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Der Vorstand der Großen Bibliothek von Palanthas lächelte, aber es war ein inneres Lächeln. In den Augen des Dunkelelfs, der ihn beobachtete, spiegelte das gelassene Gesicht genauso wenig Gefühle wie die sie umgebenden Marmorwände wider.

»Folge mir, junger Magier«, sagte Astinus, wandte sich um und ging mit schnellen Schritten den Korridor entlang.

Völlig überrascht zögerte Dalamar, dann eilte er hinterher. »Woher weißt du, was ich suche?« verlangte er zu wissen.

»Ich bin Geschichtsschreiber«, erwiderte Astinus gleichmütig. »Selbst während wir sprechen und gehen, bin ich mir der Ereignisse, die um uns geschehen, bewußt. Ich höre jedes gesprochene Wort, ich sehe jede verübte Tat, gleichgültig, wie banal, wie gut oder wie schlecht sie ist. So habe ich die ganze Geschichte beobachtet. Da ich der erste war, werde ich auch der letzte sein. Hier entlang.« Er machte eine scharfe Wendung nach links. Dabei hob er eine glühende Lichtkugel aus ihrem Ständer und nahm sie mit.

Im Licht konnte Dalamar jetzt lange Reihen von Büchern in Holzregalen sehen. An den Ledereinbänden konnte er erkennen, daß sie alt waren. Aber sie befanden sich in einem hervorragenden Zustand. Die Ästheten staubten sie ständig ab; wenn notwendig, banden sie besonders verschlissene Bücher neu ein.

»Hier steht das, was du suchst«, sagte Astinus, »die Zwergentorkriege.«

Dalamar machte große Augen. »Alle diese?« Er blickte auf die scheinbar endlose Bücherreihe; ein Gefühl der Verzweiflung überkam ihn.

»Ja«, erwiderte Astinus kalt, »und auch die nächste Bücherreihe.«

»Ich... ich...« Dalamar war völlig verlegen. Sicherlich hatte Raistlin die Ungeheuerlichkeit dieser Aufgabe nicht bedacht. Sicherlich erwartete er nicht von ihm, daß er den Inhalt von Hunderten von Bänden innerhalb kurzer Frist verschlang. Dalamar hatte sich niemals zuvor dermaßen hilflos gefühlt. Er lief tiefrot an, als er Astinus’ eisige Augen auf sich spürte.

»Vielleicht kann ich helfen«, bot der Historiker sanft an. Ohne den Buchrücken zu lesen, griff Astinus nach oben und holte einen Band aus dem Regal. Er öffnete ihn, überflog schnell die dünnen, brüchigen Seiten; seine Augen suchten eine Zeile nach der anderen der sauberen, sorgfältig und mit schwarzer Tinte geschriebenen Buchstaben ab.

»Ah, hier ist es.« Astinus zog ein elfenbeinernes Lesezeichen aus einer Tasche seiner Roben hervor und legte es zwischen zwei Buchseiten, dann schloß er sorgfältig das Buch und überreichte es Dalamar. »Entnimm diesem Buch die Information, nach der er sucht. Und richte ihm folgendes aus: ›Der Wind bläst. Die Fußstapfen im Sand werden ausgelöscht sein, aber erst, nachdem er sie beschriftet hat.‹« Er verbeugte sich würdevoll vor dem Dunkelelf, dann ging er an ihm vorbei auf den Korridor zu. Als er dort stand, hielt er an und drehte sich zu Dalamar um, der dastand, das Buch umklammernd, das Astinus in seine Hände gelegt hatte.

»Oh, junger Magier, du brauchst nicht zurückzukommen. Das Buch wird aus eigenem Antrieb seinen Weg zurückfinden, wenn du fertig bist. Ich kann nicht zulassen, daß du die Ästheten erschreckst. Der arme Bertrem hat sich bestimmt ins Bett gelegt. Richte deinem Meister meine Grüße aus.« Astinus verbeugte sich wieder und verschwand im Schatten.

Dalamar blieb stehen, grübelte, hörte den langsamen, festen Schritt des Historikers im Korridor verklingen. Schulterzuckend sprach der Dunkelelf ein Wort der Magie und kehrte zum Turm der Erzmagier zurück.

»Astinus hat mir seinen eigenen Kommentar über die Zwergentorkriege mitgegeben, Meister. Er bezieht sich auf die uralten Texte, die er schrieb...«

»Astinus wußte, was ich brauche. Fahr fort.«

»Ja, Meister. Hier beginnt der markierte Abschnitt. ›Und der große Erzmagier Fistandantilus benutzte die Kugel der Drachen, um seinem Lehrling in der Gegenwart den Auftrag zu erteilen, die Große Bibliothek in Palanthas aufzusuchen und in den Geschichtsbüchern zu lesen, um herauszufinden, ob sich das Ergebnis seiner großen Unternehmung als erfolgreich erweisen würde.‹« Dalamars Stimme erstarb, als er diese erstaunliche Erklärung noch einmal las.

»Fahr fort!« ertönte die Stimme seines Meisters, und obwohl sie eher in seinem Geist als in seinen Ohren erscholl, entging Dalamar nicht der Ton bitteren Zornes. Eilig riß er seinen Blick von dem Absatz, der vor Hunderten von Jahren geschrieben wurde, aber genau die Mission wiedergab, die er gerade unternommen hatte, und las weiter.

»›An dieser Stelle ist es wichtig, Folgendes zu beachten: In den Chroniken, so wie sie an diesem Punkt in der Zeit existierten, wird darauf hingewiesen...‹ Diese Stelle ist unterstrichen, Meister«, unterbrach sich Dalamar.

»Welche Stelle?«

»›An diesem Punkt in der Zeit‹ ist unterstrichen.«

Raistlin gab keine Antwort, und Dalamar, der einen Augenblick den Faden verloren hatte, fand ihn wieder und hastete weiter. »›Hier wird darauf hingewiesen, daß das Unternehmen erfolgreich gewesen sein könnte. Fistandantilus und der Kleriker Denubis hätten in der Lage sein sollen, gemäß allen Anzeichen, die der große Erzmagier sah, das Portal sicher zu durchschreiten. Was in der Hölle passiert wäre, ist natürlich nicht bekannt, da sich die historischen Ereignisse anders abspielten. In der festen Überzeugung, daß sein Ziel, das Portal zu durchschreiten und die Königin der Finsternis herauszufordern, in seiner Reichweite stand, betrieb Fistandantilus die Zwergentorkriege mit erneuter Energie. Pax Tarkas wurde von den Armeen der Hügelzwerge und der Menschen der Ebenen erobert. (Siehe Chroniken, Bank 126, Buch 6, Seiten 589700.) Angeführt von Fistandantilus’ großem General Pheragas, einem ehemaligen Sklaven aus dem nördlichen Ergod, den der Zauberer gekauft hatte und als Gladiator bei den Spielen von Istar ausbilden ließ, trieb die Armee des Fistandantilus die Streitkräfte von König Dunkan zurück und zwang die Zwerge, sich in der Gebirgsfestung von Thorbadin zu sammeln.

Fistandantilus interessierte dieser Krieg nur wenig. Er diente ihm lediglich zur Förderung seiner eigenen Ziele. Er fand das Portal unter der Gebirgsfestung Zaman, richtete dort sein Hauptquartier ein und begann seine endgültigen Vorbereitungen zur Erlangung der Macht.

Was an diesem Punkt geschah, liegt jenseits meines Wissens, da die hier waltenden magischen Kräfte so mächtig waren, daß sie meine Vision verdunkelten.

General Pheragas wurde im Kampf gegen die Dewaren, die Dunkelzwerge von Thorbadin, getötet. Nach seinem Tod zerfiel die Armee des Fistandantilus. Die Bergzwerge zogen aus Thorbadin in Richtung der Festung Zaman.

In dem Wissen, daß die Schlacht verloren war und ihnen nur noch wenig Zeit verblieb, eilten Fistandantilus und Denubis während des Kampfes zum Portal. Hier begann der große Zauberer seinen Zauber zu werfen.

Im gleichen Augenblick aktivierte ein Gnom, der von den Zwergen von Thorbadin gefangengehalten wurde, ein Zeitreisegerät, das er in der Absicht, seinem Gefängnis zu entkommen, gebaut hatte. Entgegen jedem aufgezeichneten Beispiel in der Geschichte Krynns funktionierte dieses Gnomengerät tatsächlich.

Von diesem Punkt an kann ich lediglich spekulieren, aber es scheint wahrscheinlich, daß das Gerät des Gnoms irgendwie auf die feinen und mächtigen Zaubersprüche, die von Fistandantilus gesprochen wurden, einwirkte. Das Ergebnis ist uns allen nur zu gut bekannt.

Eine Explosion solchen Ausmaßes erfolgte, daß die Ebene von Dergod völlig zerstört wurde. Beide Armeen wurden fast vollständig ausgelöscht. Die hoch emporragende Gebirgsfestung Zaman zerbrach, fiel in sich zusammen und schuf einen Hügel, der in der Zwischenzeit den Namen Schädeldach erhalten hat.

Der unglückliche Denubis kam bei der Explosion ums Leben. Fistandantilus wäre auch gestorben, wenn seine Magie nicht so gewaltig gewesen wäre, daß sie es ihm ermöglichte, sich an ein Stück Leben zu klammern, obgleich sein Geist gezwungen war, auf einer anderen Ebene zu existieren, bis er den Körper eines jungen Zauberkundigen namens Raistlin Majere fand...‹«