Es war mittlerweile so leicht. Die Flamme verschlang Angst und Leidenschaft und war schon weg, kaum daß er sie herbeigerufen hatte. Weg, nur noch Leere, und dahinter leuchtete Saidin, schwindelerregend, quälend, drehte ihm beinahe den Magen um, verführte ihn. Er... griff danach... und es erfüllte ihn, ließ ihn aufleben. Er zuckte mit keinem Muskel, doch er hatte das Gefühl, daß er unter dem Ansturm der Einen Macht erzitterte. Das Zeichen entstand vor ihm, ein Pfeil, der von innen her einen Kreis durchbohrte. Es schwebte gleich außerhalb des Nichts und schien genauso hart wie der Stoff, in den es eingemeißelt war. Er ließ die Eine Macht durch sich hindurch in das Zeichen strömen. Das Zeichen schimmerte, flackerte.
»Etwas geschieht«, sagte Verin. »Etwas... «
Die Welt flackerte.
Das eiserne Schloß rutschte über den Fußboden des Bauernhauses, und Rand ließ den heißen Teekessel fallen, als eine riesige Gestalt mit Hammelhörnern auf dem Kopf in der Tür aufragte. Dahinter lag nur die Dunkelheit der Winternacht.
»Renn!« schrie Tam. Sein Schwert blitzte, und der Trolloc stürzte zu Boden. Doch im Fallen noch packte er Tam und riß ihn mit sich.
Weitere drängten sich an der Tür — in schwarze Rüstungen gehüllte Gestalten mit menschlichen Gesichtern, die durch Schnauzen und Schnäbel und Hörner entstellt wurden. Gekrümmte Schwerter hieben auf Tam ein, der sich bemühte, wieder auf die Beine zu kommen. Dornenäxte wurden geschwungen. An den Stahlschneiden leuchtete rotes Blut.
»Vater!« schrie Rand. Er riß sein Messer aus der Scheide und warf sich über den Tisch hinweg, um seinem Vater zu helfen, und dann schrie er noch einmal auf, denn das erste Schwert durchbohrte seine Brust.
Blut wallte in seinem Mund auf, und eine Stimme in seinem Kopf flüsterte: Ich habe wieder gewonnen, Lews Therin.
Flackern.
Rand bemühte sich, das Symbol im Blick zu behalten, und Verins Stimme drang ihm nur schwach ins Bewußtsein: »... ist nicht... «
Der Strom der Macht ergoß sich über ihn. Flackern.
Rand war glücklich, nachdem er Egwene geheiratet hatte. Er ließ sich auch nicht von der düsteren Stimmung überwältigen, die manchmal in ihm aufkam, wenn er daran dachte, daß es da noch etwas anderes geben müsse, etwas ganz anderes. Die Händler brachten Neuigkeiten aus der Welt außerhalb der Zwei Flüsse, und es kamen Kaufleute, um Wolle und Tabak zu erwerben. Immer kamen mit ihnen die Nachrichten von neuen Auseinandersetzungen, von Kriegen und falschen Drachen. Es kam ein Jahr ganz ohne Händler und Kaufleute, und als sie im nächsten zurückkehrten, erzählten sie, daß Artur Falkenflügels Heer zurückgekehrt sei, oder zumindest die Nachkommen seiner Soldaten. Die alten Länder waren zerschlagen, behaupteten sie, und die neuen Herrscher der Welt, die in der Schlacht angekettete Aes Sedai einsetzten, hatten die Weiße Burg geschleift und den Boden versalzen, wo Tar Valon gestanden hatte. Es gab keine Aes Sedai mehr.
Im Gebiet der zwei Flüsse war kein Unterschied zu spüren. Immer noch mußten die Felder bestellt, die Schafe geschoren und die Lämmer versorgt werden. Tam schaukelte Enkel auf den Knien, bevor er schließlich neben seiner Frau zur letzten Ruhe gebettet wurde. An das alte Bauernhaus wurden neue Räume angebaut. Egwene wurde zur Seherin gewählt, und die meisten waren davon überzeugt, daß sie besser sei als die vorherige Seherin, Nynaeve al'Meara. Das war auch gut so, denn ihre Heilmittel, die bei anderen so wunderbar wirkten, konnten Rand nur gerade eben am Leben halten. Eine geheimnisvolle Krankheit bedrohte ihn ohne Unterlaß. Seine Launen wurden schlimmer, düsterer, und er wütete oft, dieses Leben sei nicht das, was ihm vorherbestimmt gewesen sei. Wenn diese Launen ihn überkamen, fürchtete Egwene sich vor ihm, denn wenn es am schlimmsten war, geschahen manchmal eigenartige Dinge. Gewitter zogen auf, die sie nicht vorhergesehen hatte, Waldbrände flammten plötzlich auf... Aber sie liebte ihn und sorgte für ihn und erhielt seine geistige (Gesundheit, obwohl manch einer grollte, daß Rand al'Thor wahnsinnig sei und gefährlich dazu.
Als sie starb, saß er allein lange Zeit an ihrem Grab. Tränen flossen in seinen graumelierten Bart. Seine Krankheit kehrte zurück, und er siechte dahin. Er verlor die letzten beiden Finger seiner rechten Hand und einen an der linken. Seine Ohren wirkten wie Narben, und die Männer erzählten sich, er rieche faulig. Er wurde zu einer immer düstereren Gestalt.
Doch als der furchtbare Ruf erschallte, weigerte sich niemand, ihn an seiner Seite zu dulden. Aus der Großen Fäule waren Trollocs und Blasse und andere Alptraumgestalten hervorgebrochen, und die neuen Herrscher der Welt wurden zurückgeworfen, trotz all ihrer Macht. Also nahm Rand den Bogen auf, den er mit seinen übriggebliebenen Fingern gerade noch benützen konnte, und er humpelte mit denen mit, die nach Norden zum Taren marschierten; es waren Männer aus jedem Dorf, von jedem Hof und aus jedem Winkel der Zwei Flüsse, Männer mit Bogen und Axt und Spieß und mit Schwertern, die schon lange in den Speichern vor sich hingerostet waren. Auch Rand trug ein Schwert mit einem Reiher auf der Klinge. Er hatte es gefunden, nachdem Tam gestorben war, doch er wußte es nicht zu gebrauchen. Es kamen auch Frauen mit, die Waffen, die sie irgendwo gefunden hatten, über die Schultern gelegt, und sie marschierten neben den Männern her. Einige lachten und meinten, sie hätten das seltsame Gefühl, all dies schon einmal erlebt zu haben. Und am Taren trafen die Menschen von den Zwei Flüssen auf die Invasoren: endlose Reihen von Trollocs, die unter einer toten, schwarzen Flagge, die das Licht zu fressen schien, von alptraumhaften Blassen angeführt wurden. Rand sah diese Flagge und glaubte, der Wahnsinn habe ihn gepackt, denn ihm schien es, daß er dazu bestimmt gewesen war, dieses Banner zu bekämpfen. Er schoß jeden seiner Pfeile auf die Flagge, so gerade, wie es sein Geschick und das Nichts erlaubten, und er machte sich keine Gedanken über die Trollocs, die sich ihren Weg über den Fluß hinweg bahnten, oder über die Männer und Frauen, die an seiner Seite starben. Einer dieser Trollocs schließlich durchbohrte ihn, bevor er vor Kampfeswut heulend weiter in das Gebiet der Zwei Flüsse hineinhetzte. Und als er so am Ufer des Taren lag und sah, wie der Mittagshimmel sich verdunkelte, und als sein Atem immer schwächer wurde, da hörte er eine Stimme sagen: Ich habe wieder gewonnen, Lews Therin. Flackern.
Das Pfeil-und-Kreissymbol verzerrte sich zu parallel verlaufenden Wellenlinien, und er zwang sie nur mühsam in ihre alte Form zurück.
Verins Stimme: »... richtig. Etwas...«
Die Macht wütete.
Flackern. Tam bemühte sich, Rand zu trösten, als Egwene gerade eine Woche vor ihrer Hochzeit krank wurde und starb. Auch Nynaeve bemühte sich, aber sie war selbst völlig durcheinander, denn trotz all ihrer Fähigkeiten hatte sie keine Ahnung, woran das Mädchen gestorben war. Rand hatte draußen vor ihrem Haus gesessen, als Egwene starb, und es schien in Emondsfeld keinen Fleck zu geben, an dem ihm nicht immer noch ihre Schreie in den Ohren klangen. Ihm war klar, daß er nicht hierbleiben konnte. Tam gab ihm ein Schwert mit einer durch einen Reiher gekennzeichneten Klinge mit. Er erklärte Rand nicht, wie ein Schäfer von den Zwei Flüssen an eine solche Waffe gekommen war, doch er brachte Rand bei, wie man damit umging. Am Tage von Rands Abreise gab er ihm einen Brief und sagte, mit dessen Hilfe könne Rand in die Armee von Illian aufgenommen werden. Dann umarmte er ihn und sagte noch: »Ich hatte nie einen anderen Sohn und wollte auch keinen. Komm zurück und bringe dir eine Frau mit, so wie ich damals, Junge, aber komm auf jeden Fall zurück.«
Rand wurde aber in Baerlon sein ganzes Geld gestohlen und auch noch der Brief und beinahe das Schwert. Er traf dort eine Frau namens Min, die ihm so verrückte Sachen erzählte, daß er schließlich die Stadt verließ, um ihr zu entkommen. Irgendwann führte ihn seine Wanderung nach Caemlyn, und dort brachte ihm sein geschickter Umgang mit dem Schwert einen Platz in der königlichen Garde ein. Manchmal sah er die Tochter-Erbin, Elayne, an, und dabei dachte er so ungereimtes Zeug wie: dies sei alles nicht so, wie es in Wirklichkeit sein sollte und es müßte eigentlich in seinem Leben vieles anders laufen. Doch Elayne bemerkte ihn natürlich überhaupt nicht. Sie heiratete einen Prinzen aus dem Tarengebiet, schien aber in der Ehe nicht glücklich zu sein. Rand war nur ein Soldat, der einst Schafhirte gewesen war und aus einem kleinen Dorf so weit weg an der westlichen Grenze stammte, daß nur die Striche auf einer Landkarte es noch mit Andor verbanden. Außerdem hatte er den Ruf eines düsteren Mannes, der schnell aufbrauste.