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Egwene kam ordentlich ins Schwitzen, bis die Amyrlin endlich ging. Sie hatte geglaubt, einige der anderen Aes Sedai seien harte Lehrerinnen gewesen, aber diese lächelnde Frau mit dem nichtssagenden Gesicht holte die letzten Reserven aus ihnen heraus, pumpte sie aus, und wenn keine Energie mehr übrig war, schien sie in die beiden einzudringen und immer noch etwas aus ihnen herauszuholen. Aber die Stunde war gut verlaufen. Als sich die Tür hinter der Amyrlin schloß, hob Egwene eine Hand. Eine winzige Flamme entstand, balancierte um Haaresbreite über ihrem Zeigefinger und tanzte anschließend von Fingerspitze zu Fingerspitze. Sie durfte das eigentlich nicht ohne die Anwesenheit einer Lehrerin tun — mindestens einer der Aufgenommenen —, aber sie war zu freudig erregt ob ihrer Fortschritte, um darauf zu achten.

Nynaeve sprang auf und warf ihr Kissen nach der sich schließenden Tür. »Diese gemeine, verachtungswürdige, miese — Hexe! Das Licht soll sie versengen! Ich würde sie gern an die Fische verfüttern. Ich würde ihr gern Elixiere einflößen, damit sie für den Rest ihres Lebens grün anläuft! Es ist mir gleich, daß sie alt genug ist, um meine Mutter zu sein. Wenn ich sie in Emondsfeld hätte, könnte sie sich nicht mal fünf Minuten lang ruhig auf den Hintern setzen... « Sie knirschte so laut mit den Zähnen, daß Egwene zusammenfuhr.

Egwene ließ die Flamme ersterben und richtete den Blick fest auf ihren Schoß. Sie hätte sich gern aus dem Raum geschlichen, ohne Nynaeves Aufmerksamkeit zu erregen.

Für Nynaeve war die Unterrichtsstunde nicht so gut verlaufen, denn sie hatte ihr Temperament streng gezügelt, bis die Amyrlin weg war. Sie konnte aber nur dann viel erreichen, wenn sie wütend war, aber dann brach alles aus ihr heraus. Nachdem sie eins ums andere Mal versagt hatte, hatte die Amyrlin ihr Bestes getan, sie wieder richtig aufzuregen.

Nynaeve stolzierte steif hinüber zu ihrer Koje und starrte die Wand an. Die Fäuste hatte sie geballt. Egwene sah die Tür sehnsuchtsvoll an.

»Es war ja nicht deine Schuld«, sagte Nynaeve, und Egwene fuhr zusammen. »Nynaeve, ich... «

Nynaeve drehte sich um und sah sie an. »Es war nicht deine Schuld«, wiederholte sie, klang aber nicht ganz überzeugend. »Aber wenn du jemals auch nur ein Wort weitererzählst, dann werde ich... «

»Kein Sterbenswörtchen«, beteuerte Egwene schnell. »Ich erinnere mich an gar nichts, was ich erzählen könnte.«

Nynaeve blickte sie noch einen Moment lang an und nickte dann. Plötzlich verzog sie das Gesicht. »Licht, ich hätte nicht gedacht, daß etwas noch schlechter schmecken könnte als rohe Schafszungenwurzel!«

Egwene zuckte zusammen. Das war das erste gewesen, was die Amyrlin probiert hatte, um Nynaeve wütend zu machen. Plötzlich war ein dunkler Klumpen aufgetaucht, der wie Schmiere glänzte und schrecklich stank. Während die Amyrlin Nynaeve mit Hilfe der Macht festhielt, wurde der Seherin das Zeug in den Mund hineingezwungen. Die Amyrlin hatte ihr sogar die Nase zugehalten, damit sie es schluckte. Und Nynaeve vergaß nie, was sie einmal erlebt hatte — sie war schrecklich nachtragend. Egwene wußte, daß es keine Möglichkeit gab, sie von ihrer Rache abzuhalten. Bei allem Erfolgsgefühl, daß sie eine Flamme zum Tanzen bringen konnte, hätte sie die Amyrlin niemals an der Wand festgehalten. »Wenigstens wirst du jetzt nicht mehr seekrank.«

Nynaeve brummte und lachte dann kurz und hart auf. »Ich bin zu wütend, um seekrank zu sein.« Nach einem weiteren freudlosen Lacher schüttelte sie den Kopf. »Ich fühle mich zu schlecht, um seekrank zu sein. Licht, ich fühle mich, als hätte mich einer rückwärts durch ein Astloch gezogen. Wenn so der Unterricht bei den Novizinnen aussieht, dann erwarten uns ja herrliche Zeiten.«

Egwene blickte finster auf ihre Knie. Im Gegensatz zu Nynaeve hatte die Amyrlin lediglich ruhig auf sie eingeredet, ihre Erfolge belächelt, Verständnis für gelegentliches Versagen ausgedrückt und ihr dann wieder Streicheleinheiten geschenkt. Aber alle Aes Sedai hatten behauptet, in der Weißen Burg werde es schwieriger werden, härter, auch wenn keine gesagt hatte, inwiefern. Wenn sie Tag für Tag das durchmachen mußte, was Nynaeve erlebt hatte, dann konnte sie das wohl kaum durchhalten.

Etwas änderte sich an der Bewegung des Schiffes. Das Schaukeln ließ nach, und auf Deck über ihren Köpfen trampelten Schritte. Ein Mann rief etwas, das Egwene nicht ganz verstehen konnte.

Sie blickte zu Nynaeve auf. »Glaubst du... Tar Valon?«

»Es: gibt nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden«, antwortete Nynaeve und nahm entschlossen ihren Umhang vom Haken.

Als sie an Deck kamen, rannten überall Matrosen herum, zogen an Tauen, refften Segel und hielten lange Stangen bereit. Der Wind war zu einer Brise abgeflaut, und die Wolken zerstreuten sich allmählich.

Egwene eilte zur Reling. »Es stimmt! Es ist Tar Valon!« Nynaeve trat mit ausdruckslosem Gesicht neben sie.

Die Insel war so groß, daß es eher so wirkte, als teile sich der Fluß in zwei Arme. Brücken, die aus zarten Spitzen zu bestehen schienen, spannten sich von jedem Ufer zur Insel hinüber. Die Stadtmauer, die Leuchtende Mauer von Tar Valon, glänzte weiß, als die Sonne durch die Wolken brach. Und nahe dem westlichen Ufer erhob sich schwarz der Drachenberg, aus dessen zerrissenem Gipfel eine dünne Rauchfahne quoll. Es war der einzige Berg in einer ebenen, von welligen Hügeln eingerahmten Landschaft. Der Drachenberg, wo der Drache gestorben war. Der Drachenberg, der durch den Tod des Drachen entstand.

Egwene mußte wieder an Rand denken, als sie den Berg ansah. Ein Mann, der die Macht lenkt. Licht, hilf ihm.

Die Flußkönigin fuhr durch eine breite Öffnung in einer hohen kreisförmigen Mauer, die sich über den Fluß erstreckte. Drinnen zog sich eine lange Kaimauer rund um den Hafen. Matrosen legten die letzten Segel zusammen und verwendeten die Stangen, um das Schiff mit dem Heck nach vorn an den Anlegeplatz zu befördern. Überall an der Kaimauer wurden nun die anderen Schiffe, die ebenfalls den Fluß heruntergekommen waren, an ihre Liegeplätze zwischen die bereits dort befindlichen Schiffe gezurrt. Die Flagge mit der Weißen Flamme lockte Arbeiter herbei, die den schon belebten Kai noch mehr bevölkerten.

Die Amyrlin kam an Deck, bevor noch die Haltetaue festgemacht waren, und Arbeiter brachten sofort einen Laufsteg herbei, als sie erschien. Leane schritt an ihrer Seite, den Stab mit der Flammenspitze in der Hand, und die anderen Aes Sedai auf dem Schiff folgten ihr an Land. Keine von ihnen warf Egwene und Nynaeve auch nur einen Blick zu. Auf dem Kai begrüßte eine Delegation die Amyrlin — Aes Sedai, mit ihren Stolen bekleidet, die sich höflich verbeugten und den Ring der Amyrlin küßten. Auf dem Kai quirlte alles durcheinander: Schiffe wurden entladen, die Amyrlin wurde begrüßt, Soldaten formierten sich, um an Land zu gehen, Männer richteten Ladebäume auf; Trompetensignale hallten von der Mauer wider und konkurrierten mit den Hurrarufen der Zuschauer.

Nynaeve schniefte laut. »Es scheint, man hat uns vergessen. Komm mit. Wir machen uns selbständig.«

Egwene riß sich nur schwer vom Anblick Tar Valons los, aber sie folgte Nynaeve nach unten, um ihre Sachen zu packen. Als sie mit Bündeln auf den Armen wieder nach oben kamen, waren die Soldaten und Trompeter fort, und die Aes Sedai ebenfalls. Männer öffneten die Luken an Deck und rollten Taue um ihre Halterungen.

An Deck packte Nynaeve einen der Schauerleute am Arm — einen stämmigen Burschen in einem groben, braunen, ärmellosen Hemd. »Unsere Pferde...«, begann sie.

»Ich bin beschäftigt«, grollte er und riß sich los. »Die Pferde werden alle zur Weißen Burg gebracht.« Er musterte sie von oben bis unten. »Wenn Ihr in der Weißen Burg etwas zu erledigen habt, dann bewegt Euch. Die Aes Sedai mögen es nicht, wenn Neulinge sich vertrödeln.« Ein anderer Mann, der sich mit einem Ballen abmühte, der an einem Tau aus einer Luke gezogen wurde, schrie ihm etwas zu, und er ließ die beiden stehen, ohne einen Blick zurückzuwerfen.