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»Nur ein bißchen. Ich habe es so angestellt, daß der Stapel alter Melonen, die schon Druckflecken hatten, umfiel, und als er sie wieder aufstapelte... « Sie bringt nicht einmal so viel Anstand auf, zu erröten oder verlegen zu wirken, dachte Nynaeve. Statt dessen aß sie gelassen einen der Äpfel und zuckte die Achseln. »Es ist gar nicht notwendig, daß du mich so finster ansiehst. Ich habe mich schon genau vergewissert, daß keine Damane in der Nähe war.« Sie schniefte. »Wenn ich eine Gefangene wäre, würde ich denen nicht helfen, weitere Frauen zu Sklavinnen zu machen. Wenn man allerdings diese Leute aus Falme betrachtet, könnte man denken, sie hätten ihr Leben lang nichts anderes getan, als denen zu dienen, die eigentlich ihre größten Feinde sind.« Sie sah sich mit verächtlich verzogener Miene um. Man konnte deutlich den Kurs eines jeden Seanchan durch die Menge verfolgen, selbst den einfacher Soldaten, denn die Verbeugungen pflanzten sich wie eine Welle fort. »Sie sollten Widerstand leisten und kämpfen.« »Wie denn? Gegen... das?«

Sie mußten wie alle anderen zur Seite treten, als sich eine Patrouille der Seanchan näherte, die vom Hafen heraufkam. Nynaeve brachte es fertig, sich — Hände auf den Knien — mit völlig unbeteiligtem Gesicht zu verbeugen. Elayne war langsamer und begleitete ihre Verbeugung mit immer noch verächtlich verzogenem Mund.

Die Patrouille bestand aus zwanzig gerüsteten Männern und Frauen. Sie ritten auf normalen Pferden, was Nynaeve dankbar zur Kenntnis nahm. Sie konnte sich nicht daran gewöhnen, Leute auf Kreaturen reiten zu sehen, die wie schwanzlose Katzen mit Bronzeschuppen aussahen, und ein Reiter auf einem dieser fliegenden Wesen verursachte ihr gar Schwindelgefühle. Sie war heilfroh, daß es so wenige davon gab. Aber auch bei dieser Patrouille liefen zwei angekettete Kreaturen nebenher, die wie flügellose Vögel mit ledriger Haut und scharfen spitzen Schnäbeln aussahen. Ihre Köpfe ragten noch über die Helme der berittenen Soldaten hinaus. Mit ihren langen sehnigen Beinen rannten sie sicherlich schneller als jedes Pferd.

Sie richtete sich langsam wieder auf, nachdem die Seanchan verschwunden waren. Einige Leute, die sich ebenfalls tief verbeugt hatten, machten den Eindruck, als wären sie am liebsten weggelaufen, denn außer den Seanchan selbst fühlte sich niemand in der Gegenwart dieser Kreaturen wohl. »Elayne«, sagte sie leise, als sie weitergingen, »ich schwöre dir: Wenn sie uns fangen, werde ich vor meinem Tod auf Knien darum bitten, daß ich dich zuvor noch von Kopf bis Fuß mit der stärksten Rute verhauen darf, die ich finden kann. Wenn du immer noch keine Vorsicht gelernt hast, ist es vielleicht besser, dich nach Tar Valon zurückzuschicken oder heim nach Caemlyn oder jedenfalls irgendwo anders hin.«

»Ich bin doch vorsichtig. Ich habe mich umgesehen, um sicher zu sein, daß keine Damane in der Nähe war. Wie steht es denn mit dir? Ich habe gesehen, wie du die Macht benützt hast, obwohl eine Damane in Sicht war.«

»Ich habe mich vergewissert, daß sie nicht in meine Richtung schauten«, knurrte Nynaeve. Sie hatte ihren ganzen Zorn auf Frauen in die Waagschale werfen müssen, die andere Frauen wie Tiere an die Leine legten, um überhaupt etwas zustande zu bringen. »Und es war nur ein einziges Mal und sowieso nur ein ganz schwacher Versuch.«

»Ein ganz schwacher Versuch? Wir mußten uns drei Tage lang im Fischgestank unseres Zimmers verbergen, weil sie den ganzen Ort absuchten, um jene zu finden, die das angestellt hatte! Nennst du das Vorsicht?«

»Ich mußte herausbekommen, ob es möglich ist, diese Halsbänder zu öffnen.« Sie glaubte fest daran. Sie würde mindestens noch einmal eine Probe aufs Exempel machen müssen, um ganz sicher zu sein, und das erfüllte sie mit Unbehagen. Genau wie Elayne hatte sie geglaubt, die Damane seien als Gefangene daran interessiert, freizukommen, doch es war ausgerechnet die Frau mit dem Halsband gewesen, die Alarm geschlagen hatte.

Ein Mann mit einem zweirädrigen Karren schob sich an ihnen vorbei. Der Karren rumpelte laut über das Kopfsteinpflaster. Wie ein Marktschreier bot er seine Dienste als Scheren- und Messerschleifer an. »Irgendwie sollten sie Widerstand leisten«, grollte Elayne. »Sie tun immer so, als sähen sie überhaupt nichts, wenn ein Seanchan an etwas beteiligt ist.«

Nynaeve seufzte nur. Elayne hatte zumindest teilweise recht — aber das half auch nicht weiter. Zuerst hatte sie geglaubt, diese widerstandslose Ergebenheit der Einwohner von Falme sei lediglich vorgetäuscht, doch sie hatte noch immer kein Anzeichen für den geringsten Widerstand gefunden. Sie hatte sich wirklich danach umgeschaut, da sie hoffte, für die Befreiung Egwenes und Mins Helfer zu finden, aber jeder hatte schon bei der kleinsten Andeutung eines Widerstands gegen Seanchan entsetzt den Rückzug angetreten. So hatte sie es aufgegeben, bevor sie noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Sie konnte sich tatsächlich auch nicht vorstellen, wie diese Leute sich zur Wehr setzen sollten. Monster und Aes Sedai. Wie kann man gleichzeitig gegen Monster und Aes Sedai kämpfen? Vor ihnen standen nun fünf hohe Steinhäuser, die zu den größten in der Stadt gehörten und zusammen ein geschlossenes Viereck bildeten. Eine Straße davor entdeckte Nynaeve eine kleine Gasse neben einer Schneiderei, von der aus sie die meisten Eingänge zu diesem großen Häuserblock im Auge behalten konnten. Sie konnten nicht alle Eingänge gleichzeitig beobachten, und sie wollte auch nicht, daß Elayne allein einen anderen Posten bezog, aber näher heran wagten sie sich auch nicht. Über den Dächern dieser Häuser flatterte die Flagge mit dem goldenen Falken, dem Abzeichen des Hochlords Turak, im Wind.

Nur Frauen gingen in diese Häuser hinein oder traten heraus, und die meisten davon waren Sul'dam, allein oder in Begleitung von Damane. Die Gebäude waren von den Seanchan besetzt worden, um die Damane unterzubringen. Egwene mußte sich darin befinden und wahrscheinlich auch Min. Sie hatten Min bisher nicht entdeckt, doch es war möglich, daß sie sich genau wie sie in der Menge verbarg. Nynaeve hatte viel darüber gehört, daß Frauen und Mädchen von der Straße weg oder in den Dörfern gefangen und in diese Häuser gebracht worden waren. Falls sie je wiedergesehen wurden, trugen sie ein Halsband.

Sie setzte sich neben Elayne auf eine leere Kiste und holte sich aus Elaynes Manteltasche einen der kleinen Äpfel. Hier waren weniger Einheimische auf der Straße zu sehen. Jeder wußte über die Häuser Bescheid und mied sie, genau wie sie die Stallungen mieden, in denen die Seanchan ihre seltsamen Kreaturen untergebracht hatten. Es war nicht schwer, zwischen den Passanten hindurch die Eingänge zu beobachten. Nur zwei Frauen, die sich ausruhten und einen Bissen aßen; also wieder zwei Menschen, die sich das Essen in einer Schenke nicht leisten konnten. Sie zogen nicht mehr als flüchtige Blicke auf sich.

Nynaeve aß ganz mechanisch und versuchte dabei, Pläne zu schmieden. Wenn sie ein solches Halsband öffnen konnte — falls es wirklich gelänge —, half das gar nichts. Erst einmal mußten sie Egwene aufspüren. Die Äpfel schmeckten ihr plötzlich nicht mehr so süß.

Aus dem engen Fenster ihres winzigen Zimmers unter dem Dach, eines von mehreren, die man durch Holzverschläge voneinander abgetrennt hatte, schaute Egwene direkt in den Garten hinab, in dem die Damane von ihren Sul'dam spazieren geführt wurden. Es hatte ursprünglich mehrere Gärten gegeben, doch die Seanchan hatten die Trennmauern abgerissen, als sie die Häuser für ihre Damane besetzten. Die Bäume trugen keine Blätter mehr, aber man brachte die Damane trotzdem an die frische Luft, ob sie es wollten oder nicht. Egwene blickte in den Garten hinab, weil sich Renna dort aufhielt und mit einer anderen Sul'dam unterhielt. Solange sie Renna im Auge behielt, konnte sie nicht hereinkommen und sie überraschen.