Выбрать главу

Der Vertreter des Kaufmannsstandes, dem ich meine Pläne meldete und bei dem ich die Hafengebühren zahlte, stellte keine Fragen. Er wollte nicht einmal die Registrierung der Tesephone in Tabor sehen. Die Magistrate, die nach den Kaufmannsgesetzen den Freihafen Lydius’ kontrollieren, interessieren sich mehr für einen häufigen Besuch ihres Hafens als für eine strikte Einhaltung der Vorschriften. So hatte ich an den Docks auch zwei grüne Schiffe gesehen. Grün ist die Farbe der Piraten. Vermutlich zahlten sie ihr Hafengeld, gaben irgendein Geschäft zu Protokoll und wurden ebenso kommentarlos aufgenommen wie ich. Die Kaufmannsherrschaft in Lydius entspricht übrigens der Regierungsform auf den Austauschinseln, auch freie Inseln genannt, wie auch Teletus, die angeblich der Heimathafen meiner Tesephone war. Im Verlauf meiner Reisen hatte ich drei Inseln dieser Art kennengelernt – Tabor, Teletus und Scagnar im Norden, vor Torvaldsland gelegen. Dabei wird auf Tabor und Teletus besonders strikt regiert, was eine gewisse Beeinträchtigung des Geschäfts bedeutet. In Lydius jedoch werden die Gesetze großzügig gehandhabt. Die meisten Häfen und Inseln stehen allerdings nicht unter der Kontrolle von Kaufleuten, sondern unter der von Magistraten, die durch Stadträte bestimmt werden. In Port Kar wacht über die Hafeneinrichtungen ein Komitee aus vier Magistraten, das Hafenkonsortium, das direkt dem Kapitänsrat untersteht. Dieser Rat ist seit dem Untergang der verfeindeten Ubars die höchste Macht in der Stadt.

Der Vertreter der Kaufmannskaste, der uns im Hafen von Lydius empfing, lächelte, als er meine Angaben notierte. Vermutlich glaubte er mir nicht. Er hatte sich meine Leute angeschaut, die ja auch wirklich nicht wie Handelsruderer aussahen.

Wir lagen neben einem mittelgroßen Rammschiff aus Tyros, dessen Masten gelb gestrichen waren. Ein Schiffsmaat beugte sich zu uns herüber. »Wie ich höre, seid ihr aus Tabor!« sagte er.

»Ja!« erwiderte ich.

»Wir kommen aus Turia«, rief er herüber.

Ich lächelte. Turia ist eine Stadt im tiefen Süden. Sie liegt im Land der Wagenvölker und ist Tausende von Pasang von der Küste entfernt. Er hätte ebensogut Tor als Heimatstadt angeben können, eine Oasisstadt südöstlich von Ar.

Ich grüßte ihn mit einer Handbewegung und wandte mich ab.

Rim, Thurnock und ich drängten uns weiter durch die Menge.

Wir kamen an großen Warenstapeln vorbei, die später auf Barken verladen und nach Laura gebracht werden sollten – Werkzeuge, Metalle, Stoffe. Auch sahen wir Waren, die von Laura gekommen waren und für andere Ziele bestimmt waren – vor allen Dingen Felle aller Art. Wir kamen an befestigten Lagerhäusern vorbei, deren Flächen an verschiedene Kaufleute vermietet waren. Hier wurden Juwelen und Gold, kostbare Weine, Parfums und Gewürze gestapelt, wertvolle Waren, die man nicht unbewacht im Freien lagern konnte.

Ich dachte an das Mädchen, das mich vorhin angerempelt hatte. Irgend etwas an ihr war mir aufgefallen, doch ich wußte immer noch nicht, was es war.

Es war inzwischen fast Mittag.

»Kehren wir in eine Pagataverne ein«, schlug ich vor.

»Einverstanden«, sagte Thurnock. »Ich habe Hunger.«

Wir lachten und suchten ein Lokal auf, das nicht zu überfüllt war. Ich war in guter Stimmung, denn ich glaubte zuversichtlich, daß ich Talena finden würde. Wir wählten einen Tisch im Hintergrund der Taverne, von dem aus wir alles gut überblicken konnten. Eine füllige junge Tänzerin erfreute die Gäste. Eine dunkelhaarige Sklavin in gelbem Seidengewand, eine Pagasklavin, erschien neben uns. »Paga, ihr Herren?« fragte sie.

»Für drei«, sagte ich großzügig. »Und bring uns Brot, Boskfleisch und Weintrauben.«

»Jawohl, Herr.«

Die Musiker spielten recht gut. Ich griff nach meinem Beutel, um ihnen eine goldene Tarnmünze zuzuwerfen.

»Was ist los?« fragte Thurnock.

Ich hob verblüfft die Schnur des abgeschnittenen Geldbeutels und sah etwas einfältig Rim und Thurnock an. Dann begannen wir zu lachen.

»Das Mädchen!« sagte ich. »Die Schwarzhaarige, die mich in der Menge angerempelt hat!«

Rim nickte.

Ich nickte anerkennend. Die Kleine mußte sehr geschickt und schnell gearbeitet haben. Eine geübte Diebin. Erst jetzt merkte ich, daß sie mich beraubt hatte.

»Hoffentlich ist wenigstens deine Börse noch da«, sagte ich zu Thurnock.

Er griff hastig an seinen Gürtel und grinste. »Alles in Ordnung. Wir können essen.«

Und das taten wir.

Während der Mahlzeit hob ich plötzlich den Kopf. »Das war es!« rief ich und lachte.

»Was ist los?« fragte Thurnock mit vollem Mund.

»Eben ist mir eingefallen, was mit dem Mädchen war, das mir den Beutel gestohlen hat«, sagte ich. »Die ganze Zeit versuchte ich mich daran zu erinnern. Ihr Ohr hatte eine Kerbe.«

Rim und Thurnock lachten. »Eine verurteilte Diebin!« sagte Thurnock und griff nach seinem Pagakelch.

»Eine sehr geschickte Diebin, das muß ich sagen.«

Ich bewundere Talent und Tüchtigkeit anderer Menschen – die Kunst des Lederarbeiters mit seiner Nadel, die kräftigen, formenden Hände des Töpfers, den Umgang des Weinbauern mit seinen Reben, die Geschicklichkeit des Kriegers mit seinen Waffen. Auch das Stehlen war eine Kunst – besonders unter solchen Umständen.

Ich sah mich um. In einer Ecke der Taverne saßen gedankenverloren zwei Männer über dem Brett mit den hundert Quadraten und spielten Kaissa. Der eine war ein berufsmäßiger Spieler, der andere der blonde Riese aus Torvaldsland, den ich vorhin auf der Straße gesehen hatte. An den anderen Tischen saßen weitere Gäste und unterhielten sich.

Wir hatten gegessen und leerten unseren zweiten Pagakelch. Das Mädchen, das uns bediente, kniete neben uns. »Wünscht ihr Herren noch mehr?« fragte sie. Sie war sehr hübsch.

»Wie heißt du?« erkundigte sich Rim und legte ihr die Hand auf das Haar.

Sie sah ihn an. »Tendite«, erwiderte sie, »wenn es dem Herrn gefällt.«

In diesem Augenblick erscholl draußen Lärm. Eine Menschenmenge johlte. Männer riefen durcheinander. Wir sahen uns an. Thurnock warf einen Silbertarsk auf den Tisch, und wir verließen die Taverne, um uns den Aufruhr anzuschauen. Viele Gäste folgten unserem Beispiel, und auch das Tanzmädchen und die Musiker eilten zur Tür.

Wir gingen die Straße entlang, bis wir zu einer Seitengasse kamen, die zu einem der Docks hinabführte. Eine dichte Menschenmenge erwartete uns. Wir hörten Trommelschlag und den schrillen Klang von Flöten.

»Was ist denn los?« fragte ich einen Mann aus der Kaste der Metallarbeiter.

»Eine richterliche Versklavung«, sagte er. »Ein Mädchen ist des Diebstahls überführt worden.«

Auf einem flachen Wagen stand ein Mann in der purpurgoldenen Robe eines Handelsmagistrats. Vor ihm kniete ein Mädchen.

Ich erkannte sie sofort. Es war die Diebin, die mir meinen Beutel gestohlen hatte, das kesse Mädchen mit der Kerbe im Ohr. Offenbar hatte sie nach dem Coup bei mir weniger Glück gehabt und war erwischt worden. Ich wußte wohl, welche Strafe eine goreanische Frau erwartete, die zum zweitenmal beim Diebstahl erwischt wurde.

»Brandet das Mädchen!« sagte der Richter, der sein Urteil gesprochen hatte, und verließ die Plattform.

Die Menge brüllte. Ein Mann in Lederhandschuhen stieg auf den Wagen, nahm ein glühendes Brandeisen aus einem Feuerkessel, zerrte den Rock des Mädchens hoch und brannte ihr das Sklavenzeichen in den Oberschenkel. Die Verurteilte schrie auf vor Schmerzen. Ein Murmeln ging durch die Menge.

Nun drehte der Mann das schluchzende Mädchen um und zerrte sie hoch. »Hier ist eine namenlose Sklavin!« rief er. »Was wird für sie geboten?«

»Vierzehn Kupfermünzen!« rief ein Mann.

»Sechzehn!« bot ein anderer.

Ich entdeckte in der Menge zwei Männer von meinem Schiff und winkte sie heran.

»Zwanzig Kupferstücke!« rief ein Lederarbeiter.

Ich stellte fest, daß sich der Richter und seine Musikkapelle zurückgezogen hatten. Nur die acht Sklavenmädchen, die den Richterwagen ziehen mußten, standen noch an der Deichsel und beobachteten die Menge. Gut zweihundert Männer und Frauen drängten sich herbei, um die improvisierte Versteigerung zu verfolgen.