Выбрать главу

„Ich glaube, ich habe, was wir brauchen“, sagte er.

Sechsunddreißig

McClanes linkes Auge gewann seine Sehkraft zurück. Aber es war nicht mehr dasselbe. Er sah jetzt zwei unterschiedliche Welten von zwei unterschiedlichen Seiten seines Kopfes. Sein rechtes Auge war normal – so „normal“ wie das Weltbild eines Dämons eben sein konnte, der in einem unterirdischen Kriechkeller voller Jagdgelegenheiten und triebhafter Impulse lebte, die ständig auf ihn einprasselten –, aber auf dem linken Auge hatte sich seine Perspektive dramatisch verändert.

Wenn er das rechte Auge schloss und nur das linke geöffnet ließ, erwartete ihn eine völlig neue Landschaft, die aus Schattierungen in rötlichem Orange gemacht schien, beinahe wie glühende Bronze, die aus dem Schmiedeofen eines Bildhauers fließt. Er sah Emotionen, die sich als pulsierende Schattierungen von Blau und Grau manifestierten.

Verfolgt von Jeeps und Trucks ritt der Dämon, der sich Tommy McClane nannte, zurück in die Stadt. Unterwegs merkte er, dass es ihm gefiel, die Welt auf diese Weise zu sehen – insbesondere die Menschen. Er war dem Rituale entkommen und entspannte sich jetzt etwas, während er seine Truppen neu formierte.

Im Moment stand er allerdings unter Beschuss von beiden Seiten. Soldaten in Kettenfahrzeugen und Hummern feuerten auf ihn und sein dämonisches Gefolge, ohne große Wirkung zu erzielen. McClane hatte Spaß daran, durch sein linkes Auge zu schielen und die Auren der Menschen zu beobachten, eine Manifestation der nackten Angst in all ihrer Pracht und Herrlichkeit. Er sinnierte darüber, wie das wohl schmecken würde.

Dann öffnete er beide Augen und beobachtete, wie die Welt sich in beide Richtungen ausbreitete. Spektrale Gestalten seiner eigenen Armee, US-Militärpersonal und Zivilisten verwirbelten alle zu einem einzigen Pesthauch aus Bewegung und Absicht. Das war eine merkwürdige Art von Zauber, eher eine Illusion als echte Macht, aber in jedem Fall eine hübsche Ablenkung, und er wünschte sich den Luxus, sie voll auskosten zu dürfen. Aber er hatte eine Stadt zu besetzen und zu plündern. Er wusste natürlich, dass Daniels und die Winchesters versuchen würden, die Schlinge in den Reliquienschrein zurückzubringen. Alles, was er tun musste, war, sie davon abzuhalten.

Es war fast acht Uhr morgens, als McClanes hundert Mann starke Truppe durch den acht Blocks langen Bereich mit Läden und Gebäuden ritt, der das Zentrum von Mission’s Ridge bildete. Sie ritten am Dixie Buggy Wash vorbei, dem Twin Kiss und dem Ben Franklin Five and Dime. Einige, unter ihnen McClane, waren zu Pferde unterwegs, andere saßen auf Motorrädern oder in gestohlenen Polizei- oder Militärfahrzeugen, in denen immer noch tote Soldaten lagen. Dämonen in Konföderierten- und Unionsuniformen saßen am Steuer, während andere vom Beifahrersitz aus auf die letzten Stadtbewohner feuerten, die sich zu beiden Seiten der Hauptstraße in Deckung brachten.

Es war wie ein Truthahnschießen, schlicht und einfach, und die Dämonen behandelten es auch so.

„Hey, Captain!“, brüllte ein Soldat von McClanes linker Flanke her. „Schauen Sie mal!“ Er zog seinen Säbel, holte aus und schleuderte ihn über die Straße nach einem Mann, der vor einer Blockbuster-Videothek stand. Der Säbel spießte den Mann auf einem Poster auf, das die neueste romantische Komödie mit Sandra Bullock ankündigte. Das Opfer zappelte und wand sich wie ein Insekt auf der Nadel eines Sammlers, bevor es schließlich erschlaffte. McClane schloss sein rechtes Auge und beobachtete, wie die Aura des Mannes von Hellrot zu einem uninteressanten Aschfahl verblasste.

McClane kicherte, dann schnaubte er, und schließlich wieherte er geradezu vor Belustigung. Rückschlag oder nicht, Exorzismus oder nicht, hier gab es absolut nichts, was er nicht mit jeder Faser seines Daseins genoss. Das hier war Superbowl 666, und er war der Quarterback.

McClane richtete sich im Sattel auf und verlangsamte das Tempo. Die Erste Pfingstkirche von Mission’s Ridge lag direkt vor ihnen, noch ungefähr drei Blocks entfernt. Als McClane sie erblickte, brachte das einen neuen Ernst in die Situation. Nun war es an der Zeit für eine Strategie.

„Ihr Männer nehmt die rechte Straßenseite.“ Dann schwang McClane den Arm auf die andere Flanke zu. „Und ihr nehmt alle die gegenüberliegende Seite. Stellt euch oben an die Fenster. Wählt eure Position sorgfältig aus. Minimale Exposition, klare Schusslinie …“

„Wie lautet der Plan, Captain?“

„Ich mache aus diesem Platz hier die Dealey Plaza“, sagte McClane. „Wenn diese Jungs hier mit der Schlinge durchkommen, werden wir uns ihre Ärsche im Lee-Harvey-Oswald-Stil krallen.“

Siebenunddreißig

Sarah Rafferty packte mit beiden Händen zu und zog sich auf die Ladefläche des Flachwagens. Dort stand das auf einen Drehturm montierte Gatling-Geschütz. Sheriff Daniels hatte bereits dahinter Position bezogen und inspizierte die Handkurbel des Geschützes. Sie umklammerte den Griff mit beiden Händen und mühte sich ab, ihn zu drehen. Sie drückte ihn mit ihrem ganzen Gewicht nach unten, aber der Mechanismus saß wie festgewachsen.

„Glauben Sie, dass das funktionieren wird?“, fragte Sarah.

„Ob ich glaube …?“ Dean lehnte sich aus dem Fenster der Lokomotive und sah zu Sam hinab. „Sag’s ihnen, Sammy!“

„Was soll er mir sagen?“

„Dean liebt Filme mit Clint Eastwood“, erklärte Sam.

Sarah starrte die Winchester-Brüder an.

„Das verstehe ich nicht.“

„Schon mal Der Mann, der niemals aufgibt gesehen?“

„Nein, ich glaube nicht.“

Dean verdrehte die Augen. „Niemand weiß die Klassiker noch zu schätzen. Okay. Eastwood spielt einen heruntergekommenen Cop, der ein Ex-Straßenmädchen zu einem Prozess fährt. Sie soll gegen den korrupten Polizeichef einer Großstadt aussagen. Eastwood hat nur den Auftrag, die Zeugin lebendig abzuliefern. Allerdings hat der Oberbulle jedem Cop auf der Straße befohlen, ihn abzufangen – und diese Polizisten sind bis an die Zähne bewaffnet. Sie haben die Innenstadt von Phoenix in den größten Schießstand der Welt verwandelt. Dann taucht Eastwood mit einem alten, klapprigen Greyhoundbus in einem Vorort auf. Er hat ein Blech auf die Windschutzscheibe montiert, und er und seine Zeugin müssen den Spießrutenlauf wagen.“

Er sah die Frauen erwartungsvoll an. Sarah und Sheriff Daniels starrten mit leerem Blick zurück.

Sarah fand zuerst die Sprache wieder.

„Und warum soll ich mich deswegen jetzt besser fühlen?“

Dean setzte gerade zu einer geistreichen und sarkastischen Antwort an, als sein Blick zum ersten Mal in das Innere des Lokführerstands fiel. Plötzlich war er sich auch nicht mehr so sicher. Der massive Eisenkessel vor ihm sah so groß wie ein Haus aus. Überall sprossen Messinstrumente, Hebel, Ventile und Rohre. Ein klobiges Ding, das aussah wie ein Teekessel aus Aluminium mit einem Messinghenkel, ragte direkt neben seinen Beinen hervor. Weiter unten klaffte die Öffnung der Feuerklappe, kalt und tot, wie das Maul eines Riesen, der die längst vergessenen Dämpfe der vor hundert Jahren verbrannten Kohlen ausatmete.

Komm schon! Reiß dich zusammen!, dachte Dean. Das ist schließlich auch nur ein Verbrennungsmotor, oder? Wie sehr kann der sich schon vom Impala unterscheiden?

Dean legte die Hände auf den großen Hebel, der horizontal von rechts nach links durch den Führerstand verlief. Das musste der Gashebel sein. Er legte seine Hände fest um den Griff und riss so kräftig daran, wie er konnte.

Er bewegte sich keinen Millimeter.

„Äh, Sam?“

Sam kam durch den leeren Kohlenwagen in den Führerstand der Lok. Er trug auf beiden Armen ein blutiges Bündel Bandagen.