Выбрать главу

»Ein Auge!« rief die Frau. Sie klang überraschend ruhig, wenn man an ihre vorherigen Schreie dachte. »Ihr müßt ein Auge treffen, um das Biest zu töten!«

Er zog die Sehne mit einem weiteren Pfeil bis ans Ohr zurück. Zögernd suchte er das Nichts; er wollte eigentlich nicht, aber schließlich hatte es Tam ihm gerade für diesen Zweck beigebracht, und er wußte, daß der Schuß ohne die Hilfe des Nichts fehlgehen würde. Mein Vater, dachte er mit einem Gefühl des Bedauerns, und dann erfüllte ihn die Leere. Der flackernde Lichtschein von Saidin war auch da, aber er beachtete ihn nicht. Er war eins mit dem Bogen, mit dem Pfeil, mit der monströsen Gestalt, die auf ihn zujagte. Eins mit dem winzigen Auge. Er fühlte nicht einmal, wie der Pfeil die Sehne verließ.

Die Kreatur richtete sich zu einem weiteren Satz auf, und in diesem Augenblick traf der Pfeil das mittlere Auge. Das Ding landete auf allen vieren. Wasser und Schlamm spritzten auf. Wellen breiteten sich um die Kreatur aus, aber sie bewegte sich nicht mehr.

»Ein guter und mutiger Schuß!« rief die Frau. Sie saß auf ihrem Pferd und ritt auf ihn zu. Rand war überrascht, daß sie nicht davongerannt war, als die Aufmerksamkeit des Dinges von ihr abgelenkt wurde. Sie ritt an dem Ungeheuer vorbei, das im Todeskampf zuckte, ohne auch nur hinunterzublicken, ließ ihr Pferd die Böschung erklimmen und stieg ab. »Nur wenige Männer hätten den Mut, sich dem Angriff eines Grolms zu stellen, Herr.«

Sie war weiß gekleidet. Ihr Kleid war zum Reiten geschlitzt, von einem silbernen Gürtel zusammengehalten, und die Stiefel, die unter dem Saum hervorlugten, waren mit Silber verziert. Sogar der Sattel war weiß mit Silberknöpfen. Ihre Schimmelstute mit dem edel gekrümmten Hals und dem spielerischen Schritt war beinahe so hochrahmig wie Rands Hengst. Aber alles, was er in diesem Moment sah, war die Frau selbst. Sie war etwa so alt wie Nynaeve, vermutete er. Zum einen war sie groß — noch eine Handspanne mehr, und sie hätte ihm direkt in die Augen sehen können. Zum anderen war sie schön. Ihre elfenbeinblasse Haut bildete einen scharfen Kontrast zu dem nachtdunklen langen Haar und den schwarzen Augen. Er hatte andere schöne Frauen gesehen. Moiraine war schön, wenn auch auf eine kühle Art, und auch Nynaeve sah schön aus, wenn sie nicht gerade einen Wutausbruch erlitt. Egwene und Elayne, die TochterErbin von Andor, waren beide schön genug, um einem Mann den Atem stocken zu lassen. Doch diese Frau... Die Zunge klebte ihm am Gaumen, und er fühlte, wie sein Herz zu klopfen begann. »Euer Gefolge, Herr?«

Überrascht blickte er sich um. Hurin und Loial waren angekommen. Hurin sah sie genauso an, wie Rand es von sich selbst vermutete, und sogar der Ogier schien fasziniert. »Meine Freunde«, sagte er. »Loial und Hurin. Ich heiße Rand. Rand al'Thor.«

»Ich habe noch niemals darüber nachgedacht«, sagte Loial, und es klang, als spräche er zu sich selbst, »aber wenn es etwas wie die vollkommene menschliche Schönheit gibt, Gesicht und Gestalt, dann seid Ihr... «

»Loial!« rief Rand. Die Ohren des Ogier versteiften sich vor Verlegenheit. Rands Ohren waren rot angelaufen. Loials Worte hatten zu genau dem entsprochen, was er selbst empfand.

Die Frau lachte melodiös, doch im nächsten Augenblick hatte sie ihre edle Haltung wiedergewonnen und wirkte wie eine Königin auf ihrem Thron. »Man nennt mich Selene«, sagte sie. »Ihr habt Euer Leben riskiert und meines gerettet. Ich gehöre Euch, Lord Rand al'Thor.« Und zu Rands Entsetzen kniete sie vor ihm nieder.

Er sah Hurin und Loial nicht an und zog sie hastig wieder auf die Beine. »Ein Mann, der nicht bereit ist, für eine Frau zu sterben, ist kein Mann.« Sofort beschämte er sich selbst, indem er rot wurde. Es war eine Redensart der Schienarer, und er wußte schon, daß sie allzu pompös klang, bevor die Worte noch seinen Mund verlassen hatten, aber ihr Gebaren hatte ihn angesteckt, und er konnte sich nicht zurückhalten. »Ich meine... Das heißt, es war...« Narr, du kannst doch einer Frau nicht sagen, es sei nichts, ihr Leben gerettet zu haben. »Es war mir eine Ehre.« Das klang in etwa schienarisch und auch höflich. Er hoffte, dies sei die richtige Antwort gewesen. Ansonsten war sein Verstand wie leergefegt, als befände er sich noch im Nichts.

Plötzlich wurde er sich ihres Blickes bewußt, der auf ihm ruhte. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert, aber unter ihren dunklen Augen fühlte er sich nackt. Unbewußt stellte er sich Selene ebenfalls nackt vor. Wieder errötete er. »Äh! Äh, wo kommt Ihr her, Selene? Seit wir hier sind, haben wir noch kein menschliches Wesen getroffen. Wohnt Ihr in einer nahen Stadt?« Sie sah ihn nachdenklich an, und er trat einen Schritt zurück. Ihr Blick machte ihm ihre körperliche Nähe zu deutlich bewußt.

»Ich komme nicht von dieser Welt, Herr«, sagte sie. »Hier gibt es keine Menschen. Nichts lebt hier außer den Grolm und ähnlichen Kreaturen. Ich komme aus Cairhien. Und wie ich hierherkam, weiß ich nicht genau. Ich war ausgeritten und hielt an, um ein wenig zu schlafen. Als ich aufwachte, befanden sich mein Pferd und ich hier. Ich kann nur hoffen, Herr, daß Ihr mich erneut rettet und mir helft, wieder nach Hause zu kommen.«

»Selene, ich bin kein... Das heißt, nennt mich doch bitte Rand.« Seine Ohren waren schon wieder heiß. Licht, es schadet niemandem, wenn sie mich für einen Lord hält. Seng mich, das schadet doch nicht!

»Wenn Ihr wünscht... Rand.« Ihr Lächeln schnürte ihm den Hals zusammen. »Ihr werdet mir helfen?«

»Natürlich werde ich das.« Seng mich, sie ist so schön. Und sie sieht mich an wie einen Helden aus einer Sage. Er schüttelte den Kopf, um ihn von solch närrischen Gedanken zu befreien. »Aber zuerst müssen wir die Männer finden, denen wir folgen. Ich werde mich bemühen, Euch vor aller Gefahr zu bewahren, aber wir müssen sie finden. Mit uns zu kommen ist besser für Euch, als allein hierzubleiben.«

Einen Augenblick lang schwieg sie. Ihr Gesicht wirkte ausdruckslos, die Züge waren glatt. Rand hatte keine Ahnung, was sie überlegte, außer daß sie ihn erneut genau zu mustern schien. »Ein pflichtbewußter Mann«, sagte sie schließlich. Ein leichtes Lächeln verzog ihre Lippen. »Das mag ich. Ja. Wer sind diese Übeltäter, denen Ihr folgt?«

»Schattenfreunde und Trollocs, Lady«, platzte Hurin heraus. Er verbeugte sich ungeschickt im Sattel. »Sie begingen Morde in der Festung von Fal Dara und stahlen das Horn von Valere, Lady, aber Lord Rand wird es wieder zurückholen.«

Rand sah den Schnüffler vorwurfsvoll an. Hurin grinste schwach. Alle Geheimhaltung dahin! Hier spielte das vielleicht keine große Rolle, dachte er sich, aber wenn sie wieder in ihrer eigenen Welt wären... »Selene, Ihr dürft niemandem von dem Horn erzählen. Wenn es herauskommt, haben wir hundert Leute auf den Fersen, die das Horn auch suchen, aber für sich selbst.«

»Nein, das darf niemals sein«, sagte Selene. »Das darf nicht in die falschen Hände fallen. Das Horn von Valere. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie oft ich davon geträumt habe, es zu berühren, es in Händen zu halten. Ihr müßt mir versprechen, daß ich es berühren darf, wenn Ihr es habt.«

»Bevor ich dazu in der Lage bin, müssen wir es erst finden. Wir sollten jetzt besser aufbrechen.« Rand bot ihr die Hand zum Aufsteigen, und Hurin kletterte herab, um ihr den Steigbügel zu halten. »Was das auch für ein Ding gewesen sein mag, das ich tötete — ein Grolm? —, es könnten noch mehr davon in der Gegend sein.« Ihr Griff war fest und überraschend kräftig, und ihre Haut war —Seide? Etwas noch Weicheres, Glatteres. Rand überlief es kalt.