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»Vielleicht werden sie die ganze Welt erobern, Min. Falls sie das schaffen, gibt es keinen Grund, warum Rand und Galad und die anderen nicht auch in Seanchan landen sollten.«

»Du bist doch eine dumme Gans!«

»Ich bin nur realistisch«, sagte Egwene mit harter Stimme. »Ich habe nicht vor, den Widerstand einzustellen, nicht, solange ich noch atmen kann, aber ich habe keine Hoffnung, daß jemand die Seanchan aufhalten kann und daß ich dieses A'dam jemals loswerde. Min, wenn dieser Kapitän dich mitnehmen will, dann geh mit. Dann ist wenigstens eine von uns frei.«

Die Tür öffnete sich, und Renna trat ein.

Egwene sprang auf und verbeugte sich tief, und Min tat es ihr nach. Das winzige Zimmer war ziemlich eng, aber die Seanchan bestanden darauf, daß Höflichkeitsregeln vor Bequemlichkeit kamen.

»Dein Besuchstag heute, nicht wahr?« fragte Renna. »Das hatte ich vergessen. Na ja, auch an Besuchstagen geht die Ausbildung weiter.«

Egwene beobachtete sie genau. Die Sul'dam nahm das Armband vom Haken, öffnete es und ließ es am Handgelenk wieder zuschnappen. Sie konnte aber einfach nicht feststellen, wie es sich öffnete oder schloß. Sie hätte es herausbekommen, hätte sie die Eine Macht eingesetzt, doch das wäre Renna sofort aufgefallen. Als das Armband zuschnappte, blickte die Sul'dam plötzlich mißtrauisch drein. Egwenes Herz wurde schwer.

»Du hast die Macht gebraucht.« Rennas Stimme klang täuschend mild, doch in ihren Augen stand der Ärger geschrieben. »Du weißt, das ist verboten, wenn wir nicht vollständig sind.« Egwene befeuchtete die Lippen. »Vielleicht war ich zu großzügig mit dir. Vielleicht glaubst du auch, weil du jetzt wertvoll bist, ließe ich dir freien Lauf. Ich glaube, es war ein Fehler, dir deinen alten Namen zu lassen. Ich hatte als Kind ein Kätzchen namens Tuli. Von nun an heißt du Tuli. Min, du gehst jetzt. Dein Besuchstag bei Tuli ist jetzt zu Ende.«

Min zögerte nur kurz und warf Egwene einen gequälten Blick zu. Dann ging sie. Nichts, was sie sagte oder tat, hätte geholfen. Im Gegenteil, sie hätte die Lage nur verschlimmern können. Egwene blickte sehnsuchtsvoll zur Tür, als die sich hinter ihrer Freundin schloß.

Renna holte sich den Stuhl heran und sah Egwene finster an. »Für diese Sache muß ich dich streng bestrafen. Wir werden beide vor den Hof der Neun Monde gerufen —du wegen deiner Fähigkeiten und ich als deine Sul'dam und Ausbilderin —, und ich werde dir nicht gestatten, mich in den Augen der Kaiserin lächerlich zu machen. Ich werde aufhören, wenn du mir sagst, wie sehr du es liebst, Damane sein zu dürfen, und wie folgsam du künftig sein wirst. Und, Tuli, du mußt mich Wort für Wort von deiner Ernsthaftigkeit überzeugen!«

43

Ein Plan

Draußen in dem niedrigen Flur grub Min die Fingernägel in die Handflächen, als der erste durchdringende Schrei aus dem Zimmer ertönte. Sie tat einen Schritt auf die Tür zu, bevor sie sich zusammenriß. Dafür traten ihr die Tränen in die Augen. Licht, hilf mir. Alles, was ich anstelle, macht die Lage nur noch schlimmer. Egwene, es tut mir so leid. Es tut mir so leid.

Sie fühlte sich nutzloser als nutzlos. So hob sie den Rock hoch und rannte weg. Egwenes Schreie verfolgten sie. Sie brachte es nicht fertig zu bleiben, aber nun fühlte sie sich wie ein Feigling. Halb blind vor Tränen befand sie sich auf der Straße, bevor sie es bemerkte. Sie hatte in ihr eigenes Zimmer zurücklaufen wollen, aber das brachte sie jetzt auch nicht fertig. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß Egwene Schmerzen erlitt, während sie bequem und sicher unter dem nächsten Dach hockte. Sie rieb sich die Tränen aus den Augen, hängte sich den Umhang um und ging die Straße hinunter. Jedesmal, wenn ihre Augen wieder frei waren, kamen neue Tränen. Sie weinte sonst niemals in der Öffentlichkeit, aber sie hatte sich noch nie so hilflos und nutzlos gefühlt. Ihr war es gleich, wohin ihre Schritte sie führten, aber es mußte so weit wie möglich von Egwenes Schreien entfernt sein.

»Min!«

Als sie den leisen Ruf vernahm, blieb sie jäh stehen. Zuerst konnte sie die Ruferin nicht entdecken. So nahe bei den Behausungen der Damane hielten sich nur wenige Leute auf der Straße auf. Abgesehen von einem einzelnen Mann, der sich bemühte, zwei Seanchan-Soldaten für den Kauf eines Bildes zu begeistern, das er mit seinen Farbkreiden von ihnen malen wollte, schritten hier alle Einheimischen schneller voran als sonst üblich. Eine Sul'dam stolzierte vorbei. Ihre Damane trottete mit gesenktem Blick hinter ihr her. Die beiden Seanchan-Frauen unterhielten sich darüber, wie viele weitere MarathDamane man wohl noch finden könne, bevor sie zurücksegelten. Mins Blick wanderte uninteressiert über die beiden Frauen in langen Schafsledermänteln und kehrte staunend zu ihnen zurück. Die beiden kamen auf sie zu. »Nynaeve? Elayne?«

»Wer denn sonst?« Nynaeve lächelte gequält, und beide Frauen zeigten nervöse, angespannte Mienen. Min war sicher, daß sie noch niemals etwas so Wundervolles erlebt hatte wie diesen plötzlichen Anblick. »Diese Farbe steht dir«, fuhr Nynaeve fort. »Du hättest längst solche Kleider tragen sollen. Allerdings habe ich mir auch manchmal gewünscht, Hosen zu tragen, nachdem ich sie bei dir gesehen hatte.« Ihre Stimme klang schärfer, als sie nahe genug war, um Mins Gesicht eingehender zu mustern. »Was ist los?«

»Du hast geweint«, stellte Elayne fest. »Ist Egwene etwas passiert?«

Min fuhr zusammen und blickte sich ängstlich um. Eine Sul'dam und ihre Damane kamen die gleiche Treppe herunter wie sie zuvor, wandten sich dann aber in die Gegenrichtung, den Stallungen hin. Eine weitere Frau mit den Blitzabzeichen auf dem Kleid stand oben auf der Treppe und unterhielt sich mit jemandem. Min packte ihre Freundinnen am Arm und zog sie eilig mit sich die Straße hinunter in Richtung Hafen. »Es ist gefährlich hier für euch beide. Licht, es ist schon gefährlich, daß ihr euch hier in Falme aufhaltet. Überall laufen Damane herum, und wenn sie euch finden... Ihr wißt, was Damane sind? Ach, ihr ahnt nicht, wie schön es ist, euch zu sehen.«

»Wahrscheinlich nur halb so schön wie umgekehrt«, sagte Nynaeve. »Weißt du, wo Egwene ist? Befindet sie sich in einem dieser Gebäude? Geht es ihr gut?«

Min zögerte ein wenig und sagte dann: »Es geht ihr so wie unter diesen Umständen möglich.« Min ahnte schon, was geschähe, wenn sie ihnen alles erzählte, was Egwene gerade im Moment angetan wurde. Bei Nynaeve war die Wahrscheinlichkeit groß, daß sie sofort losstürmte, um Egwene zu helfen. Licht, hoffentlich ist es jetzt vorbei. Licht, hoffentlich beugt sie ihren sturen Kopf, bevor sie ihn verliert. »Aber ich weiß nicht, wie ich sie herausholen soll. Ich habe einen Kapitän ausfindig gemacht, der uns mitnimmt, wenn wir sie aufs Schiff bringen. Er hilft uns nicht, wenn wir es nicht selbst schaffen, und ich kann es ihm auch nicht verdenken. Doch ich weiß nicht, wie es uns gelingen soll.«

»Ein Schiff«, meinte Nynaeve nachdenklich. »Ich wollte einfach nach Osten reiten, war aber damit auch nicht gerade glücklich. Soweit ich feststellen konnte, müßten wir praktisch die Toman-Halbinsel verlassen, um vor den Patrouillen der Seanchan sicher zu sein. Na ja, und dann heißt es, daß es auf der Ebene von Almoth ebenfalls Auseinandersetzungen gibt. Ich habe gar nicht an ein Schiff gedacht. Wir haben Pferde, aber kein Geld, um die Passage zu bezahlen. Wieviel verlangt dieser Mann?«