Fulvia. Eine ausgemachte Giftschlange! Sie ließ diejenigen hängen, die sich ergeben wollten. Die Leichen baumelten von den Palisaden herab. Ein blutrünstiges Weib.
Eine Windbö erfaßte Octavians Mantel und hätte ihn um ein Haar aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie führte den Gestank von Asche und Rauch mit sich, von geronnenem Blut und fauligem Tod. Da drinnen schien es ja munter zuzugehen. Nur noch ein Weilchen, und dann war alles vorbei.
Die Iden des März - fast auf den Tag vier Jahre seit Caesars Tod -, und noch immer herrschte kein Friede im Land. Caesar hatte einfach zu viele Feinde am Leben gelassen.
Man feierte Antonius' zweiundvierzigsten Geburtstag, Ludi et Natalicia Nobilissimi Antonii, Wettspiele und Feiern zu Ehren des erlauchten Antonius. Kleopatra hatte einen Wettkampf mit griechischen Athleten angesetzt. Ich hoffe, deine Freunde werden nicht allzu enttäuscht sein, hatte sie zu Antonius gesagt. Es hat nichts gemein mit dem Circus Maximus, kein Mensch wird dabei in Stücke gerissen.
Die Zuschauer kamen scharenweise in Wagen und Sänften, darunter viele Frauen. Keine griechische Dame, die etwas auf sich hielt, würde sich den Anblick wohlgeratener Männerkörper entgehen lassen, erst recht nicht, wenn einer davon der des berühmten Marcus Antonius war.
Die Kampfparteien setzten sich aus Mitgliedern des Hofes und Antonius' Stabsoffizieren zusammen. Nicht alle waren gleich gut in Form, doch jeder trug ein Lendentuch und hatte den Körper eingeölt, um die Muskeln zu betonen. In Rom wäre so etwas natürlich undenkbar gewesen, dort stellte man seinen Körper nicht öffentlich zur Schau. Gewalt, aufgeschlitzte Bäuche, Folter, das mochte angehen, doch nackte Kämpfer waren verpönt. Das hatte zu den Dingen gehört, die Kleopatra nie verstanden hatte.
Es sollte ein Pentathlon veranstaltet werden, fünf Sportarten in Form von Wettlauf, Weitsprung, Diskus- und Speerwerfen und schließlich Ringen. Einige unter den Streitern - der magere Dellius und Sisyphus, dessen kleiner gedrungener Körper auf eigentümliche Weise bedrohlich wirkte - behaupteten lachend, daß man Antonius wohl gewinnen lassen müsse, da es ja sein Geburtstag sei. Doch jedermann wußte, daß Antonius auch ohne dieses Vorrecht siegen würde. Selbst im Alter von zweiundvierzig Jahren war sein Körper noch hart wie Eisen. Er konnte jeden im Laufen und Ringen bezwingen, gleich wieviel Wein er getrunken, wie vielen Gelagen er beigewohnt und wie viele Nächte er durchgefeiert hatte. Antonius war unter einem Glücksstern geboren, und so schien es nur natürlich, daß dieser Sohn des Herkules schneller, stärker und ausdauernder war als die anderen.
Kleopatra beobachtete ihn mit unverhohlener Bewunderung. Ihr war längst klar, weshalb man ihn in Athen, Ephesos und Tarsos für einen Gott gehalten hatte.
Sie haben recht gehabt, dachte sie. Wir sind Götter, er und ich. Und wir werden es immer sein.
Die Nacht senkte sich auf den See, die Öllampen spiegelten sich als helle Kreise auf dem ruhigen Wasser. Auf der königlichen Barke waren die Freunde des Lebens zu Gast, die Klänge der Flöten und Harfen drangen bis weit in die Dunkelheit. Drinnen im Bankettsaal nahmen die Trinksprüche kein Ende Antonius hatte dem Wein heftig zugesprochen und befand sich in einem Zustand der Glückseligkeit.
Mardian schaute bekümmert mit an, wie Antonius die Königin in umziemlicher Weise liebkoste. Die Hand um ihre Brust geschmiegt, preßte er ihr weinfeuchte Küsse auf den Hals. Kurz darauf verließen die beiden die fröhliche Runde und stahlen sich fort. Nach etwa einer Stunde kehrten sie zurück. Die Haare der Königin waren in Unordnung geraten, und ihre Wangen glühten mit einem Feuer, das allen Gästen den Grund verriet.
Mardian war dergleichen unbegreiflich. Wie konnten Männer und Frauen sich auf diese Weise lächerlich machen?
Am wenigsten verstand er jedoch, wie Kleopatra sich mit diesem Mann demütigen konnte. Er war ihrer nicht würdig, würde es nie sein.
»Charmion! Warum machst du so ein langes Gesicht?« Kleopatras Lächeln war liebevoll. »Ist es deine Zeit des Mondes?«
»Nein, Majestät.«
»Was ist es denn?«
»Es ist... es ist nur...«
»Sprich es aus, Mädchen. Sag mir, was dich bekümmert.«
»Vergangene Nacht«, stammelte Charmion. »Das war nicht recht.«
Kleopatras Lächeln erstarb. Wie konnte Charmion es wagen, ihr Vorwürfe zu machen, selbst wenn sie ihre Lieblingssklavin war? »Meinst du nicht, ich sollte selbst entscheiden, was für die Königin recht ist?«
»Jedermann weiß, was er mit Euch gemacht hat.«
»Und ich mit ihm.«
»Aber Ihr seid unsere Königin!«
»Und du bist meine Sklavin. Vergiß das nicht, Charmion, oder ich lasse dich für deine Worte peitschen.«
Charmion warf sich Kleopatra zu Füßen und wartete, bis Kleopatra die Worte der Vergebung ausgesprochen hatte. Danach erhob sie sich und setzte ihre Arbeit schweigend fort. Kleopatra wußte, daß das Mädchen ihr die Demütigung übelnahm, und bereute die heftigen Worte. Als ob sie Charmion je auspeitschen ließe! Doch die Sklavin hatte keinen Grund gehabt, ihr Vorwürfe zu machen. Natürlich genoß sie das Zusammensein mit Antonius, aber diente es nicht einem höheren Zweck? Würde sie ihm sonst solche Freiheiten erlauben, selbst wenn sie ihr Genuß verschafften? Sie behandelte Antonius nicht anders als ein kleines Kind und ließ ihm seinen Willen. Sie verführte ihn. War das nicht offenkundig?
16
Der See Mareotis lag im Süden von Alexandria. Kleopatra hatte dort einen Sommerpalast, so wie viele der reichen Beamten und Kaufleute der Stadt. Am Fuße des Palastes befand sich eine Anlegestelle für die königliche Barke, und um ihn herum erstreckten sich Gärten, Haine und Weinberge.
An diesen Ort zogen sich Kleopatra und Antonius zurück, wenn die Königin ihren Staatsgeschäften entfliehen wollte. Auf Ruhebänken verbrachten sie dann draußen unter der blaßgelben Wintersonne ihre Zeit, tranken Wein und plauderten miteinander.
An einem solchen Nachmittag beschloß Kleopatra, das Thema anzuschneiden, das sie bisher beide so sorgfältig gemieden hatten. »Denkst du oft an Rom?« erkundigte sie sich.
»So gut wie gar nicht«, lautete die Antwort.
»Fehlt Rom dir nicht? Überlegst du nicht manchmal, ob Octavian dir dort schadet?«
»Wir haben einen Vertrag geschlossen.«
»Verträge haben es an sich, gebrochen zu werden.«
Antonius hob die Schultern. Er hatte offenkundig keine Lust, darüber zu reden.
»Du weißt, daß du nur mit dem Finger winken müßtest, und die Welt wäre dein«, fuhr Kleopatra fort.
»Die Welt ist mein«, erwiderte er ein wenig gereizt.
»Nein, noch nicht, bisher ist es erst ein Teil.«
Er schien zu ahnen, worauf sie hinauswollte, denn er mied ihren Blick.
»Du hast die Legionen und die Macht. Ich habe das Geld. Denk darüber nach! Rom mit Syrien bleibt Rom. Auch Rom mit Judäa bleibt Rom. Doch Rom mit Ägypten ergibt die Welt. Ich bin der Osten, und du bist der Westen. Wenn wir uns zusammenschließen, bilden wir das Ganze.«
Kleopatra erkannte, daß er unsicher geworden war. Diese Römer! Einer hatte Angst vor dem anderen. Selbst Caesar war vor dem letzten Schritt zurückgeschreckt, weil ihm der römische Segen fehlte. Was war denn so außergewöhnlich an Rom? Es war nur eine Idee, ein Gespinst aus Pflicht und Schuldigkeit, das jeden von ihnen fesselte.
Sie sah an seinem verblüfften Gesichtsausdruck, daß dem großen und edlen Antonius die Gedanken, die sie geäußert hatte, zuvor noch nie gekommen waren. Wie auch? Zu Caesars Lebzeiten hatte er sich mit der Rolle des Gefolgsmannes zufriedengegeben und Caesar die Bürde tragen lassen. Caesar hat dich richtig beurteilt, dachte Kleopatra. Antonius nimmt Befehle entgegen, er erteilt sie nicht, hatte jener gesagt. Vielleicht fürchtete Antonius die Folgen der Macht, die kalten Entscheidungen über Leben und Tod, bei denen man Blut an den Händen behielt. Oder hatte er Octavian Rom überlassen, weil er nicht wußte, wie man die Macht behält?