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Der Steuermann hielt grimmig sein Ruder fest. Er hatte die Beine gespreizt, um das Gleichgewicht besser zu halten. An Deck gingen die Matrosen barfuß und konzentriert ihrer Arbeit nach. Wenn sie zum Himmel hinauf oder auf den Fluß hinunterblickten, rissen sie ihren Blick schnell wieder weg und murmelten leise Flüche. Ein Dorf verschwand gerade hinter ihnen, und am Ufer lief ein Junge entlang. Für eine kurze Strecke hatte er mit den Schiffen mitgehalten, doch jetzt ließen sie ihn hinter sich zurück. Als er verschwand, kehrte Egwene unter Deck zurück.

In der kleinen Kabine, die sie sich teilten, funkelte Nynaeve sie böse aus ihrer engen Koje an. »Sie sagen, daß wir heute noch nach Tar Valon kommen. Licht, hilf mir, bin ich froh, wieder an Land zu gehen, selbst wenn es Tar Valon ist.« Das Schiff schwankte in Wind und Strömung, und Nynaeve mußte schlucken. »Ich werde nie wieder ein Boot betreten«, murmelte sie erstickt.

Egwene schüttelte das Spritzwasser des Flusses aus ihrem Umhang und hängte ihn an einen Haken neben der Tür. Es war eine beengte Kabine — auf dem Schiff gab es nur kleine Kabinen, wie es schien, nicht einmal jene, die die Amyrlin vom Kapitän übernommen hatte, war geräumig, wenn auch etwas größer als die anderen. Die beiden Kojen waren in die Wand eingebaut; darüber befanden sich Schubfächer und darunter Regalbretter, so daß alles gleich zur Hand war.

Obwohl es schwierig war, das Gleichgewicht zu halten, störte die Bewegung des Schiffs Egwene nicht in dem Maß, wie es bei Nynaeve der Fall war. Sie hatte es aufgegeben, Nynaeve etwas zu essen anzubieten, nachdem die Seherin das dritte Mal die Schüssel nach ihr geworfen hatte. »Ich mache mir Sorgen um Rand«, sagte sie.

»Ich mache mir Sorgen um alle«, antwortete Nynaeve undeutlich. Einen Augenblick später fragte sie: »Wieder ein Traum letzte Nacht? So wie du seit dem Aufstehen ins Leere geschaut hast... «

Egwene nickte. Sie hatte es nie sehr gut verstanden, etwas vor Nynaeve zu verheimlichen, und bei den Träumen hatte sie es gar nicht erst versucht. Nynaeve hatte zuerst versucht, sie deshalb auf den Arm zu nehmen, aber als sie hörte, daß sich eine Aes Sedai dafür interessierte, glaubte sie ihr. »Er war wie die anderen. Anders, aber im Prinzip das gleiche. Rand befindet sich in Gefahr. Ich weiß es. Und es wird schlimmer. Er hat etwas getan oder wird etwas tun, daß ihn in...« Sie ließ sich auf das Bett fallen und beugte sich zu der Freundin hinüber.

»Ach, könnte ich mir nur einen Reim darauf machen!«

»Wendet er die Macht an?« fragte Nynaeve leise.

Unwillkürlich sah sich Egwene um, ob nicht jemand lauschte. Sie waren allein, die Tür war geschlossen, und trotzdem sprach sie ganz leise. »Ich weiß nicht. Vielleicht.« Man wußte nie, was Aes Sedai alles fertigbrachten — sie hatte bereits genug gesehen, um alles zu glauben, was man sich über ihre Fähigkeiten erzählte —, und sie wollte nicht riskieren, daß jemand sie belauschte. Ich setze doch Rand nicht aufs Spiel. Von Rechts wegen müßte ich es ihnen erzählen, aber Moiraine weiß Bescheid, und sie hat nichts gesagt. Außerdem ist es Rand! Ich kann nicht. »Ich weiß nicht mehr weiter.«

»Hat Anaiya noch etwas zu diesen Träumen gesagt?« Nynaeve fügte aus Prinzip niemals den Titel Sedai hinzu. Die meisten Aes Sedai schienen sich nicht darum zu kümmern, aber diese Angewohnheit hatte ihr schon ein paar befremdete und auch ein paar böse Blicke eingebracht; schließlich reiste sie zur Weißen Burg, um sich dort ausbilden zu lassen.

»Das Rad webt, wie das Rad es wünscht.« Egwene imitierte Anaiya: »›Der Junge ist weit weg, Kind, und wir können nichts unternehmen, bis wir mehr wissen. Ich werde dafür sorgen, daß ich selbst deine Fähigkeiten überprüfe, wenn wir die Weiße Burg erreicht haben, Kind.‹ Aaaach! Sie weiß, daß an diesen Träumen etwas dran ist. Ich fühle es deutlich. Ich mag diese Frau, Nynaeve, wirklich! Aber sie will mir einfach nicht sagen, was ich wissen muß. Ich kann ihr nicht alles erzählen. Wenn ich könnte, vielleicht... «

»Wieder der Mann mit der Maske?«

Egwene nickte. Irgendwie fand sie es besser, Anaiya nichts von ihm zu erzählen. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum, doch sie war sich ganz sicher. Dreimal war der Mann mit den Augen aus Feuer in ihren Träumen aufgetaucht, immer wenn sie etwas träumte, das Rand in Gefahr zeigte. Er trug immer eine Gesichtsmaske. Manchmal konnte sie seine Augen sehen, und manchmal sah sie nur Flammen an der Stelle seiner Augen. »Er lachte mich aus. Es war so... voller Verachtung. Als sei ich ein Welpe, den er mit dem Fuß beiseite schieben müsse. Das ängstigt mich. Ich fürchte mich vor ihm.«

»Bist du sicher, daß es etwas mit den anderen Träumen zu tun hat, den Träumen von Rand? Manchmal ist ein Traum doch nur ein Traum.«

Egwene hob gereizt die Hände. »Und manchmal, Nynaeve, redest du schon genauso wie Anaiya Sedai!« Sie legte besondere Betonung auf den Titel und freute sich, als Nynaeve das Gesicht verzog.

»Falls ich noch einmal aus dieser Koje herauskomme, Egwene... «

Was auch immer sie noch hatte sagen wollen, wurde durch ein Klopfen an die Tür unterbrochen. Bevor Egwene etwas sagen oder sich auch nur bewegen konnte, kam die Amyrlin selbst herein und schloß die Tür hinter sich. Erstaunlicherweise war sie einmal allein. Sie verließ sonst nur selten ihre Kabine und dann auch nur mit Leane an der Seite und vielleicht noch einer der Aes Sedai.

Egwene sprang auf. Der Raum war ziemlich voll mit drei Menschen.

»Fühlt Ihr Euch beide wohl?« fragte die Amyrlin aufmunternd. Sie hielt den Kopf schief und sah Nynaeve an. »Ich hoffe, Ihr eßt auch gut? Seid Ihr guter Stimmung?«

Nynaeve setzte sich mühsam auf und lehnte sich gegen die Wand. »Meine Stimmung ist ausgezeichnet, vielen Dank.«

»Es ist uns eine Ehre, Mutter«, begann Egwene, aber die Amyrlin gab ihr durch einen Wink zu verstehen, sie solle schweigen.

»Es ist gut, sich wieder auf dem Wasser zu befinden, aber wenn man nichts zu tun hat, wird es mit der Zeit so langweilig wie ein Mühlteich.« Das Schiff schwankte, und sie verlagerte ihr Gewicht, ohne es überhaupt zu bemerken. »Heute unterrichte ich Euch.« Sie setzte sich im Schneidersitz auf das Ende von Egwenes Koje. »Setzt Euch, Kind.«

Egwene setzte sich, aber Nynaeve bemühte sich, auf die Beine zu kommen. »Ich denke, ich gehe an Deck.«

»Ich sagte, setzt Euch!« Die Stimme der Amyrlin peitschte durch die Kabine, aber Nynaeve versuchte immer noch, wankend aufzustehen. Sie stützte sich mit beiden Händen am Bett ab, doch sie stand schon fast. Egwene war schon bereit, sie aufzufangen, falls sie stürzte.

Dann schloß Nynaeve die Augen und setzte sich wieder auf das Bett. »Vielleicht bleibe ich doch. Es ist oben bestimmt windig.«

Die Amyrlin lachte auf. »Man sagte mir, Ihr hättet eine Laune wie eine Möwe mit einer Gräte in der Kehle Einige meinen, Kind, es sei besser für Euch, eine Weile als Novizin zu verbringen, gleichgültig, wie alt Ihr schon seid. Ich dagegen sage, wenn Ihr wirklich die Fähigkeiten besitzt, von denen ich hörte, verdient Ihr es, unter die Aufgenommenen eingereiht zu werden.« Sie lachte erneut. »Ich glaube daran, jedem das zu geben, was er verdient hat. Ja. Ich vermute, Ihr werdet eine Menge lernen, wenn Ihr einmal in der Weißen Burg seid.«

»Mir wäre es lieber, einer der Behüter brächte mir bei, wie man ein Schwert gebraucht«, grollte Nynaeve. Sie schluckte krampfhaft und öffnete die Augen weit. »Es gibt jemanden, bei dem ich das gern verwenden würde.« Egwene warf ihr einen scharfen Blick zu. Meinte Nynaeve damit die Amyrlin — das wäre dumm und gefährlich —oder Lan? Sie hatte Egwene jedesmal angefaucht, wenn Lan erwähnt wurde.