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Manche behaupteten sogar, er sei verrückt, und zu normalen Zeiten hätte wahrscheinlich nicht einmal sein Geschick mit dem Schwert ausgereicht, um ihm den Platz in der Garde zu erhalten, aber dies waren eben keine normalen Zeiten. Falsche Drachen schossen wie Unkraut aus dem Boden. Jedesmal, wenn einer besiegt war, tauchten zwei oder gar drei neue auf, bis alle Nationen schließlich von Kriegen geschüttelt wurden. Und Rands Stern war im Aufgehen, denn er hatte das Geheimnis seiner scheinbaren Verrücktheit gelöst — ein Geheimnis, das er allerdings anderen gegenüber sorgfältig wahrte. Er konnte die Macht lenken. Es gab immer Zeitpunkte und Orte, wo ihm ein klein wenig der Macht — nicht genug, um in all dem Durcheinander aufzufallen — Glück brachte. Manchmal klappte es damit; manchmal auch nicht, aber eben oft genug. Er wußte, daß er wahnsinnig sein mußte, aber es war ihm gleich. Eine Krankheit zehrte ihn allmählich aus, aber auch das war ihm gleich und allen anderen auch, denn man hatte erfahren, daß Artur Falkenflügels Heer zurückgekehrt war und das Land für sich beanspruchte.

Rand führte tausend Gardesoldaten der Königin über die Verschleierten Berge. Er dachte nicht daran, einen Umweg zu machen und die Zwei Flüsse zu besuchen; er dachte überhaupt nur noch selten an die Heimat. Er war Kommandant der Garde, als ihre zerschlagenen Reste den Rückzug über die Berge antraten. Überall in ganz Andor kämpfte er und zog sich inmitten der Massen von Flüchtlingen zurück, bis er schließlich nach Caemlyn kam. Viele Bewohner der Stadt waren bereits geflohen, und man riet dem Heer, noch weiter zurückzuweichen, doch nun war Elayne Königin, und sie wollte Caemlyn nicht verlassen. Sie sah sein von der Krankheit zernarbtes Gesicht nicht an, aber er konnte sie trotzdem nicht verlassen, und so bereiteten sich die Reste der königlichen Garde darauf vor, die Königin zu beschützen, während ihre Untertanen flohen.

Während der Schlacht um Caemlyn kam die Macht über ihn, und er schleuderte Blitze und Feuer auf die Eindringlinge, spaltete die Erde unter ihren Füßen und hatte doch das Gefühl, er sei zu etwas anderem berufen. Trotz seiner Taten waren es zu viele Feinde, und auch unter ihnen waren einige, die die Macht lenken konnten. Schließlich traf ein Blitz Rand und schleuderte ihn von der Palastmauer. Zerbrochen, blutend und verbrannt lag er da, und während der letzte Atemzug in seiner Kehle rasselte, hörte er eine Stimme flüstern: Ich habe wieder gewonnen, Lews Therin. Flackern.

Rand kämpfte darum, das Nichts zu erhalten, denn es erzitterte unter den Hammerschlägen des Flackerns der ganzen Welt. Er mußte das eine Symbol im Geist festhalten, auch wenn tausend davon über die Oberfläche des Nichts schrammten. Er hielt es mit aller Kraft fest.

»... ist falsch!« schrie Verin.

Die Macht war überall und alles.

Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Er war Soldat. Er war Schafhirte. Er war Bettler, und er war König. Er war Bauer, Gaukler, Seilmacher, Zimmermann. Er wurde geboren, lebte und starb als Aiel. Er starb, dem Wahnsinn verfallen, verfaulend, er starb an einer Krankheit, bei einem Unfall oder im hohen Alter. Er wurde hingerichtet, und die Massen bejubelten seinen Tod. Er erklärte sich zum Wiedergeborenen Drachen, und seine Flagge bedeckte den Himmel. Er lief vor der Macht weg und versteckte sich und starb, ohne jemals etwas über sich selbst zu erfahren. Er kämpfte jahrelang gegen den Wahnsinn und die Krankheit an, und er unterlag ihnen binnen zweier Winter. Manchmal kam Moiraine und holte ihn von den Zwei Flüssen weg, entweder allein oder mit denjenigen seiner Freunde, die die Winternacht überlebt hatten. Manchmal kam sie nicht. Gelegentlich waren es andere Aes Sedai, die ihn holten. Manchmal auch Rote Ajah. Egwene heiratete ihn. Egwene saß mit ernstem Gesicht in die Stola der Amyrlin eingehüllt vor ihm und ließ ihn von den anderen Aes Sedai einer Dämpfung unterziehen. Egwene stieß ihm mit Tränen in den Augen einen Dolch ins Herz, und er dankte ihr dafür, als er starb. Er liebte andere Frauen, heiratete andere Frauen. Elayne und Min und eine blonde Bauerntochter, die er auf dem Weg nach Caemlyn kennenlernte, und Frauen, die er noch nie gesehen hatte, bevor er all diese Leben lebte. Hundert Leben. Mehr. So viele, daß er sie nicht mehr zählen konnte. Und am Ende jedes Lebens, als er im Sterben lag, als er den letzten Atemzug tat, flüsterte ihm eine Stimme ins Ohr: Ich habe wieder gewonnen, Lews Therin. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern. Flackern.

Das Nichts löste sich auf, die Verbindung zu Saidin verschwand, und Rand stürzte mit einem dumpfen Schlag, der ihm den Atem geraubt hätte, wäre er nicht sowieso schon halb betäubt gewesen. Unter seiner Wange und seinen Händen fühlte er rauhen Stein. Es war kalt.

Er war sich Verins Gegenwart bewußt, die versuchte, aus der Rückenlage auf die Knie zu kommen. Er hörte, wie sich jemand laut übergab und hob den Kopf. Uno kniete am Boden und rieb sich den Mund mit dem Handrücken. Alle waren am Boden, und die Pferde standen mit steifen Beinen und wild rollenden Augen da. Ingtar hatte sein Schwert gezogen und den Griff so hart gepackt, daß die Klinge zitterte. Sein Blick ging ins Leere. Loial saß breitbeinig da. Er hatte die Augen aufgerissen und wirkte wie betäubt. Mat hatte sich beinahe zu einer Kugel zusammengerollt und dabei die Arme um den Kopf geschlungen. Perrins Finger gruben sich in sein Gesicht ein, als wolle er das herausreißen, was er gesehen hatte, oder vielleicht auch die Augen, die es gesehen hatten. Keinem der Soldaten ging es besser. Masema weinte unverhohlen. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Hurin sah sich um, als suche er nach einer Zuflucht.

»Was...?« Rand hielt inne und schluckte schwer. Er lag auf einem rauhen, verwitterten Felsen, der halb im Boden vergraben war. »Was ist geschehen?«

»Ein Schwall der Einen Macht.« Die Aes Sedai taumelte hoch und zog schaudernd ihren Umhang um sich zusammen. »Es war, als zwänge man uns... schob... Es schien aus dem Nichts zu kommen. Ihr müßt lernen, das besser zu beherrschen. Unbedingt! Soviel der Einen Macht könnte Euch einmal wie Zunder verbrennen.«

»Verin, ich... Ich lebte... Ich war... « Ihm wurde bewußt, daß der Fels unter ihm abgerundet war. Der Portalstein. Hastig und zittrig raffte er sich hoch. »Verin, ich lebte und starb — ach, ich weiß nicht, wie oft. Jedesmal war es anders, aber ich war es trotzdem. Jedesmal ich.«

»Die Verbindungslinien zwischen den Welten des Möglichen, von jenen angelegt, die die Zahl des Tieres kannten.« Verin schauderte und schien eher mit sich selbst zu sprechen. »Ich habe niemals Genaueres darüber gehört, doch es gibt keinen Grund, warum wir nicht auf diesen Welten geboren werden könnten. Aber die dort ablaufenden Leben wären dann ganz anders als unseres hier. Ganz klar. Verschiedene Leben wegen der verschiedenen Möglichkeiten, wie die Dinge abgelaufen sein könnten.«

»Das ist es also? Ich... wir... sahen, wie unser Leben hätte verlaufen können?« Ich habe wieder gewonnen, Lews Therin. Nein! Ich bin Rand al'Thor! Verin schüttelte sich und sah ihn an. »Überrascht es Euch, daß Euer Leben anders ablaufen würde, wenn Ihr Euch anders entscheidet oder wenn andere Ereignisse Euch beeinflussen? Obwohl, ich habe auch niemals geglaubt, daß ich — ach! Das Wichtigste ist, daß wir hier sind. Wenn auch nicht auf die erhoffte Weise.«