Isabels Augen blitzten vor Wut.
Arnau blieb mitten im Salon stehen, neben einem Esstisch aus edlem Holz, der doppelt so lang war wie der Tisch in seiner Wechselstube. Mar stand hinter ihm, neben Guillem. An der Tür des Salons drängten sich die Sklaven.
Arnau sprach laut genug, damit seine Stimme im ganzen Raum gehört wurde.
»Guillem, diese Schuhe gehören mir«, sagte er und deutete auf Isabels Füße. »Sie sollen sie ihr ausziehen.«
»Ja, Herr.«
Mar sah den Mauren erstaunt an. Herr? Sie kannte Guillems Status, doch noch nie zuvor hatte sie gehört, dass er Arnau mit diesen Worten ansprach.
Guillem winkte zwei der Sklaven heran, die an der Tür standen, und zu dritt traten sie zu Isabel. Die Baronin erwiderte immer noch hochmütig Arnaus Blick.
Einer der Sklaven kniete nieder, doch bevor er sie berühren konnte, streifte Isabel die Schuhe ab und ließ sie zu Boden fallen, ohne den Blick von Arnau abzuwenden.
»Ich will, dass du sämtliche Schuhe in diesem Haus einsammelst und sie im Hof verbrennst«, sagte Arnau.
»Ja, Herr«, antwortete Guillem.
Die Baronin sah ihn immer noch hochmütig an.
»Die Sessel.« Arnau deutete auf die Sitzgelegenheiten der Puigs. »Bring sie weg.«
»Ja, Herr.«
Grau wurde von seinen Söhnen hochgehoben. Die Baronin stand auf, bevor die Sklaven ihren Sessel nahmen und ihn zusammen mit den anderen in eine Ecke trugen.
Aber sie sah ihn immer noch an.
»Dieses Kleid gehört auch mir.«
Hatte sie gezittert?
»Du willst doch nicht …?«, begann Genis Puig und richtete sich auf, seinen Vater immer noch auf den Armen.
»Dieses Kleid gehört mir«, fiel ihm Arnau ins Wort, ohne Isabel aus den Augen zu lassen.
Zitterte sie?
»Mutter«, schaltete sich Josep ein, »geh dich umziehen.«
Sie zitterte.
»Guillem!«, rief Arnau.
»Mutter, bitte.«
Guillem trat zu der Baronin.
Sie zitterte.
»Mutter!«
»Und was soll ich anziehen?«, schrie Isabel ihren Stiefsohn an.
Isabel sah erneut zu Arnau. Auch Guillem sah ihn an. Willst du wirklich, dass ich ihr das Kleid ausziehe?, schien sein Blick zu sagen.
Arnau runzelte die Stirn, und langsam, ganz langsam, blickte Isabel zu Boden. Sie weinte vor Wut.
Arnau gab Guillem ein Zeichen und ließ einige Sekunden verstreichen, während Isabels Schluchzen den Salon des Palasts erfüllte.
»Noch heute Abend«, sagte er zu Guillem, »hat dieses Gebäude leer zu sein. Sag ihnen, sie können nach Navarcles gehen, das sie nie hätten verlassen sollen.« Josep und Genis sahen ihn an, Isabel schluchzte immer noch. »Ich habe kein Interesse an diesem Land. Gib ihnen Sklavenkleider, aber keine Schuhe. Die verbrennst du. Verkaufe alles und verriegle dieses Haus.«
Arnau drehte sich um und begegnete Mars Blick. Er hatte sie ganz vergessen. Dem Mädchen war das Blut ins Gesicht gestiegen. Er nahm sie beim Arm und ging mit ihr hinaus.
»Du kannst das Tor jetzt schließen«, sagte er zu dem Alten, der ihnen geöffnet hatte.
Sie gingen schweigend zur Wechselstube, doch bevor sie eintraten, blieb Arnau stehen.
»Ein Spaziergang am Strand?«
Mar nickte.
»Sind deine Schulden jetzt beglichen?«, fragte sie, als sie das Meer sahen.
Sie gingen weiter.
»Die werden niemals beglichen sein, Mar«, hörte ihn das Mädchen nach einer Weile murmeln. »Niemals.«
38
9. Juni 1359
Barcelona
Arnau hatte in der Wechselstube zu tun. Es war mitten in der Schifffahrtssaison und die Geschäfte liefen gut. Arnau war mittlerweile einer der reichsten Männer der Stadt, doch er bewohnte nach wie vor gemeinsam mit Mar und Donaha das kleine Häuschen an der Ecke Canvis Vells und Canvis Nous. Arnau wollte nichts von Guillems Vorschlag wissen, in den Stadtpalast der Puigs umzuziehen, der seit vier Jahren leer stand. Mar wiederum war nicht weniger halsstarrig als Arnau und hatte sich in all der Zeit einer Eheschließung strikt verweigert.
»Weshalb willst du mich loswerden?«, fragte sie ihn eines Tages, in ihren Augen standen Tränen.
»Ich will dich doch nicht loswerden!«, stammelte Arnau.
Mar weinte immer noch und lehnte sich an seine Schulter.
»Sei ganz ruhig«, sagte Arnau und strich ihr über den Kopf. »Ich werde dich nie zu etwas zwingen, was du nicht willst.«
Und so blieb Mar bei ihnen.
Als an diesem 9. Juni auf einmal eine Glocke zu läuten begann, hielt Arnau in der Arbeit inne. Eine weitere Glocke fiel ein, und dann noch viele andere.
»Via fora«, bemerkte Arnau.
Er trat auf die Straße. Die Handwerker an der Kirche Santa María kletterten blitzschnell von den Gerüsten, Maurer und Steinmetzen kamen durch das Hauptportal nach draußen, und die Menschen liefen durch die Straßen, das »Via fora!« auf den Lippen.
In diesem Moment sah er Guillem aufgeregt herbeieilen.
»Es ist Krieg!«, rief er.
»Das Bürgerheer wird einberufen«, sagte Arnau.
»Nein, nein.« Guillem machte eine Pause, um Luft zu schöpfen. »Nicht nur das von Barcelona, sondern die Truppen sämtlicher Städte und Dörfer im Umkreis von zwei Meilen. Es betrifft nicht nur Barcelona.«
Es betraf auch Sant Boi und Badalona, Sant Andreu und Sarrià, Provençana, Sant Feliu, Sant Genís, Cornellà, Sant Just Desvern, Sant Joan Despí, Sants, Santa Coloma, Esplugues, Vallvidrera, Sant Martí, Sant Adrià, Sant Gervasi, Sant Joan d'Horta … Die Glocken waren bis in zwei Meilen Entfernung zu hören.
»Der König macht Gebrauch vom Usatge princeps namque «, erzählte Guillem weiter. »Es ist nicht die Stadt. Es ist der König! Wir befinden uns im Krieg! Wir werden angegriffen. König Pedro von Kastilien greift uns an …«
»Er greift Barcelona an?«, unterbrach ihn Arnau.
»Ja. Barcelona.«
Die beiden eilten ins Haus.
Als sie wieder herauskamen, war Arnau bewaffnet wie damals als Soldat unter Eiximèn d'Esparça. Sie wollten durch die Calle de la Mar zur Plaza del Blat, doch die Leute rannten in die entgegengesetzte Richtung.
»Was ist los?« Arnau versuchte einen der bewaffneten Männer aufzuhalten, die die Straße hinunterliefen.
»Zum Strand!«, rief ihm der Mann zu, während er sich losriss. »Zum Strand!«
»Ein Angriff von See?« Arnau und Guillem sahen sich fragend an, dann schlossen sich die beiden der Menge an, die zum Strand hinunterlief.
Als sie zum Ufer kamen, drängten sich dort bereits zahlreiche mit Armbrüsten bewaffnete Barcelonesen, den Blick zum Horizont gerichtet, während immer noch die Glocken läuteten. Das »Via fora!« verlor an Kraft, und schließlich verstummten die Menschen.
Guillem hielt die Hand vor die Augen, um sich vor der kräftigen Junisonne zu schützen, und begann die Schiffe zu zählen: eins, zwei, drei, vier …
Das Meer war ruhig.
»Sie werden uns vernichten«, hörte Arnau hinter sich.
»Sie werden die Stadt überrennen.«
»Was können wir schon gegen eine ganze Armee ausrichten?«
Siebenundzwanzig, achtundzwanzig … Guillem zählte immer noch.
»Sie werden uns überrennen«, dachte Arnau bei sich. Wie oft hatte er schon mit anderen Händlern und Geschäftsleuten darüber gesprochen? Barcelona lag zum Meer hin schutzlos da. Von Santa Clara bis zum Kloster Framenors gab es keine einzige Verteidigungsanlage! Wenn es eine Flotte bis in den Hafen schaffte …
»Neununddreißig, vierzig. Vierzig Schiffe!«, rief Guillem.