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»Was willst du? Ich werde dir nicht dienen. Ich werde nichts tun, was du willst. Ich würde lieber vorher sterben!«

»Du wirst sterben, Wurm! Wie viele Male bist du im Laufe der Zeitalter gestorben, Narr, und was hat dir das gebracht? Das Grab ist kalt und einsam, bis auf die Würmer. Das Grab gehört mir. Diesmal wird es für dich keine Wiedergeburt geben. Diesmal wird das Rad der Zeit zerbrochen und die Welt im Schatten neu geschaffen. Diesmal stirbst du für immer! Was wählst du? Den ewigen Tod? Oder das ewige Leben — und die Macht?«

Rand bemerkte kaum, daß er aufgesprungen war. Das Nichts hatte sich um ihn gehüllt, Saidin war da, und die Eine Macht durchströmte ihn. Diese Tatsache ließ die Leere beinahe wieder zerplatzen. War das alles wirklich? War es ein Traum? Konnte er im Traum die Macht benützen? Aber der Strom, der ihn durchfloß, schwemmte seine Zweifel hinweg. Er schleuderte sie Ba'alzamon entgegen, die reine, unverwässerte Eine Macht, die Kraft, von der das Rad der Zeit angetrieben wurde, eine Kraft, die den Ozean dazu bringen konnte, zu verbrennen und die Berge dabei zu verschlingen.

Ba'alzamon trat einen halben Schritt zurück und hielt die Flagge schützend vor sich. Flammen sprangen in seine weit aufgerissenen Augen und seinen Mund, und die Dunkelheit schien ihn in Schatten zu hüllen. In den einen Schatten. Die Macht sank in diesen schwarzen Dunst ein und versickerte wie Wasser in ausgetrocknetem Sand.

Rand saugte Saidin auf, zog mehr Macht an sich und immer noch mehr. Sein Fleisch schien so kalt, daß es bei einer Berührung zersplittern mußte, und es brannte, als wolle es verkochen. Seine Knochen mußten jeden Moment zu klirrend kalter Kristallasche zerfallen. Es war ihm gleich; er fühlte sich, als trinke er das Leben selbst.

»Narr!« brüllte Ba'alzamon. »Du wirst dich selbst zerstören!«

Mat. Der Gedanke schwamm irgendwo jenseits der alles verschlingenden Flut herum. Der Dolch. Das Horn. Fain. Emondsfeld. Ich kann noch nicht sterben. Er war sich nicht sicher, wie er es schaffte, doch plötzlich war die Macht verschwunden, ebenso wie Saidin und das Nichts. Er zitterte heftig und fiel neben dem Bett auf die Knie. Er umschlang sich mit den Armen, um das Zucken zu unterdrücken. Umsonst.

»So ist es besser, Lews Therin.« Ba'alzamon warf die Flagge zu Boden und packte die Stuhllehne mit beiden Händen. Zwischen seinen Fingern quollen Rauchfäden empor. Der Schatten schien ihn nicht mehr zu umgeben. »Hier ist dein Banner, Brudermörder. Es wird dir nicht helfen. Tausend Fäden, durch tausend Jahre hindurch ausgelegt, haben dich hierher gezogen. Zehntausend, die im Laufe der Zeitalter gewoben wurden, binden dich wie ein Schaf, das geschlachtet werden soll. Das Rad selbst hält dich Zeitalter auf Zeitalter in deinem Schicksal gefangen. Aber ich kann dich befreien. Du kriechende Kreatur, ich allein auf der ganzen Welt kann dich lehren, die Macht richtig anzuwenden. Nur ich kann sie davon abhalten, dich zu töten, noch bevor du dem Wahnsinn verfällst. Nur ich kann den Wahnsinn aufhalten. Du hast mir früher schon gedient. Diene mir wieder, Lews Therin, oder du wirst für immer vernichtet!«

»Ich heiße«, brachte Rand mit klappernden Zähnen mühsam heraus, »Rand al'Thor.« Sein Zittern war so stark, daß er die Augen schloß, und als er sie wieder öffnete, war er allein.

Ba'alzamon war weg. Der Schatten hatte sich aufgelöst. Seine Satteltaschen lehnten mit geschlossenen Schnallen am Stuhl, und eine beulte sich aus, wo das Drachenbanner steckte, genauso, wie er alles zurückgelassen hatte. Nur von der Lehne des Stuhls erhob sich noch immer Rauch, und auf dem Holz waren die Spuren eingebrannter Finger zu sehen.

42

Falme

Nynaeve drückte Elayne in die enge Gasse zwischen einem Tuchhändler und der Werkstatt eines Töpfers zurück, als ein durch eine silberne Leine verbundenes Frauenpaar vorbeikam, das die mit Kopfstein gepflasterte Straße zum Hafen von Falme hinunterschritt. Sie wagten nicht, dieses Paar zu nahe an sich herankommen zu lassen. Die Menschen auf der Straße machten diesen beiden noch bereitwilliger Platz als den Soldaten der Seanchan oder den gelegentlich vorbeikommenden Sänften der Adligen, die nun, da die Tage kalt geworden waren, durch dicke Vorhänge ihre Insassen verbargen. Selbst die Pflastermaler boten den beiden Frauen ihre Dienste nicht an, obwohl sie ansonsten alle mit ihren Kreiden belästigten. Nynaeve verzog zornig den Mund, während sie die Sul'dam und die Damane auf ihrem Weg durch die Menge beobachtete. Obwohl sie sich bereits seit ein paar Wochen in dieser Stadt aufhielten, machte sie dieser Anblick krank, jetzt womöglich noch mehr als vorher. Sie konnte sich nicht vorstellen, so etwas irgendeiner Frau antun zu können, noch nicht einmal Moiraine oder Liandrin.

Na ja, Liandrin vielleicht schon, gab sie widerwillig zu. Manchmal, tief in der Nacht in dem kleinen muffigen Zimmer über einem Fischhändler, das sie gemietet hatten, stellte sie sich vor, was sie alles mit Liandrin anstellen würde, bekäme sie sie in die Hände. Mit Liandrin mehr als mit Suroth. Mehr als einmal war sie über ihre eigene Grausamkeit erschrocken, obwohl sie sich an ihrem Erfindungsreichtum erfreute. Während sie sich noch bemühte, das Frauenpaar weiter zu beobachten, fiel ihr Blick auf einen knochigen Mann, der weit unten die Straße hinabschritt und schnell wieder in der Menge untertauchte. Sie sah nur einen Augenblick lang eine große Nase in einem schmalen Gesicht. Er trug über seiner Kleidung ein reich verziertes bronzefarbenes Gewand nach typischer Seanchan-Mode, aber sie glaubte nicht, daß er ein Seanchan war. Der Diener, der ihm folgte, war allerdings einer, und sogar einer von hohem Rang, da er die Haare an einer Schläfe abrasiert hatte. Die Einwohner Falmes hatte die Mode der Seanchan nicht angenommen und diese spezielle schon gar nicht. Der sah aus wie Padan Fain, dachte sie ungläubig. Das kann ja wohl nicht sein. Nicht hier. »Nynaeve«, fragte Elayne leise, »können wir weitergehen? Dieser Bursche hier, der die Äpfel verkauft, schaut schon ganz mißtrauisch, und wenn er nachzählt, möchte ich nicht, daß er sich fragt, was ich wohl in den Taschen habe.«

Sie trugen beide lange Mäntel aus Schafsleder mit dem Fell nach innen, und jede hatte auf der Brust leuchtendrote Spiralen aufgemalt bekommen. Das war typisch ländliche Kleidung, die in Falme nicht weiter auffiel, wo ja sehr viele Leute aus den Bauernhöfen und Dörfern der Umgebung herumliefen. Unter so vielen Fremden hatten sie sich unbemerkt einnisten können. Sie hatte ihren Zopf entflochten und ausgekämmt, und der goldene Ring, der Ring mit der Schlange, die ihren eigenen Schwanz fraß, hing jetzt neben Lans schwerem Ring an einer Lederschnur wie ein Medaillon unter ihrem Kleid.

Die großen Taschen auf Elaynes Mantel beulten sich verdächtig aus. »Du hast ihm die Äpfel gestohlen?« zischte Nynaeve leise. Sie zog Elayne sofort hinaus auf die belebte Straße. »Elayne, wir müssen doch nicht stehlen. Jedenfalls noch nicht.«

»Nein? Wieviel Geld haben wir noch übrig? Du hast in letzter Zeit beim Essen verdächtig oft ›keinen Hunger‹ gehabt.«

»Weil ich einfach keinen Hunger hatte«, fauchte Nynaeve. Sie versuchte, den Hohlraum in ihrem Magen nicht zu beachten. Alles kostete hier viel mehr, als sie erwartet hatte. Sie hatte gehört, wie sich die Einheimischen darüber beschwerten, daß die Preise seit der Ankunft der Seanchan so stark gestiegen waren. »Gib mir einen davon.« Der Apfel, den Elayne aus ihrer Tasche hervorkramte, war klein und hart, aber er schmeckte ausgesprochen süß, als Nynaeve hineinbiß. Sie leckte sich die Lippen. »Wie hast du das fertigge... « Sie zerrte Elayne herum und sah ihr in die Augen. »Hast du...? Hast du...?« Sie kam nicht darauf, wie sie ihre Frage formulieren sollte, ohne daß die vielen vorbeiströmenden Menschen etwas mitbekamen. Doch Elayne verstand sie auch so.