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»Es reicht!«

»Ja, Meister«, murmelte Dalamar.

Und dann war Raistlins Stimme verschwunden.

Dalamar, der im Arbeitszimmer saß, wußte, daß er allein war. Über das Gelesene äußerst erstaunt, fing er heftig zu beben an. Er blieb auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch – Raistlins Schreibtisch – sitzen und versuchte gedankenverloren, den Sinn des Ganzen zu ergründen, bis sich die Schatten der Nacht zurückzogen und die graue Dämmerung den Himmel erhellte.

Ein Prickeln der Erregung ließ Raistlins mageren Körper erbeben. Seine Gedanken waren verwirrt, und er würde eine lange Zeit des Nachdenkens brauchen, um absolute Sicherheit über das zu erlangen, was er gerade herausgefunden hatte. Ein Satz glänzte mit schwindelerregender Helligkeit in seinem Kopf: Das Unternehmen hätte erfolgreich sein können!

Raistlin saugte die Luft mit einem Keuchen ein; er erkannte, daß er bis dahin seinen Atem angehalten hatte. Seine Hände auf der kalten Oberfläche der Kugel der Drachen zitterten. Ein Frohlocken wallte durch ihn. Er lachte sein seltsames Lachen, denn die Fußstapfen, die er in seinem Traum sah, führten nicht mehr zu einem Schafott, sondern zu einer Platintür, die mit den Symbolen des Fünfköpfigen Drachen verziert war. Auf seinem Befehl würde sie sich öffnen. Er mußte lediglich diesen Gnom finden und töten...

Raistlin spürte ein heftiges Ziehen an seinen Händen. »Hör auf!« befahl er und verfluchte sich, die Beherrschung verloren zu haben.

Aber die Kugel gehorchte seinem Befehl nicht. Zu spät erkannte Raistlin, daß er ins Innere gezogen wurde...

Er bemerkte, daß sich die Hände verändert hatten, als sie ihn näher und näher zogen. Vorher waren sie nicht zu unterscheiden gewesen – weder menschlich noch elfisch, jung oder alt. Aber jetzt waren es Hände mit einer weiblichen, weichen, geschmeidigen, glatten weißen Haut, und sie hatten den Griff des Todes.

Schwitzend, die heiße Welle der Panik bekämpfend, die ihn zu zerstören drohte, nahm Raistlin seine ganze Kraft zusammen, sowohl körperlich als auch geistig, und rang mit der Willenskraft, die sich hinter den Händen befand.

Immer näher und näher zogen sie ihn. Er konnte jetzt das Gesicht sehen – das Gesicht einer Frau, wunderschön, mit dunklen Augen, sie sprach Worte der Verführung, auf die sein Körper mit Leidenschaft reagierte.

Näher und näher...

Verzweifelt rang Raistlin, den Griff zu brechen. Tief tauchte er in seine Seele – aber wonach er suchte, wußte er kaum. Irgendwo existierte ein Teil von ihm, der ihn retten würde...

Das Bild einer wunderschönen, weißgekleideten Klerikerin mit dem Medaillon von Paladin erschien. Sie glänzte in der Dunkelheit, und kurz lockerte sich der Griff der Hände. Raistlin hörte das anzügliche Lachen einer Frau. Das Bild zerbrach.

»Mein Bruder!« rief Raistlin, und ein Bild von Caramon trat in den Vordergrund. In eine goldene Rüstung gehüllt, sein Schwert in seinen Händen aufblitzend, stand er vor seinem Zwillingsbruder und beschützte ihn. Aber der Krieger hatte noch keinen Schritt nach vorne getan, als er niedergeschlagen wurde – von hinten.

Raistlins Kopf fiel nach vorne, Kraft und Bewußtsein verließen ihn. Und dann erschien eine einsame Gestalt. Sie war nicht in Weiß gekleidet, sie trug kein glänzendes Schwert. Sie war klein und schmuddelig, und ihr Gesicht war tränenverschmiert. In ihrer Hand hielt sie eine tote Ratte.

Caramon erreichte das Lager gerade bei den ersten Strahlen der Morgensonne. Er war die ganze Nacht durchgeritten und jetzt steif, müde und unglaublich hungrig.

Gedanken an sein Frühstück und sein Bett hatten ihn in der vergangenen Stunde getröstet, und sein Gesicht brach in ein Lächeln aus, als das Lager in Sichtweite kam. Er wollte gerade seinem erschöpften Pferd die Sporen geben, als er genauer auf das Lager sah. Er zügelte sein Pferd und brachte seine Eskorte mit erhobener Hand zum Anhalten. »Was ist dort los?« fragte er beunruhigt.

Garik, der zu ihm ritt, schüttelte verwundert den Kopf.

Rauchschwaden hätten von den morgendlichen Herdfeuern aufsteigen und das verstimmte Prusten von Männern hätte ertönen sollen, die aus tiefem Schlaf geweckt wurden. Aber keine Feuer waren angezündet, Leute liefen in offensichtlicher Ziellosigkeit umher oder standen in Gruppen zusammen, die sich in heller Aufregung befanden.

Jemand erblickte Caramon und stieß einen Schrei aus. Die Menge strömte voran. Sofort rief Garik seine Männer zu sich, und innerhalb von Sekunden waren sie herangaloppiert und bildeten einen Schutzschild aus gepanzerten Körpern um ihren General.

Zum ersten Mal erlebte Caramon diesen Beweis von Treue und Zuneigung seiner Männer, und einen Augenblick konnte er vor Überwältigung nicht sprechen. Dann befahl er ihnen, beiseite zu gehen. »Es ist keine Rebellion«, knurrte er und ritt weiter, als seine Männer sich widerstrebend teilten, um ihn passieren zu lassen. »Schaut! Niemand ist bewaffnet. Die Hälfte von ihnen sind Frauen und Kinder.«

Inzwischen hatte die Menge Caramon erreicht. Hände ergriffen sein Zaumzeug, erschreckten sein Pferd, das seine Ohren bedrohlich gespitzt hatte, bereit, mit seinen Hufen auszuschlagen.

»Tretet zurück!« brüllte Caramon; er konnte das Tier kaum in Schach halten. »Tretet zurück! Seid ihr verrückt geworden? Ihr seht genauso aus, was ihr auch seid – ein Haufen Bauern! Ich sagte, tretet zurück! Was soll das hier bedeuten? Wo sind meine Offiziere?«

»Hier, Herr«, ertönte die Stimme eines der Hauptleute. Rotgesichtig, verlegen und wütend, schob sich der Mann durch die Menge. Gekränkt über die Rüge ihres Befehlshabers, beruhigten sich die Männer, und das Geschrei erstarb zu einem vereinzelten Gemurmel, als eine Gruppe von Wachen, die dem Hauptmann folgte, den Mob aufzulösen begann.

»Ich bitte um Entschuldigung für diese Situation, Herr«, begann der Hauptmann, als Caramon vom Pferd stieg und besänftigend den Hals des Tieres tätschelte. Bei Caramons Berührung wurde es ruhig, obgleich seine Augen immer noch rollten und seine Ohren zuckten.

Der Hauptmann war ein älterer Mann, kein Ritter, sondern ein Söldner mit dreißigjähriger Erfahrung. Sein Gesicht war mit Narben übersät, ein Teil seiner linken Hand war ihm bei einem Schwertstreich abhanden gekommen, und er hinkte deutlich. An diesem Morgen war sein vernarbtes Gesicht vor Scham errötet, als er dem strengen Blick seines jungen Generals ausgeliefert war.

»Die Kundschafter haben über euer Kommen berichtet, Herr, aber bevor ich dich erreichen konnte, fiel dieses Rudel wilder Hunde« – er funkelte die zurückweichenden Männer an – »über dich her wie eine räudige Hündin. Ich bitte um Entschuldigung«, murmelte er wieder. »Ich habe keine Respektlosigkeit beabsichtigt.«

»Was ist geschehen?« fragte Caramon und führte sein erschöpftes Pferd zu Fuß in das Lager.

Der Hauptmann antwortete nicht sofort, sondern warf Caramons Eskorte einen bedeutsamen Blick zu.

Caramon verstand. »Geht voraus, Männer«, sagte er. »Garik, kümmere dich um mein Quartier.«

Als er und der Hauptmann allein waren, wandte sich Caramon dem Mann mit fragendem Blick zu.

Der alte Söldner sagte nur zwei Worte: »Der Zauberer.«

Als Caramon Raistlins Zelt erreichte, erblickte er den Kreis bewaffneter Wachen, die Neugierige zurückhielten. Beim Anblick Caramons wurden hörbare Seufzer der Erleichterung ausgestoßen, viele Bemerkungen fielen: »Der General ist jetzt da. Er wird sich um die Angelegenheit kümmern.«

Von einigen Flüchen des Hauptmanns aufgefordert, trat die Menge zurück, um einen Weg für Caramon freizumachen. Die bewaffneten Wachen traten zur Seite, als er vorbeiging, dann schlossen sie schnell wieder die Reihen. Schiebend und drängend spähte die Menge über die Schultern der Wachen, um etwas erkennen zu können. Da ihm der Hauptmann nicht schildern wollte, was sich ereignet hatte, wäre Caramon überhaupt nicht überrascht gewesen, einen Drachen auf dem Zelt seines Bruders sitzen oder auch das ganze Ding von grünen und purpurroten Flammen umzingelt zu sehen.