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»Niemand hatte bisher auch nur daran gedacht, mich auf so etwas zu überprüfen. Die Erde ist eine der fünf Mächte, die bei den Männern am stärksten vertreten war. Als ich diese Steine auswählte, nahm sie mich mit zu einer Stelle außerhalb der Stadt, und ich war in der Lage, geradewegs auf ein verlassenes Eisenbergwerk zu deuten. Es war alles überwuchert, und keine Öffnung war zu sehen, aber sobald ich einmal Bescheid wußte, fühlte ich das Eisen, das sich noch im Boden befindet. Es war nicht genug da, als daß man es in den letzten hundert Jahren lohnend hätte abbauen können, aber ich wußte, es war vorhanden. Ich konnte sie nicht anlügen, Min. Sie wußte im gleichen Moment wie ich, daß ich das Bergwerk fühlte.

Sie war so erregt, daß sie mir zum Abendessen einen Pudding versprach.« Sie spürte, wie ihre Wangen vor Ärger und Scham brannten. »Offensichtlich bin ich nunmehr so wertvoll«, sagte sie in bitterem Ton, »daß man meine Kräfte nicht mehr damit verschwendet, Sachen zum Explodieren zu bringen. Das kann jede Damane, aber kaum eine kann Erze im Boden aufspüren. Licht, ich hasse es, Sachen explodieren zu lassen, aber ich wünschte, das wäre alles, was ich fertigbringe.«

Ihre Wangen färbten sich noch dunkler. Sie haßte es wirklich, wenn sie Bäume zum Zerspringen und die Erde zum Aufbäumen brachte. Das war für den Kampf bestimmt, für das Töten, und damit wollte sie nichts zu tun haben. Aber alles, was sie für die Seanchan tat, bedeutete eine neue Gelegenheit, Saidar zu berühren und den Strom der Macht in ihrem Körper zu fühlen. Sie verabscheute die Dinge, die sie für Renna und die anderen Sul'dam tun mußte, doch sie war sicher, daß sie mittlerweile ein viel größeres Potential aufwies als zuvor in Tar Valon. Sie wußte, daß sie mit Hilfe der Macht Dinge tun konnte, an die keine Schwester in der Burg je auch nur gedacht hatte; sie dachten nie daran, die Erde aufzureißen, um Männer zu töten.

»Vielleicht mußt du dir über alles das bald keine Sorgen mehr machen«, sagte Min grinsend. »Ich habe ein Schiff für uns gefunden, Egwene. Der Kapitän ist hier von den Seanchan festgehalten worden, und jetzt ist er soweit, daß er segeln will, gleichgültig, ob er eine Erlaubnis hat oder nicht.«

»Wenn er dich mitnimmt, Min, dann segle mit ihm«, sagte Egwene ergeben. »Ich sagte dir ja, daß ich nun wertvoll bin. Renna sagt, daß man in ein paar Tagen ein Schiff hinüber nach Seanchan schicken wird. Und das nur, um mich dorthin zu bringen.«

Min verging das Grinsen, und sie blickten einander in die Augen. Plötzlich warf Min den Stein zurück auf den Stapel, und er flog auseinander. »Es muß einen Weg von hier fort geben. Es muß möglich sein, dieses verdammte Ding um deinen Hals zu lösen!«

Egwene lehnte den Kopf zurück an die Wand. »Du weißt doch, daß die Seanchan jede Frau eingefangen haben, die auch nur ein winziges bißchen der Macht beherrschen kann, alle, die sie finden konnten. Sie kommen von überallher, nicht nur aus Falme, sondern auch aus den Fischerdörfern und aus Bauerndörfern im Landesinneren. Taraboner und Domanifrauen, Passagiere der von ihnen gekaperten Schiffe. Es sind auch zwei Aes Sedai darunter.«

»Aes Sedai!« rief Min. Gewohnheitsmäßig sah sie sich um, ob auch keine Seanchan gehört hatte, welche Bezeichnung sie da aussprach. »Egwene, wenn sich hier Aes Sedai befinden, können sie uns helfen. Laß mich mit ihnen sprechen und... «

»Sie können sich nicht einmal selbst helfen, Min. Ich habe nur mit einer gesprochen. Sie heißt Ryma. Die Sul'dam nennen sie nicht so, aber das ist ihr Name. Sie wollte, daß ich ihn kenne. Sie sagte mir, daß noch eine da sei. Das erzählte sie mir unter Tränen. Sie ist eine Aes Sedai, und sie weinte bitterlich, Min! Sie trägt ein Halsband, sie wird hier Pura genannt, und sie kann nichts dagegen tun, genausowenig wie ich. Sie haben sie bei der Kapitulation Falmes gefangengenommen. Sie weinte, weil sie den Widerstand langsam aufgab, weil sie es nicht mehr ertragen kann, bestraft zu werden. Sie weinte, weil sie Selbstmord begehen wollte und auch das nicht ohne Erlaubnis fertigbringt. Licht, ich weiß, wie sie sich fühlt!«

Min rutschte nervös umher und strich sich ständig das Kleid glatt. »Egwene, das willst du doch nicht... Egwene, du darfst nicht daran denken, dir etwas anzutun. Ich kriege dich irgendwie hier heraus. Ganz bestimmt!«

»Ich werde mich nicht umbringen«, meinte Egwene trocken. »Nicht einmal, wenn ich könnte. Gib mir dein Messer. Komm schon! Ich werde mich schon nicht verletzen. Gib's mir nur einfach.«

Min zögerte und zog dann langsam ihr Messer aus der Scheide. Sie hielt es ihr vorsichtig hin. Offensichtlich war sie sprungbereit, sollte Egwene irgend etwas versuchen.

Egwene atmete tief ein und griff nach dem Knauf. Ein leichtes Zittern durchlief ihre Armmuskulatur. Als ihre Hand sich dem Messer auf etwa ein Fuß Entfernung genähert hatte, krümmten sich plötzlich ihre Finger unter einem Krampf. Mit starr geradeaus gerichtetem Blick bemühte sie sich, ihre Hand noch näher heranzuzwingen. Der Krampf erfaßte ihren ganzen Arm und verknotete die Muskeln bis hinauf zur Schulter. Aufstöhnend sackte sie zusammen und konzentrierte sich in Gedanken darauf, das Messer nicht zu berühren. Langsam ließ der Schmerz nach.

Min sah sie ungläubig an. »Was... ? Ich verstehe nicht.«

»Einer Damane ist es nicht erlaubt, irgendeine Waffe zu berühren.« Sie massierte ihren Arm und fühlte, wie die Anspannung nachließ. »Man schneidet uns sogar das Fleisch vor. Ich will mich gar nicht verletzen, aber selbst wenn ich es wollte, könnte ich nicht. Man läßt auch keine Damane irgendwo allein, wo sie aus größerer Höhe hinabspringen könnte. Dieses Fenster hier hat man zugenagelt. Wir können auch nicht in einen Fluß springen.«

»Na, das ist doch gut. Ich meine... Ach, ich weiß selbst nicht, was ich meine. Falls du in einen Fluß sprängst, könntest du entkommen.«

Egwene fuhr einfach fort, als habe Min nichts gesagt: »Sie schulen mich, Min. Die Sul'dam und ihre Adam bilden mich aus. Ich kann nichts berühren, was ich selbst für eine Waffe halte. Vor ein paar Wochen wollte ich Renna diesen Krug über den Schädel hauen, und daraufhin konnte ich drei Tage lang kein Waschwasser mehr ausgießen. Ich mußte nicht nur den Gedanken aufgeben, sie damit zu schlagen, nein, ich mußte mich auch noch selbst überzeugen, daß ich sie niemals, unter gar keinen Umständen, damit schlagen würde. Erst dann konnte ich den Krug wieder berühren. Sie wußte, was geschehen war, und schrieb mir vor, was ich tun müsse. Ich durfte mich ausschließlich in gerade dieser Schüssel und diesem Krug waschen und nirgends sonst. Du hast Glück, daß es zwischen deinen Besuchstagen geschah. Renna ließ mich nämlich von früh bis spät schuften, und abends fiel ich völlig erschöpft ins Bett. Ich bemühe mich schon, Widerstand zu leisten, aber sie bilden mich genauso weiter aus wie Pura.« Sie schlug sich die Hand über den Mund und stöhnte auf. »Sie heißt Ryma. Ich muß an ihren richtigen Namen denken und nicht an den, den sie ihr gegeben haben. Sie heißt Ryma, gehört zu den Gelben Ajah und hat so lange und hart gegen sie gekämpft, wie sie nur konnte. Es ist nicht ihre Schuld, daß sie nun keine Kraft mehr hat, sich dagegen aufzulehnen. Ich möchte wissen, wer die andere Schwester ist, die Ryma erwähnte. Ich hätte gern ihren Namen gewußt. Erinnere dich an uns beide, Min, an Ryma von den Gelben Ajah und an Egwene al'Vere. Nicht Egwene, die Damane, sondern Egwene al'Vere aus Emondsfeld. Schaffst du das?«

»Hör auf!« fauchte Min. »Hör augenblicklich damit auf! Wenn du nach Seanchan gebracht wirst, bin ich dabei. Aber ich glaube nicht, daß es soweit kommt. Du weißt, daß ich in deiner Zukunft herumgestöbert habe, Egwene. Ich verstehe wohl das meiste nicht, und das ist fast immer so, aber ich sehe Dinge, die dich einwandfrei mit Rand verbinden und mit Perrin und Mat, ja, und sogar mit Galad, Licht hilf dir Närrin. Wie kann das alles geschehen, wenn die Seanchan dich übers Meer verfrachten?«