand. »Du bist so nervös wie eine Katze im Hundezwinger, seit wir hier ankamen.«

»Es ist nicht wichtig«, meinte Loial und beäugte mißtrauisch die Tür.

»Fürchtest du, sie könnten herausbekommen, daß du das Stedding Schangtai ohne offizielle Erlaubnis der Ältesten verlassen hast?«

Loial blickte sich ängstlich um. Die Haarbüschel auf seinen Ohren vibrierten. »Sag so was nicht«, zischte er. »Nicht hier, wo jemand zuhören könnte. Wenn sie das herausfinden...« Mit einem schweren Seufzer sackte er in sich zusammen und sah erst Rand und dann Mat an. »Ich weiß nicht, wie das bei euch Menschen ist, aber bei uns Ogiern... Wenn ein Mädchen einen Jungen sieht, der ihr gefällt, geht sie zu ihrer Mutter. Manchmal sieht auch die Mutter jemanden, den sie für geeignet hält. Auf jeden Falclass="underline" Sollten sie sich einig sein, dann geht die Mutter zu der Mutter des Jungen, und bevor sich der Bursche umsehen kann, ist bereits seine Hochzeit arrangiert.«

»Hat der Junge dabei gar nichts zu melden?« fragte Mat ungläubig.

»Nichts. Die Frauen behaupten immer, wenn man es uns überließe, würden wir vermutlich die Bäume heiraten.« Loial rutschte auf seinem Stuhl hin und her und verzog das Gesicht dabei. »Die Hälfte unserer Hochzeiten finden zwischen Mitgliedern verschiedener Stedding statt. Gruppen junger Ogier besuchen ein Stedding nach dem anderen, um die Mädchen zu sehen und um gesehen zu werden. Wenn sie herausbekommen, daß ich mich ohne Erlaubnis draußen befinde, werden die Ältesten wahrscheinlich beschließen, daß ich eine Frau brauche, um zur Ruhe zu kommen. Bevor ich mich umdrehen kann, schicken sie dann eine Botschaft zum Stedding Schangtai an meine Mutter, und die kommt her und sorgt dafür, daß ich verheiratet bin, bevor sie sich noch den Reisestaub abwäscht. Sie hat schon immer gesagt, ich sei zu vorschnell und brauche eine Frau. Ich glaube, sie hat Ausschau gehalten, als ich mich verzog. Welche Frau sie auch für mich auswählt... na ja, überhaupt jede Frau wird mich anbinden, damit ich nicht mehr nach draußen gehe, bevor mein Bart grau ist. Ehefrauen meinen immer, man solle keinen Mann nach draußen lassen, bevor er nicht reif genug ist, sein Temperament zu zügeln.«

Mat lachte so schallend los, daß alle ihn anschauten, aber auf Loials verzweifeltes Gestikulieren hin sagte er leise: »Bei uns wählen die Männer selbst aus, und keine Frau kann einen Mann davon abhalten zu tun, was er tun will.«

Rand runzelte die Stirn. Er erinnerte sich daran, wie ihm Egwene immer gefolgt war, als sie beide noch klein waren. Als sie das bemerkte, hatte Frau al'Vere besonderes Interesse für ihn entwickelt und die anderen Jungen nicht mehr so beachtet. Später dann tanzten bei Festen einige Mädchen mit ihm und andere nicht. Eigenartig daran war nur, daß Egwenes Freundinnen mit ihm tanzten, doch die Mädchen, die sie nicht leiden konnte, wollten nicht. Er erinnerte sich auch schwach daran, wie Frau al'Vere Tam auf die Seite gezogen und mit ihm gesprochen hatte — Und sie nörgelte darüber, daß Tam keine Frau hatte, an die sie sich wenden könne! —, und danach hatten Tam und alle anderen so getan, als seien er und Egwene einander versprochen, obwohl sie ja nicht vor dem Frauenzirkel gekniet und die entsprechenden Worte gesagt hatten. Er hatte die Dinge früher auch nie von dieser Warte aus betrachtet; zwischen ihm und Egwene war alles eigentlich ganz selbstverständlich abgelaufen. Es war eben so.

»Ich glaube, bei uns geschieht es auf die gleiche Weise«, knurrte er, und als Mat lachte, fügte er hinzu: »Erinnerst du dich an irgend etwas, was dein Vater getan hat, obwohl deine Mutter etwas dagegen hatte?« Mat öffnete grinsend den Mund, zog jedoch dann die Augenbrauen hoch und schloß ihn wieder.

Juin kam die Treppe von draußen herunter. »Würdet Ihr bitte alle mitkommen? Die Ältesten möchten Euch sehen.« Er sah Loial nicht direkt an, doch der ließ vor Schreck trotzdem beinahe sein Buch fallen.

»Falls die Ältesten versuchen, dich zum Bleiben zu zwingen«, sagte Rand, »werden wir sagen, daß wir dich unbedingt zum Weiterkommen brauchen.«

»Ich wette, es hat überhaupt nichts mit dir zu tun«, sagte Mat. »Ich schätze, sie wollen uns nur mitteilen, daß wir das Wegetor benützen können.« Er schüttelte sich, und seine Stimme wurde noch leiser: »Wir müssen doch, oder?« Es war nicht als Frage gemeint.

»Entweder bleiben und heiraten oder durch die Kurzen Wege reisen.« Loial verzog resignierend das Gesicht. »Wenn man Ta'veren zum Freund hat, ist das Leben ziemlich riskant.«

36

Der Altestenrat

Als sie in Juins Schlepptau durch die Ogierstadt schritten, bemerkte Rand, daß Loial immer nervöser wurde. Loials Ohren waren genauso steif wie sein Rücken. Er machte große Augen, sobald er nur sah, daß ihn ein anderer Ogier musterte. Besonders die Frauen und Mädchen schienen ihn nervös zu machen, und eine ganze Menge von denen nahm durchaus Notiz von ihm. Er wirkte, als schritte er zu seiner Hinrichtung.

Der bärtige Ogier deutete auf eine breite Treppe, die hinunter in eine grasbewachsene Erhebung führte. Sie war viel größer als alle anderen. Man konnte sie ohne weiteres als Hügel bezeichnen. Direkt dahinter stand einer der Großen Bäume.

»Warum wartest du nicht hier draußen, Loial?« fragte Rand. »Die Ältesten —« begann Juin.

»— wollen wahrscheinlich nur uns Menschen sehen«, beendete Rand den angefangenen Satz.

»Warum lassen sie ihn nicht in Ruhe?« warf Mat ein.

Loial nickte lebhaft. »Ja. Ja. Ich glaube... « Eine größere Gruppe von Ogierfrauen beobachtete ihn — von weißhaarigen Großmüttern bis zu Töchtern in Eriths Alter. Die ganze Gruppe unterhielt sich, aber ihre Blicke ruhten auf ihm. Seine Ohren zuckten. Er betrachtete die breite Tür, zu der die Stufen hinunterführten, und dann nickte er wieder. »Ja, ich werde mich hier draußen hinsetzen und lesen. Genau. Ich werde lesen.« Er griff in seine Manteltasche und zog ein Buch hervor. Er setzte sich auf den Abhang neben die Treppe, schlug das bei ihm zierlich wirkende Buch auf und begann, scheinbar konzentriert zu lesen. »Ich werde hier sitzen bleiben, bis ihr wieder herauskommt.« Seine Ohren zuckten wieder, als könne er die Blicke der Frauen fühlen.

Juin schüttelte den Kopf, doch dann zuckte er die Achseln und deutete nochmals auf die Treppe. »Bitte schön. Die Ältesten warten.«

Der enorm große, fensterlose Raum im Inneren des Hügels wies Ogiermaße auf. Die Decke mit ihren mächtigen Holzbalken befand sich wenigstens dreißig Spannen über dem Boden. Dieser Raum hätte — zumindest, was die Größe betraf — in jeden Palast gepaßt. Die sieben Ogier, die auf dem Podest direkt vor der Tür saßen, ließen ihn durch ihre eigene Größe etwas kleiner erscheinen, doch Rand hatte immer noch das Gefühl, er stünde in einer Höhle. Der dunkle Fußboden war aus glatt ausgetretenen, unregelmäßig geformten und verschieden großen Steinen zusammengesetzt. Die grauen Wände hätten ohne weiteres auch zu einer unbehauenen Felswand gehören können. Und die Deckenbalken, obwohl bearbeitet, sahen wie große Wurzelstöcke aus.

Verin saß auf einem Stuhl mit gerader, hoher Lehne vor dem Podest. Ansonsten waren die schweren, in Rankenform geschnitzten Stühle der Altesten die einzigen Möbelstücke. In der Mitte des Podestes thronte eine Ogierfrau auf einem etwas höheren Stuhl; zu ihrer Linken saßen drei bärtige Männer in langen, weiten Mänteln, und zu ihrer Rechten drei Frauen, die genauso gekleidet waren wie sie und deren Kleider ebenfalls vom Kragen bis zum Saum mit Ranken und Blumen bestickt waren. Die Gesichter aller waren alt, die Haare rein weiß bis zu den Büscheln auf den Ohren hin, und sie waren von einer Aura erhabener Würde umgeben.