Выбрать главу

„Sie sind …“ Er zögerte und versuchte, sich an den Namen zu erinnern. „Ashcroft, richtig?“

„Ashgrove.“

„Sie gehören zum Zweiunddreißigsten. Wir haben uns schon einmal unterhalten.“

Sam blickte noch einmal durch das Loch im Zelt. „Ist dort draußen noch irgendjemand, der am Leben ist?“

„Nicht viele“, räumte Ashgrove ein. „Die meisten sind in die Stadt abgehauen, als die Polizei das Lager aufgelöst hat, oder …“ Seine Stimme wurde brüchig und plötzlich sah er aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. „Mein Gott, was passiert hier bloß?“

„Wir müssen diese Verwundeten in Sicherheit bringen“, sagte Sam. „Sofort.“ Er suchte sich einen Stiefel und ersetzte seinen verlorenen damit. Er hatte so ein Gefühl, dass sein Besitzer ihn nicht mehr brauchen würde.

Ashgrove schüttelte den Kopf.

„Wir bleiben hier.“

„In einem Zelt?“

„Es bietet uns Schutz. Wenn wir die in Ruhe lassen, wird das alles vielleicht einfach an uns vorbeiziehen.“

Sam sah nach hinten. Dort waren ein paar Tragbahren aus Leinwand aufgestapelt. Es waren die altmodischen, die mit Holzstangen an beiden Seiten.

„Wenn wir zwei Verwundete auf eine Bahre legen, können wir vielleicht entkommen, solange es noch geht. Ansonsten …“ Er schluckte und schmeckte etwas Säuerliches im Rachen, das sich von dort bis in seinen Bauch zu ziehen schien. „Ansonsten werden wir alle sterben.“

Der Unionssoldat blickte Sam direkt in die Augen. Er sah müde aus und ängstlich. Aber genau wie Ashgrove war er entschlossen, sich mit den Möglichkeiten des Überlebens auseinanderzusetzen.

„Sagen wir mal, wir kommen hier nicht raus“, sagte er. „Ash hat recht. Wir sind umzingelt. Wohin gehen wir?“

Sam öffnete schon den Mund, als er merkte, dass er auf diese Frage keine Antwort wusste.

„Ich habe da eine Idee.“

Die drei sahen zum Eingang des Zeltes. Dort stand Sarah Rafferty und hielt mit einer Hand den Stoff der Klappe des Zelteingangs umklammert. Ihr Gesicht wirkte stark angespannt, und die blauen Flecken unter ihren Augen ließen sie wie das Opfer eines besonders voreiligen Bestatters aussehen. Aber es war definitiv Sarah Rafferty – aufrecht und atmend. Sam spürte, wie ihn eine kleine Welle der Erleichterung durchlief, so als würde an diesem frühen Morgen vielleicht doch noch etwas klappen.

„Sarah“, sagte er. „sind Sie …?“

„Sarah?“, fragte Ashgrove und starrte sie an. „Warte mal, Tanner…? Du bist ’n Mädchen?“

Sarah winkte ab.

„Ich weiß, wohin wir können“, sagte sie.

Dreißig

Judas Ischariot schlenderte auf dem Hügel entlang. Er hatte in Betracht gezogen, für seinen Auftritt ein fahles Pferd zu verwenden, aber das schien ihm dann doch etwas zu protzig, selbst für seine Verhältnisse. Allein hier aufzutauchen führte das Schicksal auf eine Weise in Versuchung, mit der er sich nicht so ganz anfreunden konnte. Zeit und Erfahrung hatten ihn eine gewisse Umsicht gelehrt.

Aber letztendlich hatte er sich die Uniform eines Generals übergeworfen, den Degen umgeschnallt und war mit festen Schritten aus dem Wäldchen aus Lebenseichen herausmarschiert. Er schlenderte am südlichen Rand des Schlachtfelds entlang, um von oben zuzusehen, wie die Dinge sich entwickelten. Nicht, weil er den Lauf der Ereignisse verändern wollte – solche Dinge überließ man besser anderen –, sondern einfach nur, um sich an dem endlos amüsanten Spektakel des menschlichen Leidens zu ergötzen. Ebenso wie Kreuzigungen und Pornografie wurde das niemals langweilig.

Er war kurz vor Tagesanbruch eingetroffen, als weiter unten bereits der Kanonendonner und der laute Jubel der Dämonen zu hören war. Es trug nicht viel dazu bei, seine Stimmung zu heben. Die Nachricht von dem, was seinem Sammler im Keller der Pfingstkirche zugestoßen war, hatte ihn selbstverständlich schon erreicht. Sie hatte ihn verärgert und in jenen Zustand von Ruhelosigkeit und Depression gestürzt, der ihn in den vergangenen zweitausend Jahren immer wieder einmal heimgesucht hatte. Von den zwölf war er immer der Launischste gewesen, und ein Dämon zu werden hatte daran nichts geändert.

Und dann war da auch noch der Verlust der Schlinge.

Es gab auch noch andere Schlingen, natürlich, ein halbes Dutzend war irgendwo zwischen Burbank und Bangkok über die Welt verstreut. Die meisten befanden sich in den Händen von privaten Sammlern oder Okkultisten, die gar keine Ahnung hatten, was sie da besaßen. Es würden neue Schlingen hinzukommen, weil die Menschheit in ihrer unglaublichen Findigkeit immer wieder das Geheimnis des siebten Knotens entschlüsselte und so ihr eigenes Schicksal webte wie die gehorsamen Schäfchen, die sie nun einmal waren.

Aber nun gab es eine weniger.

Die Schlinge und den Sammler in der gleichen Nacht verloren zu haben, noch dazu an einen niederen Dämon wie diesen McClane, war ein Ärgernis für Ischariot. Aber wenigstens würde die Schlacht, die dieser Idiot hier entfesselt hatte, ihn …

„Judas?“

Er blieb stehen, weil er vollkommen überrascht war, seinen Namen laut ausgesprochen zu hören. Er drehte sich um und sah den Mann an, der ein paar Meter entfernt stand. Er trug einen zerknitterten Anzug und einen Trenchcoat und sah aus, als wäre er die halbe Nacht auf den Beinen gewesen. Als Judas ihn endlich erkannte, lächelte er.

„Castiel“, sagte er ehrlich erfreut. „Wie geht es dir, mein Freund?“

Castiel starrte ihn an.

„Ich habe dich überall gesucht.“

Judas richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schlacht.

„Es ist immer wieder ein Vergnügen zuzusehen, wie die Ameisen auf dem Ameisenhaufen herumwimmeln, nicht wahr?“ Als Castiel nicht antwortete, verdüsterte sich Judas’ Miene ein wenig. „Du machst mich doch sicher nicht hierfür verantwortlich?“

„Es war deine Schlinge.“

„Sie wurde mir gestohlen“, protestierte Judas, eher bockig als böse. „McClane und seine Gefolgsleute haben einen meiner Sammler in einen Hinterhalt gelockt und sie ihm weggenommen. Schlimmer noch, er hat deine Freunde dafür eingespannt.“

„Trotzdem war es deine Schlinge, also liegt alles Weitere in deiner Verantwortung.“

Judas schüttelte den Kopf und erhob beide Hände.

„Ich habe schließlich nicht deshalb so lange überlebt, weil ich mich in jedes unbedeutende kleine Geplänkel habe verwickeln lassen.“

„Das hier ist nicht einfach nur ein kleines, unbedeutendes Geplänkel“, sagte Castiel. „Nach allem, was bisher passiert ist, müsstest du wissen, was auf dem Spiel steht.“

„Und noch einmal, das ist nicht mein Problem.“

„Du machst dir keine Sorgen?“

Judas sah ihn stirnrunzelnd an.

„Natürlich tue ich das. Du kennst mich doch. Ich mache mir immer Sorgen.“ Er hielt inne, um einer Handvoll Dämonen auf Pferden zuzusehen, wie sie ein Zelt in Brand steckten. Mehrere menschliche Rollenspieler eilten heraus, und die Dämonen schossen ihnen mit ihren Musketen in den Rücken. Er konnte sogar ihr gehässiges Gelächter hören.

„Aber mal ganz ehrlich, wenn man das große Ganze betrachtet, was soll man schon machen?“ Dann wandte er sich wieder Castiel zu. „Warum bist du hier?“ Ein Ausdruck von Erkenntnis begann sich auf Judas’ Gesicht auszubreiten. „Was willst du von mir, Castiel?“

„Es ist etwas anderes.“

„Bemühe dich nicht, taktvoll zu sein! Das gehörte noch nie zu deinen Stärken.“

Castiel seufzte.

„Ich suche Ihn.“

„Immer noch?“

„Immer noch.“

„Ich weiß nicht, warum …?“ Judas brach mitten im Satz ab. „Warte! Du glaubst doch nicht etwa, dass ich …?“ Judas starrte Castiel mit gespanntem Blick und leicht geöffnetem Mund an. Das Gefühl der Ungläubigkeit schwoll zu vollkommener Fassungslosigkeit an und ließ alle Farbe aus Judas’ Gesicht entweichen. Einen Moment lang fühlte er sich, als ob er vor Wut gleich explodieren würde. Aber stattdessen brach er in schallendes Gelächter aus.