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„Woher wissen Sie das?“

„Diese Worte hier, sie …“, begann Sam und stockte. Er sah auf die Seite hinunter und bemerkte, dass die Worte, die dort geschrieben standen, nicht nur in einer fremden Sprache abgefasst waren, sondern auch in Buchstaben, die dem lateinischen Alphabet nicht im Entferntesten ähnelten. Trotzdem hatten sie sich vor seinen Augen automatisch übersetzt.

Sam blinzelte erneut und spürte, wie sein Puls immer stärker im Hals pochte, bis er das Blut in seinen Ohren dröhnen hörte. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Dann schaute er sich noch einmal die Buchstaben auf der Seite an und sah nur einen undurchdringlichen Dschungel voller Symbole.

„Ich weiß nicht …“, brachte er heraus. „Ich weiß nicht mal, warum ich das lesen konnte. Ich weiß nicht einmal, was für eine Sprache das ist.“

„Es ist Koptisch“, sagte McClane, dessen Stimme vor Überraschung vollkommen hohl klang. „Es ist eine tote Sprache. Niemand spricht das – jedenfalls nicht mehr.“

„Nun …“ Sam schluckte und versuchte, sich wieder zu sammeln. „In letzter Zeit haben sich die Dinge für mich etwas anders entwickelt.“

„Das hört sich auch so an“, sagte Tommy misstrauisch. Er sah Sam eine Weile schweigend an und schien dann zu einem Entschluss gekommen zu sein. „Wo wir gerade von anders sprechen, schauen Sie sich das mal an.“ Er blätterte weiter in dem Tagebuch und zog eine dicke, steife Daguerreotypie heraus, die er vorsichtig an der Ecke anfasste und sie Sam reichte. „Das ist die einzige bekannte Fotografie des alten Jubal.“

Sam betrachtete es. Das Foto zeigte einen hageren Soldaten mit einem keilförmigen Gesicht in einer schmutzigen, schlecht sitzenden Uniform. Seine Augen lagen im Schatten seiner Schirmmütze, aber es gab keinen Zweifel, dass ein düsteres Grinsen seinen Weg auf das Gesicht des Mannes gefunden hatte. Beauchamp sah aus wie jemand, der ein Geheimnis im Herzen trug – eines, das so finster und verheißungsvoll war, dass es, einmal enthüllt, kein Halten mehr geben würde.

Um den Hals trug er ein altes Seil, das zu einer Schlinge geknüpft war.

„Haben Sie ein Vergrößerungsglas?“, fragte Sam. Dann sah er den Computer an. „Oder noch besser: einen Scanner? Ich muss das unbedingt in Großaufnahme sehen.“

„Sicher“, piepste Nate und sah zu seinem Vater auf. „Darf ich, Dad?“

„Du weißt, wie man ihn benutzt“, sagte Tommy, und der Junge lief mit dem alten Foto zu einem der Computer, die Sam auf dem Weg in die Bibliothek gesehen hatte.

Als Nate außer Hörweite war, lehnte sich McClane näher zu Sam hinüber.

„Hören Sie“, sagte er, „hier sind noch ein paar Einträge in dem Tagebuch. Lauter Zeug, das ich noch nicht übersetzen konnte. Nach der Nummer, die Sie gerade mit der koptischen Schrift abgezogen haben, wollen Sie sich das vielleicht ansehen. Mal schauen, ob Sie sich darauf einen Reim machen können.“

Sam schlug die nächste Seite von Beauchamps Tagebuch auf. Seine Handschrift hatte sich so verändert, dass sie aussah, als würde sie von einer ganz anderen Person stammen. Die Buchstaben waren verdreht und zackig und mit Symbolen und Zeichen durchsetzt, die wie zufällig auf der Seite verteilt waren, und doch …

Sam starrte auf die Buchstaben und sah, wie sich die Zeilen verformten, ein wenig über die fleckige Oberfläche schwammen und sich irgendwie zu etwas Bekanntem anordneten.

„Jemand anders hat das geschrieben“, erklärte er, „Es besagt, dass Jubal Beauchamp getötet und wiederbelebt wurde – aber durch die Macht der Schlinge …“ Er hielt inne, wollte es genau richtig treffen. „Der Mann, der das getan hat, war ein Bürgerkriegsarzt namens Percy. Als der Doktor mit seinen Experimenten an Jubals Körper fertig war, beerdigte er Beauchamps Überreste in einem Eisensarg. Sein Geist wurde von einem Zauber gebunden, dem er nicht entrinnen konnte.“

Als er aufsah, starrte Tommy ihn an.

„Sie sind kein gewöhnlicher Jäger, oder?“, fragte der Mann.

„Ich …“, Sam wog eine ganze Anzahl möglicher Antworten ab, dann schüttelte er einfach nur den Kopf. „Nein.“

Ein längeres Schweigen senkte sich auf die beiden, nicht unangenehm, aber auch nicht wirklich angenehm. Dann fasste Sam sich ein Herz.

„Ich weiß Ihre Hilfe wirklich zu schätzen.“

Tommy antwortete nicht sofort. Stattdessen schob er seinen Stuhl zurück, drehte sich um und nickte in Richtung der Tür, durch die sie hereingekommen waren. Darüber konnte Sam ein kleines, dunkles Objekt erkennen, nicht viel größer als eine Hand, das an der Wand über dem Eingang angebracht war. Er stand auf, um es sich anzusehen.

Es war ein Bündel aus Haar oder Pelz, das sorgfältig um eine Auswahl von Wurzeln und Hühnerknochen gewickelt war.

„Eine Sigille gegen Unglücksboten“, sagte Sam. „Haben Sie das selbst gemacht?“

„Ich passe auf mich und die Meinen auf“, sagte Tommy in ruhigem Ton. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin auf dem College gewesen. Ich bin kein autodidaktischer Hinterwäldler. Aber wir sind hier im Süden. Sie wären überrascht, was wir hier so alles zu sehen bekommen.“ Er sah Sam prüfend an. „Oder vielleicht auch nicht.“

„Weiß jemand, wo Beauchamp begraben wurde?“

„Nein. Die Überlieferungen besagen, dass er und Dutzende anderer Soldaten irgendwo in einem Massengrab auf dem Schlachtfeld begraben worden sind. Anonym und an die Zeit verloren. Und wahrscheinlich ist’s am besten, alles so zu belassen, wenn Sie mich fragen.“

„Danke für Ihre Hilfe“, sagte Sam.

Tommy McClane nickte. Irgendetwas schien ihn immer noch zu beschäftigen – eine Art Unruhe, die er nicht mit Worten ausdrücken konnte. Als Sam sich zum Gehen wandte, sprach er mit leiser Stimme.

„Sam?“

„Ja?“

„Ich weiß, dass Sie ein Jäger sind, also wissen Sie, worauf Sie sich einlassen. Aber der Boden hier ist blutgetränkt. Was immer Sie auch tun werden, Ich hoffe für Sie, dass Sie nicht zu fest auftreten.“ Er atmete ein und wieder aus. „Ein Teil des Zeugs liegt nicht allzu tief begraben.“

„Sie wissen doch, was Faulkner über die Vergangenheit gesagt hat“, entgegnete Sam.

„Ja. Er sagte, sie ist nicht tot. Nicht einmal vorbei.“ Dann hellte sich Tommys Miene etwas auf, und er fügte hinzu: „Geben Sie mir Ihre Telefonnummer und E-Mail-Adresse. Ich sorge dafür, dass Nate Ihnen den Scan als Anhang schickt.“

Sam nickte.

„Und hey!“

„Ja?“

„Sie wollen bestimmt wissen, wie der Süden den Krieg wirklich verloren hat?“

Sam runzelte die Stirn.

„Ich bin nicht sicher, ob ich das …“

„Schauen Sie nach dem Abendessen bei mir zu Hause vorbei, wenn Sie möchten. 440 Baxter Springs Road. Wir setzen uns auf die Veranda, trinken Eistee und reden über Geister. Und vergessen Sie Ihren Bruder nicht …“

„Dean“, sagte Sam und willigte ein.

Der Junge kam zurück und legte das Foto vorsichtig wieder an seinen angestammten Platz. Dann bahnten sich die drei ihren Weg zurück zur Haustür.

Sam winkte Tommy und Nate zum Abschied zu und ging die Treppen hinunter in die Nacht hinaus.

Acht

In der kleinen, verrauchten Bar drängten sich die Menschen. Im hinteren Bereich stand ein Billardtisch, und aus der Jukebox dröhnte Battleship Chains von den Georgia Satellites in einer Lautstärke, die dem Kanonendonner vom Schlachtfeld kaum nachstand. Das Publikum, eine Mischung aus Typen in Bürgerkriegsuniformen und solchen in moderner Kleidung, versuchte, irgendwo Platz zum Tanzen zu finden.

Hinter dem Tresen prangte die Konföderiertenflagge neben einem ausgestopften Hirschkopf. Irgendjemand hatte wohl schon vor langer Zeit einen Pappteller über dem Geweih befestigt, auf dem in Handschrift „schicker Vorbau“ stand.

„Ich glaube, die haben hier kein WLAN“, murrte Dean über den Tisch ihrer Sitznische hinweg. „Hier geht es ja zu wie in der Cantina in STAR WARS.