Mädchen? Wer? Moiraine ist ja wohl kein Mädchen mehr. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Vater der Lügen. Du lügst und lügst, und selbst wenn du die Wahrheit sagst, verdrehst du sie zu einer Lüge.«
»Tatsächlich, Lews Therin? Du weißt, was du bist und wer du bist. Ich habe es dir gesagt. Und diese Frauen aus Tar Valon haben es dir auch gesagt.« Rand verlagerte sein Gewicht, und Ba'alzamon lachte auf wie ein leichter Donnerschlag. »Sie glauben sich in ihrer Weißen Burg sicher, aber unter meinen Anhängern befinden sich sogar einige von ihnen. Die Aes Sedai namens Moiraine sagte dir, wer du bist, nicht wahr? Log sie? Oder gehört sie zu meinen Anhängern? Die Weiße Burg will dich benutzen wie einen Hund an der Leine. Lüge ich? Lüge ich, wenn ich behaupte, daß du das Horn von Valere suchst?« Er lachte erneut. So sehr ihn das Nichts auch beruhigte, so konnte sich Rand doch kaum zurückhalten, die Ohren zu bedecken. »Manchmal bekämpfen sich alte Feinde so lange, daß sie zu Verbündeten werden, ohne es zu bemerken. Sie glauben, einen Schlag gegen dich zu führen, aber die Verbindung ist so eng geworden, daß es ist, als führest du den Schlag selbst.«
»Du führst mich nicht«, sagte Rand. »Ich verleugne dich.«
»Ich habe dich an tausend Fäden gebunden, Brudermörder, jeder feiner als Seide und stärker als Stahl. Die Zeit hat tausend Fäden zwischen uns geknüpft. Die Schlacht, die wir beide geschlagen haben — erinnerst du dich eigentlich noch an irgendeinen Teil davon? Hast du eine Ahnung davon, daß wir zuvor gekämpft, unzählige Schlachten geschlagen haben seit dem Beginn der Zeit? Ich weiß viel, was du vergessen hast. Der Kampf wird bald beendet sein. Die Letzte Schlacht kommt. Die letzte, Lews Therin. Glaubst du wirklich, du könntest sie meiden? Du armer zitternder Wurm. Du wirst mir dienen oder sterben. Und diesmal beginnt der Zyklus mit deinem Tod nicht wieder aufs neue. Das Grab gehört dem Großen Herrn der Dunkelheit. Diesmal wirst du mit deinem Tod gänzlich vernichtet werden. Diesmal wird das Rad gebrochen, gleichgültig, was du anstellst, und die Welt wird neu geformt werden. Diene mir! Diene Shai'tan, oder du wirst für immer vernichtet!«
Bei der Erwähnung dieses Namens schien sich die Luft zu verdichten. Die Dunkelheit hinter Ba'alzamon schwoll an und wuchs und drohte, alles zu verschlingen. Rand fühlte, wie sie ihn einschloß. Kälter war sie als Eis und gleichzeitig heißer als glühende Kohlen, schwärzer als der Tod, und sie zog ihn in ihre Tiefen, verschlang die Welt um ihn herum.
Er packte den Griff seines Schwertes, bis ihm die Knöchel schmerzten. »Ich verleugne dich und verleugne deine Macht! Ich wandle im Licht. Das Licht bewahrt uns, und wir sind sicher in der Hand des Schöpfers.« Er blinzelte. Ba'alzamon stand noch immer da, und die große Dunkelheit hing noch immer hinter ihm, doch es schien, als sei alles andere eine Sinnestäuschung gewesen.
»Willst du mein Gesicht sehen?« Es kam als Flüstern.
Rand schluckte. »Nein.«
»Du solltest aber.« Eine im Handschuh steckende Hand griff an die schwarze Maske. »Nein!«
Die Maske wurde entfernt. Es erschien das schrecklich verbrannte Gesicht eines Mannes. Aber zwischen den schwarzgeränderten roten Rissen in diesen Zügen sah die Haut gesund und glatt aus. Dunkle Augen blickten Rand an; grausame Lippen lächelten unter dem Aufblitzen weißer Zähne. »Sieh mich an, Brudermörder, und betrachte den hundertsten Teil deines Schicksals.« Einen Augenblick lang wurden Augen und Mund zu Toren in endlose Flammenhöhlen. »Das kann die unkontrollierte Macht fertigbringen und selbst mir antun. Aber ich heile, Lews Therin. Ich kenne den Weg zu noch größerer Macht. Ich werde dich verbrennen wie einen Falter, der in einen Brennofen fliegt.«
»Ich werde es nicht berühren!« Rand fühlte, wie ihn das Nichts umgab, fühlte Saidin. »Das werde ich nicht.«
»Du kannst dich nicht selbst aufhalten.«
»Laß-mich-in-RUHE!«
»Macht.« Ba'alzamons Stimme wurde leise und lockend. »Du kannst endlich wieder Macht haben, Lews Therin. Du bist jetzt, in diesem Moment, mit ihr verbunden. Ich weiß es. Ich kann es sehen. Fühle sie, Lews Therin. Fühle das Glühen in deinem Inneren. Fühle die Macht, die du beherrschen kannst. Du mußt sie nur ergreifen. Aber der Schatten liegt zwischen dir und ihr. Wahnsinn und Tod. Du mußt nicht sterben, Lews Therin, niemals mehr.«
»Nein«, sagte Rand, aber die Stimme fuhr fort und bohrte sich in ihn hinein.
»Ich kann dich lehren, die Macht zu beherrschen, damit sie dich nicht vernichtet. Es existiert sonst niemand, der dich das lehren könnte. Der Große Herr der Dunkelheit kann dich vor dem Wahnsinn behüten. Die Macht kann dein sein, und du kannst ewig leben. Ewig! Du mußt mir nur dienen. Nur dienen. Einfache Worte — ›Ich bin dein, Großer Herr!‹ —, und die Macht wird dir gehören. Eine Macht jenseits dessen, wovon diese Frauen von Tar Valon träumen, und dazu ewiges Leben, wenn du dich nur mir ergibst und mir dienst.«
Rand leckte sich über die Lippen. Nicht wahnsinnig werden! Nicht sterben! »Niemals! Ich wandle im Licht«, krächzte er heiser, »und du kannst mich niemals berühren!«
»Dich berühren, Lews Therin? Dich berühren? Ich kann dich verschlingen. Probier sie aus und wisse, was ich weiß!«
Die dunklen Augen wurden wieder zu Flammen und der Mund ebenfalls, Flammen, die aufblühten und wuchsen, bis sie heller als die Sommersonne schienen. Sie wuchsen, und plötzlich glühte Rands Schwert, als sei es gerade erst aus dem Schmiedfeuer gezogen worden. Er schrie auf, als der Griff ihm die Hand verbrannte, schrie und ließ das Schwert fallen. Und der Nebel fing Feuer, Feuer, das sich ausbreitete und alles verbrannte.
Schreiend schlug Rand auf seine Kleidung ein, die rauchte und rußte und zu Asche zerfiel. Er schlug mit Händen, die sich schwärzten und die schrumpften, als sich das nackte Fleisch in den Flammen abschälte. Er schrie. Schmerz schlug auf das Nichts in seinem Inneren ein, und er bemühte sich, tiefer in die Leere hineinzukriechen. Das Glühen war da, das befleckte Licht gerade außerhalb seiner Sicht. Halb verrückt und nicht mehr daran interessiert, was es eigentlich war, griff er nach Saidin, versuchte, sich darin einzuhüllen, versuchte sich darin vor dem Brennen und dem Schmerz zu verstecken.
So plötzlich, wie das Feuer aufgeflammt war, verschwand es wieder. Rand blickte erstaunt auf die Hand, die aus dem roten Ärmel seines Mantels ragte. Auf der Wolle war keine auch nur angesengte Stelle zu entdecken. Ich habe mir alles nur eingebildet. Verzweifelt sah er sich um. Ba'alzamon war weg. Hurin wälzte sich im Schlaf herum; der Schnüffler und Loial waren immer noch zwei aus dem Bodennebel herausragende Erhebungen. Ich habe es mir tatsächlich nur eingebildet.
Bevor die Erleichterung in ihm aufsteigen konnte, stach ihm der Schmerz in die rechte Hand, und er drehte sie um und betrachtete sie. Über die ganze Handfläche war ein Reiher eingebrannt, der Reiher vom Griff seines Schwertes, zornig und rot, so sauber eingebrannt, als habe ein Künstler das Werk vollbracht.
Er zog ungeschickt ein Taschentuch aus der Manteltasche und wickelte es um die Hand. Die Hand pulsierte nun. Da konnte das Nichts ihm helfen — er war sich im Nichts des Schmerzes bewußt, fühlte ihn aber nicht —, aber er schlug sich das aus dem Kopf. Zweimal hatte er nun, ohne es zu wollen — und dazu einmal ganz bewußt; das konnte er nicht vergessen —, versucht, die Macht zu lenken, während er sich im Nichts befand. Dazu wollte ihn Ba'alzamon verlocken. Das war es, was Moiraine und die Amyrlin von ihm wollten. Er würde ihnen den Gefallen nicht tun.