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Trotzdem liebte Kleopatra Ägypten, so wie es ihr Vater auch getan hatte. Philopatris, Philomatris - die, die den Vater liebt und das Land. Beides waren althergebrachte Titel, aber sie hatte sie zu den ihren erkoren - als ihre ureigensten Losungsworte.

Sie küßte zum letzten Mal die Hand des Flötenspielers und legte sie ihm auf die Brust zurück. Sie würde Ägypten erretten, so wie er es gewollt hatte, und sie würde Dionysos rächen. Jeden kleinen Scherz, den sie auf seine Kosten gemacht hatten, würden sie ihr bezahlen.

»Ich habe Befehl erteilt, den Leichnam zum Grabmal zu überführen«, ertönte eine Stimme, »Dort möge er ruhen, Seite an Seite mit seinen Vorfahren und Alexander.«

Kleopatra wandte sich um. Ein makedonischer Fettsack mit glänzenden Ringellöckchen, die dicken Finger überladen mit Ringen aus Lapislazuli und Karneol, und mit jener überheblichen Miene, die man als griechischer Minister offenbar zugleich mit der Amtstracht anlegte. Mitglied des Kronrats, einer der engsten Vertrauten ihres Vaters. Jetzt, nach dem Tod des Königs, ein gefährlicher Mann.

»Das zu befehlen steht mir zu, Pothinos.«

»Es schien mir lediglich das Ziemliche. Abgesehen davon wollte ich Eure Bürde erleichtern, in der Stunde des Schmerzes.«

»Daran habe ich keinen Zweifel.«

Der Flötenspieler hat recht gehabt. Das Klappern der Schlangen hat bereits eingesetzt, und diese hier ist dem Winterschlaf als erste entronnen. Sie erlassen Befehle, die ich nicht aufheben kann, um sich die ersten Machtbröckchen abzuknabbern, noch ehe mein Vater erkaltet ist. Meine Schonzeit ist von heute an beendet.

Die Mitglieder des Regentschaftsrats betraten einer nach dem anderen den Saal. Ihren kleinen Bruder Ptolemaios stießen sie vor sich her wie einen Gefangenen. Die Arme kaum dicker als Speerschäfte, eine unwirsche Miene. Ein übellauniger Bursche, dachte sie. Sie hatten ihm die Chlamys des Mannes angelegt, obgleich er noch ein Junge war.

Wie soll ich mit ihm umgehen? Fraglos hat Pothinos ihm den Kopf mit Flausen gefüllt. Eines Tages, wenn er ein richtiger Mann ist, wird er nicht mehr mein Bruder sein, sondern mein Feind. Kleopatra deutete auf den vergoldeten Stuhl an ihrer Seite, so daß er sich gemeinsam mit ihr auf dem Thronsitz niederlassen konnte.

Der Regentschaftsrat nahm, etwas unterhalb von ihnen, auf einer reichverzierten Bank Platz. Als erster Pothinos, der Vorsitzende des Regentschaftsrats und offiziell Ptolemaios' Vormund. Dann Theodotos, Ptolemaios' Lehrer, ein weiterer Hofbeamter, dem sie erst trauen würde, wenn er tot wäre und sein Kopf den Fischen zum Fraß diente. Und Achillas, Ägypter und Hauptmann der Königlichen Wache - derzeit noch loyal. Auch Hephaestion, der amtierende oberste Minister, war anwesend. Seine Gegenwart hätte sie allein an dem Parfüm erkannt, das er trug. Und natürlich ihre Schwester, Arsinoe. Erst fünfzehn Jahre alt, in Seide gehüllt, die glänzenden hellen Haare zu einem Knoten aufgesteckt; eine hochmütige, gefährliche Schönheit, bezaubernd und doch so berechnend und kalt. Zu guter Letzt der junge Antiochos, fast noch ein Kind, mit kurzer weißer Tunika, den immerwährenden Ausdruck bleicher Furcht im Gesicht.

Meine Familie, dachte Kleopatra, zumindest so lange noch, wie ich ihnen trauen kann. Sie ließ den Blick zur Decke wandern, die mit durchbrochenen Goldfriesen abgesetzt war, und betrachtete das gewaltige Fresko des Gottes Dionysos, umringt von einer Schar hingebungsvoller Mänaden. Unter dem langen wehenden Bart meinte sie das Gesicht ihres Vaters zu erkennen, und sie fragte ihn stumm: Hast du mich tatsächlich mehr geliebt als die anderen, oder hat es sich dabei wieder einmal nur um eines deiner Possenspiele gehandelt?

Ihr Blick senkte sich und schweifte über den Hof, über die Familienmitglieder mit den Stirnbändern. Alle, sogar die wenigen Ägypter, trugen die griechischen Chlamys, lose fallende Überwurfmäntel, die an der Schulter mit einer Goldspange gerafft wurden. Die Höchsten Freunde in reichen purpurfarbenen Roben, die Hohenpriester der Isis und Serapis mit kahlrasierten Köpfen und weißen Leinengewändern. Hinter ihnen, in der Großen Säulenhalle, drängten sich die Aristokraten, die Offiziere der Palastwache, der eine oder andere Gallier und Germane des römischen Kontingents sowie einige der reichen Syrer, Judäer und Ägypter. Die riesigen, halbnackten Nubier ihrer eigenen Leibwache umstanden den äußeren Kreis des Hofes, die Hände fest um die Zeremonienspeere gelegt.

Alle warteten gespannt darauf, was sie tun würde. Ihre erste große Prüfung stand bevor.

Das Eröffnungszeremoniell war rasch beendet. Pothinos brannte darauf, zur Sache zu kommen. »Die Hochzeit mit Eurem Bruder Ptolemaios sollte umgehend stattfinden«, teilte er ihr mit. »Das wird die Bevölkerung beschwichtigen. Die Nachfolge muß ordnungsgemäß vonstatten gehen, so daß wir nicht die Aufmerksamkeit der Römer auf uns lenken.«

»Wollt Ihr damit bekunden, daß die Nachfolge bisher nicht der Ordnung entsprach, Bruder?« fragte Kleopatra. Sie benutzte die ehrenvolle Anrede »Bruder«, die seiner erhabenen Position bei Hofe gerecht wurde. Dabei legte sie den Kopf zur Seite, als betrachte sie einen ihr fremden Gegenstand, der zufällig ihr Interesse erregt hatte.

»In keiner Weise, Majestät«, erwiderte Pothinos mit gekünsteltem Lächeln. »Ich möchte lediglich auf die Wünsche des Volkes hinweisen. Der Tradition zu entsprechen scheint mir von höchster Bedeutung.«

Die Tradition! Der pharaonische Brauch, die königlichen Geschwister zu vermählen, den die Ptolemaier übernommen hatten - eine liebedienerische Geste gegenüber den Priestern und der Masse der fellahin. Ihr Vater hatte seine Schwester geheiratet; ihre beiden älteren Schwestern, beide schon tot, waren dieser Verbindung entsprungen. Die Gepflogenheit zielte darauf ab, die Reinheit des königlichen Geblüts zu gewähren. Sie glaubte jedoch nicht, daß dies dem Rat vorrangig am Herzen lag.

»Als - unser Vater - erkrankte...«, hob sie an. Fast wäre sie über die königliche Redewendung gestolpert. Ich kann das nicht, schoß es ihr durch den Kopf. Wahrscheinlich durchschauen sie mich alle. Ich bin einfach zu jung. »Als unser Vater erkrankte, krönte er uns als Mitregentin, um die ordnungsgemäße Nachfolge zu sichern. Unserer Ansicht nach wurde den Wünschen des Volkes und den Bedürfnissen des Staates dadurch in vollem Umfang entsprochen.«

Das Lächeln wich nicht aus Pothinos' Gesicht, doch seine Augen blickten kalt und unerbittlich. »Ihr beabsichtigt doch wohl nicht, ohne König zu regieren, oder?«

»Nun - Ptolemaios ist schließlich kein fremder Prinz, der mich umwirbt. Oder erwartet Ihr die Frucht unserer Leiber, Bruder?«

Ptolemaios erbleichte. Kleopatra lächelte und fühlte sich besser, da sie sich erstmalig gegenüber ihren Feinden behauptet hatte.

»Pothinos sagt, ich sollte eigentlich König sein«, begehrte Ptolemaios auf.

Hatte er das wirklich getan? Ihre Furcht wurde von Wut abgelöst. »Du bist doch noch ein Junge«, fuhr sie ihn an. »Deshalb haben sich diese Männer zu deinem Rat ernannt.«

Ptolemaios warf ihr einen finsteren Blick zu.

Der Streit wurde fortgesetzt, wenn auch verbrämt in den gesitteten Worten des Hofes. Kleopatra hatte nicht vor, freiwillig von ihrem Standpunkt abzuweichen, und zwingen konnte man sie nicht, es sei denn, man wählte einen offenen Konflikt. Doch das würden sie nicht wagen, denn die Römer lauerten nur darauf, daß man ihnen Gelegenheit bot, sich einzumischen.