Es waren bewaffnete Galeeren und Segelschiffe, die Kriegsflotte Pedros des Grausamen. Vierzig Schiffe voller alter Haudegen und erfahrener Kämpfer gegen ein paar eilig in Soldaten verwandelte Städter. Wenn es ihnen gelang, von Bord zu gehen, würde es zu Kämpfen am Strand und in den Straßen der Stadt kommen. Arnau wurde ganz anders zumute, wenn er an die Frauen und Kinder dachte … und an Mar. Sie würden sie vernichten! Sie würden plündern. Die Frauen vergewaltigen. Mar! Bei dem erneuten Gedanken an sie stützte er sich auf Guillem. Sie war jung und schön. Die Vorstellung, sie in der Gewalt der Kastilier zu wissen, während sie verzweifelt um Hilfe schrie … Wo würde er dann sein?
Immer mehr Menschen liefen am Ufer zusammen. Auch der König erschien und begann seinen Soldaten Befehle zu erteilen.
»Der König!«, rief jemand.
Was konnte der König schon tun?, hätte Arnau beinahe erwidert.
Seit drei Monaten befand sich der König in der Stadt, um eine Flotte zur Verteidigung Mallorcas auszurüsten, nachdem Pedro der Grausame gedroht hatte, die Insel anzugreifen. Doch lediglich zehn Galeeren ankerten im Hafen von Barcelona – der Rest der Flotte war noch nicht eingetroffen –, und der Kampf würde im Hafen stattfinden!
Arnau schüttelte den Kopf, ohne den Blick von den Segeln zu wenden, die sich der Küste näherten. Es war dem Kastilier gelungen, sie zu narren. In den nunmehr drei Jahren, die der Krieg bereits dauerte, hatten sich Kämpfe und Waffenruhen abgewechselt. Pedro der Grausame hatte zunächst das Königreich Valencia angegriffen und dann Aragon. Dort hatte er Tarazona eingenommen, was eine unmittelbare Bedrohung für Zaragoza darstellte. Die Kirche hatte vermittelt, und Tarazona war an Kardinal Pedro de la Jugie übergeben worden, der darüber entscheiden sollte, welchem der beiden Herrscher die Stadt zustand. Des Weiteren war ein einjähriger Waffenstillstand ausgehandelt worden, der indes keine Gültigkeit für die Grenze zu Murcia und Valencia besaß.
Während des Waffenstillstands hatte Pedro III. seinen Stiefbruder Ferrán, einen Verbündeten Kastiliens, davon überzeugen können, Pedro dem Grausamen die Gefolgschaft aufzukündigen. Daraufhin war der Infant plündernd in Murcia eingefallen und bis Cartagena gelangt.
Am Strand gab König Pedro nun Anweisung, die zehn Galeeren zu bemannen. Dieser Befehl galt nicht nur für die wenigen Soldaten, die er bei sich hatte, sondern ebenso für die Bürger Barcelonas und der umliegenden Ortschaften, die mittlerweile einzutreffen begannen. Sämtliche Schiffe, ob groß oder klein, Handelsschiffe wie Fischerboote, sollten sich der kastilischen Armada entgegenstellen.
»Das ist Wahnsinn«, urteilte Guillem, während er beobachtete, wie die Leute zu den Booten stürzten. »Diese Galeeren werden unsere Schiffe rammen und in Stücke reißen. Viele werden sterben.«
Die kastilische Flotte war noch ein gutes Stück vom Hafen entfernt.
»Er wird uns erbarmungslos vernichten«, hörte Arnau jemanden hinter sich.
Nein, Pedro der Grausame würde kein Erbarmen haben. Sein Ruf eilte ihm voraus. Er hatte seine beiden Halbbrüder ermorden lassen, Federico in Sevilla und Juan in Bilbao, und ein Jahr darauf seine Tante Leonor, die in dieser Zeit seine Gefangene gewesen war. Welches Erbarmen war von einem König zu erwarten, der seine eigenen Verwandten ermordete? König Pedro III. hatte Jaime von Mallorca nicht getötet, trotz seines häufigen Verrats und der Kriege, die sie gegeneinander geführt hatten.
»Es wäre besser, die Verteidigung an Land zu organisieren«, brüllte ihm Guillem ins Ohr. »Auf See ist das unmöglich. Sobald die Kastilier die Sandbänke passiert haben, werden sie uns überrennen.«
Arnau nickte zustimmend. Warum wollte der König die Stadt unbedingt von See verteidigen? Guillem hatte recht – wenn sie die Sandbänke passierten …
»Die Sandbänke!«, entfuhr es Arnau. »Liegt eines unserer Schiffe im Hafen?«
»Was hast du vor?«
»Die Sandbänke, Guillem! Begreifst du nicht? Liegt eines unserer Schiffe vor Anker?«
»Der Walfänger dort drüben«, antwortete Guillem und deutete auf ein großes, schweres, dickbauchiges Schiff.
»Los. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Arnau rannte inmitten einer riesigen Menschenmenge, die das Gleiche tat, zum Wasser hinunter. Im Laufen blickte er zurück, um Guillem zur Eile anzuhalten.
Am Ufer wimmelte es von Soldaten und Barcelonesen, die bis zu den Hüften im Wasser standen. Manche versuchten in die kleinen Fischerboote zu klettern, die bereits am Auslaufen waren, andere warteten, bis ein Hafenschiffer sie zu einem der großen Kriegs- oder Handelsschiffe brachte, die im Hafen ankerten.
Arnau sah einen der Hafenschiffer näher kommen.
»Los, mach schon!«, rief er Guillem zu, während er sich ins Wasser stürzte, um den anderen zuvorzukommen, die zu dem Boot wateten.
Als sie das Boot erreichten, war es bereits überfüllt, doch der Hafenschiffer erkannte Arnau und verschaffte ihnen einen Platz.
»Bring mich zu dem Walfänger«, sagte er, als der Schiffer den Befehl zum Losrudern geben wollte.
»Zuerst zu den Galeeren. Befehl des Königs.«
»Bring mich zu dem Walfänger!«, beharrte Arnau. Der Hafenschiffer wiegte unschlüssig den Kopf. Die Männer im Boot begannen zu murren. »Ruhe!«, brüllte Arnau. »Du kennst mich. Ich muss unbedingt zu diesem Walfänger. Es geht um Barcelona … Um deine Familie. Um euer aller Familien!«
Der Hafenschiffer sah zu dem großen, bauchigen Schiff hinüber. Er brauchte nur ein klein wenig vom Kurs abzuweichen. Warum nicht? Weshalb sollte er Arnau Estanyol enttäuschen?
»Zum Walfänger!«, befahl er den beiden Ruderern.
Als Arnau und Guillem die Strickleiter erklommen, die ihnen der Kapitän des Walfängers zuwarf, nahm der Hafenschiffer Kurs auf die nächste Galeere.
»Alle Mann an die Riemen«, befahl Arnau dem Kapitän, kaum dass er an Deck stand.
Der Mann gab den Ruderern ein Zeichen, die sich sofort auf ihre Plätze begaben.
»Wo geht es hin?«, fragte er.
»Zu den Sandbänken«, antwortete Arnau.
Guillem nickte.
»Möge Allah – sein Name sei gelobt und gepriesen – wollen, dass es dir gelingt.«
Guillem hatte verstanden, was Arnau vorhatte. Nicht so jedoch das Heer und die Bürger Barcelonas. Als sie sahen, wie sich der Walfänger ohne Soldaten und ohne bewaffnete Männer an Bord in Bewegung setzte, dem offenen Meer zu, sagte einer: »Er will sein Schiff retten.«
»Jude!«, schrie ein anderer.
»Verräter!«
Viele andere fielen in die Verwünschungen mit ein, und nach kurzer Zeit brüllte der ganze Strand gegen Arnau an. Was hatte Arnau Estanyol vor?, fragten sich Bastaixos und Hafenschiffer, während sie zu dem bauchigen Schiff hinübersahen, das unter den Schlägen von über hundert Rudern, die immer wieder ins Wasser tauchten, langsam vorwärtsglitt.
Arnau und Guillem standen im Bug und beobachteten die kastilische Flotte, die mittlerweile gefährlich nahe war, doch als sie an den katalanischen Galeeren vorbeikamen, ging ein Pfeilhagel auf sie nieder, und sie mussten in Deckung gehen. Als sie außer Reichweite waren, nahmen sie wieder ihren Posten ein.
»Es wird gutgehen«, sagte Arnau zu Guillem. »Barcelona darf nicht in die Hände dieses Schuftes fallen.«
Die Tasques , eine Reihe von Sandbänken, die der Küste vorgelagert waren und die Meeresströmungen fernhielten, waren die einzige natürliche Verteidigungsanlage des Hafens von Barcelona. Gleichzeitig jedoch stellten sie eine Gefahr für ankommende Schiffe dar. Diese konnten das Hindernis nur an einer einzigen Stelle passieren, die tief genug war, andernfalls liefen sie auf.
Arnau und Guillem näherten sich den Sandbänken, während ihnen aus Tausenden von Kehlen die übelsten Beschimpfungen hinterhergeschickt wurden. Das Gebrüll der Katalanen übertönte sogar das Läuten der Glocken.
»Es wird gutgehen«, sagte Arnau bei sich. Dann befahl er dem Kapitän, das Rudern einzustellen. Als die Ruder aus dem Wasser tauchten und der Walfänger auf die Sandbänke zuglitt, begannen die Schreie und Beschimpfungen zu verstummen, bis schließlich völlige Stille am Strand herrschte. Die kastilische Flotte kam immer näher. Durch das Glockengeläut hindurch hörte Arnau den Kiel des Schiffes durchs Wasser gleiten, auf die Untiefen zu.