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Egwene und Nynaeve sahen sich an. Es schien, daß man sie wirklich sich selbst überlassen hatte.

Nynaeve stolzierte mit einem Ausdruck grimmiger Entschlossenheit los, Egwene hingegen ging traurig den Laufsteg hinunter. Über dem Kai lag ein Geruch nach Teer. All das Geschwätz, daß sie uns hier haben wollen, und nun scheint es sie nicht mehr zu kümmern.

Breite Treppen führten vom Kai hinauf zu einem weiten Sandsteinbogen. Als sie ihn durchschritten, blieben Egwene und Nynaeve stehen und nahmen den Anblick in sich auf, der sich ihnen bot.

Jedes Gebäude erschien ihnen wie ein Palast, obgleich die näher an dem Torbogen gelegenen meist Schenken oder Läden beherbergten, nach den Schildern über den Türen zu schließen. Überall sah man kunstvolle Friese. Die Form eines Gebäudes schien so gewählt, daß es das danebenstehende ergänzte und besser zur Geltung brachte. Für den Betrachter wirkte das, als sei alles Teil eines einzigen riesigen Musters. Einige der Strukturen sahen nicht einmal wie normale Gebäude aus, sondern wie riesige Wogen, die sich am Strand brachen, oder wie Muscheln oder kunstvolle, vom Wind abgeschliffene Klippen. Vor dem Torbogen lag ein breiter Platz mit einem Brunnen und Bäumen, und Egwene erkannte weiter hinten einen weiteren solchen Platz. Über allem erhoben sich die Türme, hoch und elegant in den Himmel; einige waren durch weit geschwungene Brücken miteinander verbunden. Und über allen wiederum erhob sich eine Burg, ein Turm, höher und breiter als alle anderen und so weiß wie die Leuchtende Mauer selbst.

»Raubt einem beinahe den Atem, wenn man es zum erstenmal sieht«, sagte eine Frauenstimme hinter ihnen. »Allerdings auch noch beim zehnten und beim hundertsten Mal.«

Egwene drehte sich um. Die Frau war eine Aes Sedai, da war sie sicher, auch wenn sie keine Stola trug. Niemand sonst sah so alterslos aus, und dazu strömte sie ein solches Selbstvertrauen, solche Sicherheit aus, daß es gar nicht anders sein konnte. Ein Blick auf ihre Hand zeigte den goldenen Ring mit der Schlange, die sich in den eigenen Schwanz biß. Die Aes Sedai mit ihrem warmen Lächeln war ein wenig mollig und vom Aussehen her eine der eigenartigsten Frauen, die Egwene je gesehen hatte. In dem runden Gesicht zeichneten sich ganz deutlich hohe Backenknochen ab, ihre klaren blaßgrünen Augen standen schräg und ihr Haar war beinahe feuerrot. Egwene mußte sich zurückhalten, um dieses Haar und diese Augen nicht unhöflich anzustarren.

»Natürlich von Ogiern erbaut«, fuhr die Aes Sedai fort, »und wohl das absolute Meisterstück ihrer Baukunst, so sagt man. Eine der ersten Städte, die nach der Zerstörung errichtet wurden. Damals wohnten hier kaum fünfhundert Menschen — nicht mehr als zwanzig Schwestern —, aber sie bauten für die Bedürfnisse der Nachwelt.«

»Es ist eine wunderschöne Stadt«, sagte Nynaeve.

»Man erwartet, daß wir uns zur Weißen Burg begeben. Wir sind hierhergekommen, um ausgebildet zu werden, aber nun scheint sich niemand darum zu kümmern, ob wir gehen oder bleiben.«

»Sie kümmern sich«, meinte die Frau lächelnd. »Ich bin hergekommen, um Euch abzuholen, aber ich wurde durch ein Gespräch mit der Amyrlin aufgehalten. Ich bin Sheriam, die Oberin der Novizinnen.«

»Ich werde keine Novizin«, sagte Nynaeve mit Entschlossenheit in der Stimme, aber ein wenig vorschnell. »Die Amyrlin selbst sagte, ich solle eine der Aufgenommenen werden.«

»Das hat man mir auch gesagt.« Sheriam klang amüsiert. »Ich habe noch nie von einem solchen Fall gehört, aber man sagt, Ihr wärt — außergewöhnlich. Denkt aber daran, daß sogar eine der Aufgenommenen in mein Arbeitszimmer gerufen werden kann. Sie muß dann wohl einige Vorschriften mehr gebrochen haben als eine Novizin, aber es ist schon vorgekommen.« Sie wandte sich Egwene zu, als habe sie Nynaeves gerunzelte Stirn nicht bemerkt. »Und Ihr seid unsere neue Novizin. Es ist immer gut, wenn eine neue kommt. Heutzutage haben wir viel zu wenige. Mit Euch sind es vierzig. Nur vierzig. Und nicht mehr als acht oder neun von Euch werden zu den Aufgenommenen erhoben. Ich glaube aber nicht, daß Ihr Euch darüber Gedanken machen müßt, solange Ihr hart arbeitet und Nützliches leistet. Die Arbeit ist schwer, und auch für jemanden mit Eurem Talent wird sie nicht leichter. Falls Ihr das nicht durchhaltet, ganz gleich, wie schwer es ist, oder falls Ihr unter der Belastung zusammenbrecht, sollten wir das am besten gleich herausfinden und Euch Eurer Wege ziehen lassen und nicht erst warten, bis Ihr eine volle Schwester seid und andere sich auf Euch verlassen. Das Leben einer Aes Sedai ist nicht einfach. Hier werden wir Euch darauf vorbereiten, wenn Ihr das Notwendige in Euch tragt.«

Egwene schluckte. Unter der Belastung zusammenbrechen? »Ich werde es versuchen, Sheriam Sedai«, sagte sie matt. Und ich werde nicht zusammenbrechen.

Nynaeve sah sie besorgt an. »Sheriam... « Sie hielt inne und holte tief Luft. »Sheriam Sedai« — sie schien den Titel aus sich herauszuzwingen —, »muß es denn für sie so schlimm kommen? Fleisch und Blut können eben nur soviel ertragen und nicht mehr. Ich weiß... ein bißchen von dem... was die Novizinnen durchmachen müssen. Sicher wird es doch nicht notwendig sein, sie zu zerbrechen, um festzustellen, wie stark sie ist.«

»Ihr meint, was die Amyrlin heute mit Euch angestellt hat?« Nynaeves Rücken versteifte sich. Sheriam machte den Eindruck, als bemühe sie sich krampfhaft, ernst zu bleiben. »Ich habe Euch ja gesagt, daß ich mit der Amyrlin gesprochen habe. Macht Euch keine Sorgen um Eure Freundin. Die Übungen der Novizinnen sind schwer, aber nicht so schwer. Was Ihr erlebt habt, war für die ersten Wochen einer Aufgenommenen gedacht.« Nynaeve stand mit offenem Mund da; Egwene glaubte, ihr würden gleich die Augen aus dem Kopf fallen. »Man muß die wenigen erwischen, die sich unberechtigterweise als Novizinnen gerade so durchgemogelt haben. Wir können nicht riskieren, daß eine von uns — eine volle Aes Sedai —unter der Belastung der Welt dort draußen zusammenbricht.« Die Aes Sedai nahm die beiden freundschaftlich in die Arme, um sie wegzuführen. Nynaeve schien gar nicht zu bemerken, wohin sie ging. »Kommt«, sagte Sheriam, »ich werde Euch zu Euren Zimmern bringen. Die Weiße Burg erwartet Euch.«

19

Unter dem Dolch

Die Nacht am Abhang von Brudermörders Dolch war kalt, so wie es die Nächte im Gebirge für gewöhnlich immer waren. Der Wind peitschte von den Gipfeln herunter und trug die Eiseskälte der Gletscher mit sich.

Rand wälzte sich auf dem harten Boden herum, zupfte an Umhang und Decke und konnte nicht richtig schlafen. Seine Hand suchte nach dem Schwert, das neben ihm lag. Noch ein Tag, dachte er schläfrig. Noch ein weiterer Tag, und dann geben wir auf. Wenn morgen niemand kommt, weder Ingtar noch die Schattenfreunde, dann bringe ich Selene nach Cairhien.

Das hatte er sich auch schon vorher vorgenommen. An jedem Tag, den sie hier am Berghang verbracht und den Ort beobachtet hatten, an dem Hurin, seinen eigenen Worten nach, die Spur verloren hatte, sagte er sich, es sei Zeit zum Aufgeben. Selene hatte behauptet, in dieser Welt würden die Schattenfreunde auf jeden Fall auftauchen. Und sie sprach vom Horn von Valere, berührte seinen Arm, sah ihm in die Augen, und bevor er wußte, was er tat, hatte er bereits zugestimmt, einen weiteren Tag hier zu warten, bevor sie abreisten.

Er machte sich ganz klein, um dem kalten Wind keine Angriffsfläche zu bieten, und dachte daran, wie Selene seinen Arm berührte und ihm in die Augen sah. Wenn Egwene das sehen könnte, würde sie mich zusammenputzen wie einen Schuljungen — und Selene womöglich auch. Mittlerweile könnte Egwene ja in Tar

Valon sein und sich darauf vorbereiten, eine Aes Sedai zu werden Wenn sie mich das nächste Mal sieht, wird sie vielleicht versuchen, mich niederzumachen.