»Das stimmt nicht. Es ist ein Rennen. Ein Rennen gegen die Zeit. Und die Zeit bedeutet Leben.«
Er musterte sie nachdenklich und lange. »Fürchtest du dich nicht vor den Göttern?« fragte er leise.
Die Frage versetzte sie in Erstaunen. War Caesar inzwischen tatsächlich so abergläubisch wie der einfache Mann, der den Boden beackerte?
»Wenn wir den Göttern vorgreifen, werden sie uns vernichten«, fuhr er fort. »Vielleicht fordern wir zuviel von ihnen.«
»Wir sind mit ihnen im Bunde.«
»Vielleicht hast du recht. Wir werden sehen.« In seiner Stimme schwang Unbehagen. Er war nicht überzeugt.
Caesar befand sich in seinem privaten Arbeitszimmer, als Antonius ihn aufsuchte. Es war bereits später Nachmittag, doch Antonius war noch nicht lange auf den Beinen. Er wußte aber, daß Caesar in der Regel ab Sonnenaufgang tätig war.
Als Antonius vor dem Haus angekommen war, hatte einer der Wächter durch das schwere Eisengitter gespäht, ehe er ihn einließ und zu Caesars Allerheiligstem führte. Auf dem Weg dahin hatte Antonius festgestellt, daß, anders als bei früheren Besuchen, keine Wachen an den Türen standen. Caesars neugewonnener Glaube an die eigene Unverwundbarkeit war beängstigend.
Der alte Knabe sah noch nicht einmal hoch. »Du wolltest mich sehen?« fragte er barsch.
»Ja, du solltest nämlich etwas wissen«, antwortete Antonius. »In der Stadt kursieren schon wieder Gerüchte.«
»Worum geht es dieses Mal?«
»Man behauptet, daß die Priester die Sibyllinischen Seherinnen wegen des Angriffs auf Parthien befragt haben.«
Das Orakel der Sibyllen. Einer der früheren Könige hatte diese Einrichtung vor Jahrhunderten mit nach Rom und in den Jupitertempel gebracht. Wie alle Prophezeiungen handelte es sich um verdichtete, rätselhafte Aussagen, die nach dem Gutdünken der Auslegenden verstanden werden konnten. Der Pöbel jedoch glaubte daran.
»Und was hat man laut der Gerüchte erkannt?«
»Daß kein Römer Parthien erobern kann, es sei denn, er wäre ein König, denn sonst drohe ihm der Tod und Rom Schande. Die Priester sind zu dem Schluß gekommen, daß Rom, wenn es Caesar sendet, ihn nur als König Caesar senden darf. Das hat großes Aufsehen erregt.«
»Mir ist dieses Gerücht selbst zu Ohren gekommen.« Caesar lächelte und legte den Messingstylus nieder. »Wenn man es genau nimmt, stammt es sogar von mir.«
Antonius nickte.
»Aber das hast du natürlich vermutet. Deshalb wolltest du mich sehen.«
»Nun, du bist der oberste Priester«, stimmte er zu. Caesar war zum Pontifex Maximus ernannt worden, dem höchsten heiligen Amt in Rom, und das für die Zeit von zwanzig Jahren. Es hatte eine ordentliche Wahl stattgefunden, was soviel hieß, daß Caesar einen ordentlichen Preis für die Stimmen gezahlt hatte. »Wenn jemand das Orakel deuten kann, dann doch du.«
Cicero hat recht gehabt, dachte Antonius. Der alte Knabe will alles für sich. Doch warum auch nicht? An Ehrgeiz hatte es Caesar nie gemangelt. Als er den Rubikon überschritt, um gegen Pompejus anzutreten, hatte er mehr als nur eine Grenze hinter sich gelassen. Und er, Antonius, würde sich ihm gewiß nicht in den Weg stellen. Schließlich war gut für Antonius, was gut für Caesar war.
»Habe ich dein Vertrauen, Marcus?«
»Das weißt du.«
»Dann möchte ich, daß du mir hilfst. Wie ich gehört habe, leitest du das Fest der Lupercalien.«
Antonius zuckte die Achseln. »Ich habe meine Dienste angeboten. Immerhin darf man dabei nackte Mädchen peitschen. Warum sollte ich den Spaß nur den Priestern überlassen?«
»Oh, ich will dich auch von nichts abhalten.« Caesar beugte sich vor und senkte die Stimme. »Doch am Ende der Prozession mußt du mir einen Gefallen tun.«
15
Das Fest der Lupercalien war herangekommen.
Wieder einmal so eine blutige, schmutzige Angelegenheit, dachte Kleopatra, eines von diesen ausschweifenden Festen, an denen die sittsamen Römer so große Freude hatten, genau wie an Wagenrennen und Circusspielen, wo Gefangene von Löwen zerrissen wurden. Trotz all ihrer Gesetze, Gerichte und Senatshäuser, trotz ihrer Theaterstücke und Gedichte waren sie im Grunde ihres Herzens Wilde geblieben. Der Rest war Täuschung.
Bei den Lupercalien wurde die Rückkehr des Frühlings und der Beginn des wiedererwachten Lebens gefeiert, obwohl sich die neue Jahreszeit in Rom noch nicht recht einstellen wollte. Der Tag war kalt, der Himmel eisblau, und auf den Bergen lag immer noch Schnee. Caesar, der den Festlichkeiten vorstand, saß auf einem goldenen Thron auf der Rostra. Er trug das Purpurgewand des Triumphators und den goldenen Lorbeerkranz auf dem Haupt. Das Forum quoll über vor Menschen, es herrschte eine aufgewühlte, aufgekratzte Stimmung. Die Verkäufer der dampfend heißen Pasteten, die ihre Waren im Forum verkauften, machten ein gutes Geschäft.
Kleopatra und Caesarion wurden in einer Sänfte ins Forum getragen und nahmen ihre Plätze neben den anderen Würdenträgern auf vergoldeten Sesseln ein, die man ihnen auf den Tempelstufen bereitgestellt hatte. Dort saßen auch Marcus Brutus, Decimus und Cassius. Sie nickte ihnen zu, und sie verneigten sich. Höfliche, wohlerzogene Männer, die sie aus ganzem Herzen haßten.
Sie wirken alle so angegriffen und ernst, fand Kleopatra. So als stünden sie gerade unter einer besonderen Belastung. Dabei soll das hier doch ein Fest sein, dachte sie. Können sie denn die Politik nicht einmal einen Tag lang vergessen?
Zuerst wurden eine Ziege und ein Hund geopfert, die Sinnbilder Pans und Lupercus', die alten Götter der Natur. Junge Männer aus vornehmen römischen Familien, denen man den nackten Oberkörper mit dem Blut der toten Tiere bestrich, waren zu Priestern auserkoren worden. Anschließend wurden die Tiere gehäutet und die Haut in dünne Streifen geschnitten, die man februa nannte. Nach dieser Bezeichnung hatte der Monat, in dem die Lupercalien gefeiert wurden, seinen Namen erhalten.
Drohend, halb nackt und blutverschmiert bahnten sich zwei von ihnen den Weg durch die Straßen Roms. Sie hatten die februa zu Peitschen gebündelt und schlugen auf jeden ein, der sich ihnen in den Weg stellte. Das Fest war unter anderem auch ein Fruchtbarkeitsritus, denn die Römer glaubten, daß die Frau, die von der Peitsche getroffen wurde, wenig später empfänglich sein würde. Demzufolge kamen die beiden Priester auch nur langsam voran, da sich ihnen viele der jungen verheirateten Frauen anboten, um sich die schmerzhaften Segnungen einzuholen.
Plötzlich teilte sich die Menge. Die Frauen fingen an zu kreischen, dazwischen hörte man das Knallen der Peitschen. Man sah, wie sich die Frauen vordrängten und sich die Kleidung herunterrissen. Einige der nackten Rücken waren schon von Striemen entstellt. Hinter ihnen stolzierten die beiden Priester, die die blutigen februa schwangen.
Kleopatra erkannte einen von ihnen. Bis auf einen Lendenschurz aus Ziegenhaut trug er nichts. Er besaß einen makellosen Körper, die Muskeln auf Brust und Schenkeln wölbten sich unter einer Schicht aus Blut und Schweiß. Er wirkte wild, primitiv - und schön. Durch die Zuschauer ging ein ehrfürchtiges Raunen.
Marcus Antonius.
Kleopatra hörte, wie Decimus hinter ihr sagte: »Meine Güte, und dieser Mensch will ein Konsul sein? Hat er denn keinen Anstand mehr im Leib?«
»Es ist ungeheuerlich!« stimmte ihm Calpurnia zu. Kleopatra sah jedoch, daß sich auf ihrem Gesicht etwas anderes abzeichnete als Entrüstung.
Eine kreischende, aufgeregte Menge folgte den beiden Männern ins Forum. Ein junges Mädchen, das die Arme über den bloßen Brüsten verschränkt hielt, schrie vor Schmerz auf, als Antonius ihr die februa über den Rücken zog. Die Menge öffnete sich einen kleinen Spalt, um ihr Platz zu machen. Sie schoß darauf zu und wollte flüchten wie ein verängstigtes Reh.
Kleopatra fühlte sich unbehaglich. Da steckt mehr dahinter als der Wunsch nach Fruchtbarkeit, dachte sie. Wieder und wieder knallte die Peitsche. Antonius war seinem Opfer gefolgt, das nun, von den anderen erneut eingekeilt, den Hieben erbarmungslos ausgesetzt war. Kleopatra spürte die Erregung, die sich unter den Männern breitmachte. Es herrschte die gleiche aufgeladene Stimmung wie im Circus Maximus. Gewalttätige Menschen, die sich an ihrer Lüsternheit und ihrem Blutdurst berauschten.