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»Das ist gut, Ingtar. Also, Rand, Ihr seid in jüngerer Zeit als ich mit Hilfe eines Portalsteins gereist. Kommt.« Sie gab ihm einen Wink, und er führte den Braunen zu ihr hinüber an den Stein.

»Ihr habt bereits einen Portalstein benützt?« Er sah sich nach hinten um, ob sich jemand anders in Hörweite befand. »Dann verlangt Ihr also nicht von mir, daß ich es versuche.« Er zuckte erleichtert die Achseln.

Verin blickte ihn ausdruckslos an. »Ich habe noch nie einen Stein benützt — aufgrund solcher Hilfe seid Ihr also in jüngerer Zeit weiter gekommen als ich. Ich kenne die Grenzen meiner Fähigkeiten. Ich wäre tot, bevor ich die Macht auch nur in annäherndem Maße lenken könnte, um den Portalstein benützen zu können. Aber wenigstens weiß ich darüber Bescheid. Genug, um Euch ein bißchen behilflich zu sein.«

»Aber ich weiß doch überhaupt nichts!« Er führte sein Pferd um den Stein herum und betrachtete ihn von oben bis unten. »Das einzige, woran ich mich erinnere, ist das Zeichen für unsere Welt. Selene hat es mir gezeigt, aber hier kann ich es nicht finden.«

»Natürlich nicht. Nicht auf einem Stein in unserer Welt. Die Schriftzeichen sind Hilfen dazu, auf eine Welt zu gelangen.« Sie schüttelte den Kopf. »Was würde ich nicht darum geben, mit diesem Mädchen zu sprechen, von dem Ihr mir erzählt habt! Oder noch besser — ihr Buch in die Hände zu bekommen. Man glaubt allgemein, daß kein Exemplar von SPIEGEL DES RADS die Zerstörung heil überstanden habe. Serafelle sagt immer, daß es viel mehr verlorengeglaubte Bücher gebe, als wir jemals wiederfinden können. Na ja, es hat keinen Zweck, sich über etwas Gedanken zu machen, was wir nicht wissen. Ich weiß doch wenigstens ein paar Dinge. Die Zeichen auf der oberen Hälfte des Steins stehen für bestimmte Welten. Nicht für alle Welten des Möglichen natürlich. Offensichtlich ist nicht jeder Stein mit allen Welten verbunden, und die Aes Sedai im Zeitalter der Legenden glaubten sogar, es gebe mögliche Welten, die von keinem der Steine berührt werden. Könnt Ihr nichts entdecken, das in Euch eine Erinnerung auslöst?«

»Nichts.« Wenn er nur das richtige Zeichen fände, könnte er es benützen, um Fain und das Horn aufzuspüren, um Mat zu retten, um Fain davon abzuhalten, Emondsfeld zu schaden. Wenn er das Zeichen fand, mußte er Saidin wieder gebrauchen. Er wollte Mat retten und Fain aufhalten, doch er wollte ganz bestimmt Saidin nicht mehr berühren. Er fürchtete sich davor, wieder die Macht einzusetzen, und gleichzeitig gierte er danach wie ein Verhungernder nach Nahrung. »Ich kann mich einfach an nichts erinnern.«

Verin seufzte. »Die Zeichen auf dem unteren Teil stehen für Steine an anderen Orten. Wenn Ihr den Bogen heraushabt, könnt Ihr uns nicht nur zum gleichen Stein in einer anderen Welt bringen, sondern zu einem von diesen Steinen, ja vielleicht sogar direkt zu einem anderen Stein auf unserer eigenen Welt. Das ist so ähnlich wie beim Reisen durch die Kurzen Wege, glaube ich. Aber da niemand mehr weiß, wie man das anstellt... Ohne dieses Wissen könnten wir bei einem Versuch alle getötet werden.« Sie deutete auf zwei wellenartige, parallel verlaufende Linien weit unten auf dem Stein, die von einem eigenartigen Schnörkel geschnitten wurden. »Das steht für den Stein auf der Toman-Halbinsel. Das ist einer der drei Steine, deren Symbole ich kenne, und der einzige von ihnen, bei dem ich schon war. Und was ich bei dieser Gelegenheit herausfand — nachdem mich in den Verschleierten Bergen beinahe der Schnee noch erwischt hätte und ich auf der Ebene von Almoth fast erfroren wäre —, war absolut nichts. Spielt Ihr manchmal mit Würfeln oder Karten, Rand al'Thor?«

»Mat ist unser Spieler. Warum?«

»Ja. Na ja, den werden wir besser aus dem Spiel lassen, denke ich. Ich kenne dann auch noch diese anderen Symbole.«

Mit einem Finger fuhr sie die Umrisse eines Vierecks nach, innerhalb dessen acht sehr ähnliche Zeichen eingeritzt waren: alles Kreise und Pfeile, doch in der einen Hälfte befand sich der Pfeil in dem Kreis, während er ihn in der anderen Hälfte von außen her durchbohrte. Die Pfeile zeigten nach links, rechts, oben und unten, und jeder Kreis wurde von etwas umgeben, das Rand für Schriftzeichen hielt, wenn auch in keiner ihm bekannten Sprache. Das waren fließende Wellenlinien, die plötzlich in scharfe Zacken ausliefen, dann aber wieder wie vorher weiterflossen.

Verin fuhr fort: »Zumindest weiß ich folgendes: Jedes steht für eine Welt, deren Erforschung schließlich dazu führte, daß man die Kurzen Wege erschuf. Das sind nicht alle erforschten Welten, aber die einzigen, deren Symbole ich kenne. An dieser Stelle wird es zum Glücksspiel. Ich weiß nicht, wie es auf diesen Welten aussieht. Man glaubt allgemein, es gäbe darunter Welten, auf denen ein Jahr ablaufen kann, obwohl derweil bei uns nur ein Tag vergeht, aber auch andere, wo ein Tag bei uns ein Jahr bedeuten würde. Es gibt angeblich Welten mit giftiger Luft, auf denen ein Atemzug bereits den sicheren Tod für uns bedeuten würde, und Welten, die so weit von der Wirklichkeit entfernt sind, daß sie kaum noch zusammenhalten. Ich will erst gar nicht daran denken, was geschähe, fänden wir uns auf einer von denen wieder. Ihr müßt wählen. Wie mein Vater es ausgedrückt hätte: Es ist an der Zeit, die Würfel entscheiden zu lassen.«

Rand sah zu Boden und schüttelte den Kopf. »Ich könnte uns alle umbringen, wofür ich mich auch entscheide.«

»Wollt Ihr dieses Risiko nicht auf Euch nehmen? Für das Horn von Valere? Für Mat?«

»Warum seid Ihr denn so erpicht darauf? Ich weiß noch nicht einmal, ob ich es überhaupt schaffe. Es — es geht nicht jedesmal, wenn ich es versuche.« Er wußte, daß sich keiner der anderen ihnen genähert hatte, aber trotzdem sah er sich nun um. Alle standen im Kreis um den Stein herum und beobachteten sie, aber so weit entfernt, daß keiner ihre Worte verstehen konnte. »Manchmal ist Saidin einfach nur in der Nähe. Ich kann es fühlen, aber nicht berühren. Es könnte genausogut auf dem Mond sein, so weit ist jede Berührungsmöglichkeit entfernt.

Und auch wenn es gelingt — was geschieht, wenn ich uns auf eine Welt bringe, wo wir nicht atmen können? Was hat Mat dann davon? Oder das Horn?«

»Ihr seid der Wiedergeborene Drache«, sagte sie ruhig. »O ja, Ihr könnt auch sterben, aber ich glaube nicht, daß Euch das Muster sterben läßt, bevor Eure Aufgabe erfüllt ist. Aber natürlich liegt heutzutage das Große Muster unter dem Schatten, und wer weiß, wie dies das Weben beeinflußt? Ihr könnt eben nur Eurem Schicksal folgen.«

»Ich bin Rand al'Thor«, grollte er. »Ich bin nicht der Wiedergeborene Drache. Ich werde auch nicht zu einem falschen Drachen.«

»Ihr seid, was Ihr seid. Wählt Ihr nun oder bleibt Ihr hier stehen, bis Euer Freund stirbt?«

Rand merkte, daß er mit den Zähnen knirschte, und er zwang sich, seine Kiefer zu entspannen. Die Bildzeichen hätten auch alle gleich sein können — er verstand sie sowieso nicht. Die Schrift sah aus, als hätten hier Hühner gescharrt. Schließlich entschied er sich für ein Symbol mit einem nach links zeigenden Pfeil, der nach der TomanHalbinsel wies, und außerdem durchbrach der Pfeil den Kreis von innen her, als wolle er sich befreien, so wie er. Beinahe hätte er aufgelacht. Auf solche Kleinigkeiten verwettete er ihre Köpfe!

»Kommt näher!« befahl Verin den anderen. »Es ist am besten, wenn Ihr ganz nahe seid.« Sie gehorchten fast ohne zu zögern. »Es ist Zeit. Laßt uns beginnen«, sagte sie, nachdem sie sich zu ihnen gesellt hatten.

Sie warf ihren Umhang schwungvoll nach hinten und legte die Hände auf den Stein. Rand bemerkte, daß sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Er hörte nervöses Husten und Räuspern von den Männern, die den Stein umstanden. Uno fluchte über einen Mann, der weiter hinten stand, Mat riß einen schwächlichen Witz, und Loial schluckte vernehmlich. Er suchte das Nichts.