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„Dean …“

„Wir müssen abhauen.“ Dean zitterte so sehr, dass seine Stimme versagte. Er warf fieberhaft Blicke in alle Richtungen. „Wir müssen sie abschütteln, Sammy.“

„Das sind keine Höllenhunde, Dean. Es sind nur einfache Hunde.“

„Sie sind uns auf der Spur!“

„Okay, sieh mal.“ Sam stapfte ein paar Schritte vorwärts und fühlte, wie der Matsch unter seinen Stiefeln immer weicher wurde. „Hier ist es sumpfig. Das heißt, dass wir in der Nähe eines Flusses sein müssen. Wenn wir da durchlaufen, werden sie unsere Witterung verlieren. Stimmt’s?“

Dean antwortete nicht. Er horchte immer noch auf das Bellen und Heulen, das beständig näher kam und durch das Unterholz krachte. Er schien von dem Geräusch völlig paralysiert.

Keine Zeit mehr. Wenn wir etwas unternehmen wollen, dann jetzt!

Sam stieß seinen Bruder mit der Schulter an, schubste ihn vorwärts und zwang ihn, neben sich herzustampfen. Die Ausdünstungen des Sumpfes erfüllten seine Nase mit einem intensiven, pilzartigen Geruch nach toten Bäumen und stehendem Wasser. Es kam direkt von vorne. Sie stapften durch tiefe Pfützen. Weiter vorne raschelten Schilf und Rohrkolben mit merkwürdigen, knisternden Seufzern. Sam fühlte, wie das Wasser – sonnenwarm an der Oberfläche und darunter kalt und zäh – ihm bis zu den Knien ging. Dann, ganz plötzlich, reichte es bis zur Hüfte.

Nach dem ersten Schreck grunzte Sam nur und ging weiter. Von Zeit zu Zeit sah er sich nach seinem Bruder um, aber Dean bewegte sich jetzt von allein vorwärts.

Es wurde immer schwieriger, die Stiefel vom Grund zu heben. Die Hunde hörten sich an, als ob sie ziemlich nahe wären. Gerade so, als ob man, wenn man sich umdrehte, ihre Bewegungen im Unterholz erkennen könnte. Erschöpfung hatte sich in Sams Muskeln breitgemacht und seine Beine schwer werden lassen.

Sie bahnten sich den Weg durch Ansammlungen von Seerosen und Algenmasse. Als das Wasser ihnen bis zum Hals reichte, legten Sam und Dean die Köpfe in den Nacken.

„Sam?“, flüsterte Dean, und seine Stimme klang unsicher und hoch. „Hier wird es nicht seichter.“

Sam nickte und machte noch einen Schritt. Plötzlich war der schlammige Untergrund verschwunden, und sein Kopf geriet unter Wasser. Sein Fuß traf auf etwas am Boden, und er stieß sich ab. Keuchend kam er wieder an die Oberfläche, prustete und spuckte dreckiges Wasser aus, als er spürte, wie sich etwas an seinem Unterschenkel bewegte. Kurz darauf schlängelte sich eine Wasserschlange an der Wasseroberfläche entlang und verschwand zwischen den hohen Schilfgräsern.

Sam stieß ein heftiges Keuchen aus, und ein Gefühl der Panik breitete sich blitzartig in seinem Magen aus. Er sprang nach vorne und fand wieder mit den Füßen Halt. Ohne auf die Geschwindigkeit, Richtung oder Lärm zu achten, warf er sich vorwärts. Er wusste nicht einmal mehr, wie viel Zeit vergangen war, seit Dean hinter ihm seinen Namen gezischt hatte.

„Warte!“, sagte Dean. „Keine Bewegung!“

Sam erstarrte. Der Schleier aus fliegenden und stechenden Insekten legte sich immer dichter um seinen Hals und auf sein Gesicht. Sie schienen auf jedem Zentimeter seiner Haut zu krabbeln. Er sah, dass sein Atem vor dem Mund kleine Wellen auf dem Wasser aufwarf.

„Sie gehen in die andere Richtung.“

Dean hatte recht – das heulende Getöse der Hunde bewegte sich jetzt von ihnen fort, entfernte sich weiter, tiefer in den Wald.

„Abgeschüttelt.“ Dean atmete auf und schnüffelte dann in der Luft. Seine Stimme klang auf einmal anders. „Warte mal! Riechst du den Rauch?“

„Ja.“ Sam sah sich um und bemerkte einen orangefarbenen Schein zwischen den Bäumen. „Es kommt von da drüben.“

Mit vorsichtigen Bewegungen manövrierten die beiden sich aus dem Wasser zurück an Land. Dann bahnten sie sich den Weg zu einer kleinen Lichtung.

Auf der Lichtung brannte ein Lagerfeuer unbeaufsichtigt vor sich hin. Nicht weit davon entfernt standen zwei Zelte, die beide ebenso improvisiert wirkten wie die Behelfszelte aus Segeltuch und Seilen, die sie auf dem Schlachtfeld in Mission’s Ridge gesehen hatten. Die Zelte waren an der am weitesten vom Sumpf entfernten Stelle neben einem niedrigen Eichengehölz aufgebaut. An der Feuerstelle waren die Flammen bereits ziemlich schwach, und die Glut kokelte gerade noch stark genug, um die Insekten in Schach zu halten. Fetzen von wollenen Uniformen, zurückgelassenen Kniehosen, Rucksäcken und Stiefeln lagen am Rand des Lagers verstreut herum. Wer immer sie einst getragen hatte, musste sie achtlos hingeworfen haben. Einige der Sachen sahen aus, als wären sie zerrissen.

„Dean?“

Dean schnüffelte.

„Ja, das ist Schwefel.“

„Okay, Dämonen.“ Sam stieß das Feuer mit dem Fuß an. Daneben lagen Kanister mit Feuerzeugbenzin. „Das bedeutet was?“

„Wir sollten nicht hierbleiben, um Marshmallows zu rösten?“

„Wir sollten die Zelte durchsuchen.“

Dean sah ihn eindringlich an.

„Ernsthaft?“

„Vielleicht sind da Werkzeuge, mit denen wir diese Dinger abkriegen“, schlug Sam vor.

„Ja. Und wenn da irgendetwas drin ist, das größer als eine Hummel ist, wird es uns gewaltig in den Hintern treten.“

„Da ist nichts drin.“

Dean ging hinüber, trat die Zeltklappe zur Seite und bückte sich.

„Du hast recht“, sagte er. „Nur ein paar Schokoriegel-Verpackungen. Alter, diese Dämonen sind wirklich totale Schlampen! Bei dir auch?“

Sam hockte sich hin und sah in das Zelt. Zuerst dachte er, dass der Haufen im Schatten nur ein dreckiger Schlafsack wäre, auf dem noch mehr zerrissene Sachen lagen. Dann hörte er, wie die Fliegen mit ihren nichtssagenden, monotonen Fliegengeräuschen darum herumschwirrten. Er schob einen Fuß hinein und zog die fleckige Konföderiertenflagge herunter, mit welcher der Haufen drapiert war.

Das war kein Schlafsack.

Die aufgedunsene Leiche des Mannes unter der Fahne schien ihn anzulächeln. Er war bis zur Hüfte entkleidet. Die Arme und Beine waren an Seilen festgebunden, die mit Pflöcken in den Boden gerammt worden waren. Durch seine Lippen, Wangen und Augenlider hatte man Haken gestochen, die von Drähten gehalten wurden. Das Fleisch an Brust und Bauch hatte jemand Lage für Lage abgezogen. Die roten Muskeln und das Gewebe darunter waren wie bei einer Anatomiestunde freigelegt worden. In der Mitte der Brust hatte man einen größeren Eisenhaken, der an einer schwereren Kette hing, durch den geöffneten Brustkorb gestochen. Der Haken durchbohrte das Herz der Leiche.

„Heilige Scheiße!“, sagte Dean, als er Sam über die Schulter schaute. „Das ist Winston.“

„Wer?“

„Der Gerichtsmediziner, Ben Winston. Der Schwager des Sheriffs.“

„Er ist gefoltert worden.“

„Dämonen machen so etwas eigentlich nicht. Sie foltern Seelen in der Hölle, aber …“ Dean schüttelte den Kopf und ging ins Zelt. „Die wollten wirklich Informationen von ihm haben, und zwar dringend.“

Er beugte sich vor und stieß ein Bündel Lumpen neben Winstons Kopf mit dem Fuß an, und Sam hörte, wie Metallinstrumente darin klimperten.

„Klingt nach Zeug aus dem Mittelalter.“

„Wie was zum Beispiel?“

Dean antwortete nicht. Er starrte auf das, was er entdeckt hatte. Das Werkzeug zu seinen Füßen sah aus wie eine Kreuzung aus einer überdimensionierten Zange und einer Knochensäge. An seiner gezackten Schneide klebte getrocknetes Blut, Haarklumpen und menschliches Fett ungezählter Dekaden.

„Weißt du, wie man das benutzt?“

„Ja“, sagte Dean monoton. „Das weiß ich.“

Dean näherte sich Winstons ausgeweideter Leiche rücklings und ging neben ihr in die Knie, um das Instrument hinter seinem Rücken zu greifen. Einen Moment lang bewegte Dean seine Schultern und Ellbogen, dann hörte Sam, wie die Kette mit einem scharfen, spröden Klirren zersprang. Deans Hände erschienen wieder vor seinem Körper. An jedem Handgelenk trug er jetzt ein Armband aus Stahl.