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„Ist schon in Ordnung“, sagte Dean. „Lassen Sie mal den Jungen vorne mitfahren. Es ist schließlich mitten in der Nacht.“

„Sie sehen ja noch schlimmer aus als er“, sagte Tommy. „Außerdem hat er da hinten etwas, mit dem er sich beschäftigen kann.“

„Sie meinen ein Spiel?“

Tommy nickte geistesabwesend.

„So was Ähnliches.“

Sie fuhren von der Kirche weg durch eine leere, vom Mond erleuchtete Gasse. Tommy steuerte sie durch die Stadt und blickte ab und zu misstrauisch auf die Schlinge, die Sam immer noch auf dem Schoß liegen hatte und vorsichtig mit dem Stofffetzen festhielt. Aus dem Radio tönte die Marshall Tucker Band mit Can’t you see.

„Es ist schon merkwürdig“, sagte Tommy gedankenverloren. „Da hört man sein ganzes Leben lang Geschichten über etwas, und wenn man es dann endlich findet, fühlt man sich beinahe enttäuscht, wissen Sie?“

„Wir werden die Schlinge zerstören müssen“, sagte Sam. „Früher oder später.“

„Auf dem Schlachtfeld“, sagte Tommy. „Dort muss es passieren.“

„Warum dort?“

„Weil sie dort geknüpft wurde. Aristede Percy hat sie in einem Medizinzelt geknüpft. Mit den gleichen Knoten, die er benutzt hat, um auch die Leiche von Jubal Beauchamp zuzunähen.“

Deans Telefon klingelte. Er zog es hervor und sah auf den Bildschirm.

„Hm, es muss sich irgendwie von dem Bad im Sumpf erholt haben“, sagte er und drückte auf SPRECHEN. „Hey, Bobby!“

Sam beobachtete Dean, der nachdenklich das Messer in seiner Hand betrachtete, während er Bobby zuhörte.

„Bobby, was ist los, Mann?“ Die Stimme des väterlichen Freundes war ein einziges Rauschen, die Worte waren nicht klar genug, um sie erraten zu können. „Was? Ja, haben wir.“ Er blickte zu der Schlinge auf Sams Schoß und dann wieder auf das Messer. „Wir bereiten uns gerade darauf vor, es zu tun. Draußen auf dem Schlachtfeld.“ Er zog eine Augenbraue in Richtung Tommy hoch. „Wie weit ist es noch?“

„Wir sind fast da, sehen Sie?“

Vor dem Fenster leuchtete der Hügel im Mondlicht, obwohl sich die ersten Vorboten der Morgendämmerung bereits im Osten bemerkbar machten. Sam konnte die Umrisse einiger Zelte erkennen, die immer noch am Abhang verstreut zwischen den Kratern standen. Er musste daran denken, was Sarah gesagt hatte. Dass die Rollenspieler sich weigerten, abzuziehen, bevor ihnen jemand erklärt hatte, was mit ihren Kameraden passiert war.

„Also, ja, wir sind …“ Dean verstummte. „Was? Sag das noch mal?“ Der Pick-up fuhr mit knirschenden Reifen über den Parkplatz und hielt an. Bevor Sam fragen konnte, was los war, hörte er hinten auf der Ladefläche ein dumpfes Klopfen. Unter der Plane, die Dean und ihn auf dem Rückweg aus dem Sumpf bedeckt hatte, bewegte sich etwas. Ein tumultartiges Rumpeln war zu hören, das nach um sich tretenden Füßen oder boxenden Fäusten klang. Sam blickte über die Schulter, aber es war zu dunkel, um zu erkennen, was da los war.

„Tommy? Ist Nate da hinten in Sicherheit?“

„Oh ja!“, sagte Tommy. „Er kann auf sich selbst aufpassen.“

„Sind Sie sicher? Er ist doch erst, wie alt? Elf?“

„Warten Sie mal ’ne Sekunde“, fiel Dean drängend ein. „Bobby sagt, wir dürfen die Schlinge nicht zerschneiden. Er sagt, wenn wir das machen …“

Auf der Ladefläche des Trucks ertönte ein Schrei.

Fünfundzwanzig

Dean sprang aus dem Wagen und lief zum Heck. Er griff nach der Plane, riss sie zurück und brauchte mehrere Sekunden, um zu verstehen, was er darunter entdeckt hatte. In der Dunkelheit kämpften zwei Gestalten miteinander. Die eine drückte die andere nach unten und schlug mit schnellen, harten Schlägen auf ihr Opfer ein. Die Schreie wurden lauter, heftiger.

„Lass ihn in Ruhe!“, rief Dean, packte den Angreifer am Arm und drehte ihn um. Als der Schläger ihm das Gesicht zuwandte, sah Dean, dass der Arm, den er festhielt, zu Nate McClane gehörte.

„Was?“

Der Junge schenkte ihm ein wildes Grinsen. Dean wandte seine Augen von Nate ab, um das halb bewusstlose Opfer auf der Ladefläche anzusehen. Es war Sarah Rafferty.

„Sarah?“

Sie stöhnte, und ihre Lippen hatten Mühe, Worte zu formulieren.

„Hilfe …“

„Was hast du mit ihr gemacht?“, fragte Dean und drehte sich wieder zu Nate um.

Der Junge grinste immer noch. Er zog die Lippen zurück, sodass jeder einzelne seiner Zähne zu sehen war, und seine Augen wurden blitzartig schwarz. Die Tür des Pick-ups flog auf. Sam sprang heraus, einen Moment später stieg Tommy McClane auf seiner Seite aus und ging gemächlich an der Seite des Wagens entlang. McClane grinste genauso wie sein Sohn. Das Innere seiner Augen schien sich mit schwarzer Tinte gefüllt zu haben. Ein Schleier aus Mondlicht hing wie eine unheimliche Kutte über seiner Gestalt.

„Wir haben das Mädchen bloß zum Spielen mitgenommen“, sagte McClane. „Einfach so zum Spaß. Das ist doch eine nette Belohnung, oder? Schlägt mit Sicherheit jedes E-Book.“

„Sie haben das alles nur gemacht, damit Sie das Relikt bekommen?“, fragte Dean.

„Lassen Sie mich mal so sagen. Judas und seine Sammler waren etwas zu egoistisch, wenn es darum ging, auch mal jemand anders mit der Schlinge spielen zu lassen“, spottete der McClane-Dämon. „Also haben meine Brüder und ich angefangen, selbst danach zu suchen.“

Dean dachte an die Dämonen, denen er auf dem Hügel und dem Highway begegnet war.

„Ihre Brüder.“

„Wir haben Pläne“, sagte McClane. „Große Pläne.“

Dean schüttelte den Kopf.

Verdammt! Ich wusste doch, dass ich Sie gleich beim ersten Mal in die richtige Schublade gesteckt hatte.“

„Leider konnten wir keinen Fuß in den Raum unter der Kirche setzen“, nickte McClane. „Aber Ihr habt das für uns erledigt.“ Er sah den Nate-Dämon an. „Los! Mach sie fertig!“

Nate stürzte sich mit einem Knurren auf Sarah Rafferty. Sam packte Nate an den Schultern und schlug ihn mit dem Gesicht gegen die Seitenwand des Trucks. Der Kopf des Dämons prallte von dort ab und sackte nach unten. Sam spürte, wie ihm etwas aus der Hand gerissen wurde, und er erkannte, dass das Relikt weg war. Es war passiert, als er den Dämon gepackt hatte.

Nun hatte McClane die Schlinge. Fast schneller, als Sams Augen es verarbeiten konnten, hatte der Dämon sie um Deans Handgelenk geworfen und ihm das Messer entrissen. Sam rannte auf McClane zu, als plötzlich an seinem Hinterkopf ein Feuerwerk aus Schmerzen explodierte und sein gesamtes Sichtfeld von einem Kaleidoskop aus fliegenden Kristallen ausgefüllt wurde. Als er sich taumelnd umdrehte, sah er, wie Nate ihn angrinste und sich die Faust rieb. Hinter dem Dämon erhaschte er einen Blick auf Sarah Rafferty, die sich geradezu schmerzhaft langsam, Zentimeter für Zentimeter, in die Dunkelheit verkroch.

Links von ihm hatte McClane Dean in die Knie gezwungen und trat auf ihn ein. Dean kämpfte sich wieder zurück auf die Beine, und McClane trat ihn erneut und diesmal noch härter. Das kalte Klappern seines Lachens klang wie eine Handvoll Murmeln, die von jemandem auf den Marmorfußboden eines Museums geworfen worden waren. An seiner Stimme war nichts Menschliches mehr.

„Bist du bereit?“, fragte McClane, und Nate nickte. Der Ausdruck ungesunden Eifers auf dem Gesicht des Jungen war geradezu widerwärtig.

McClane erhob das Messer, steckte es in den ersten Knoten der Schlinge und drückte das Seil nach oben. Sam hörte ein Reißen, als die Klinge durch das Hanfgeflecht schnitt. Ein schwarzer Saft spritzte aus dem Seil wie Flüssigkeit aus einer infizierten Darmschlinge. Er lief an McClanes Händen entlang bis hinunter zu den Ellbogen.

Als Sam das sah, fiel ihm ein, wie schwer die Schlinge gewesen war. Ihm wurde klar, dass das einen Grund hatte. Sie lebte und pulsierte. In seinen Händen hatte sie sich angefühlt, als würde in ihr etwas hin und her schwappen. Gebannt starrte er darauf, wie die schwarze Substanz sich plötzlich glitzernd in der Nachtluft aufrichtete und sich genau so bewegte, wie er es schon einmal, hinten im Forensik-Mobil, gesehen hatte.