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»Weshalb hast du mir erzählt, er sei tot?«, fragte Aledis, die Jüngere der beiden Dirnen.

»Er ist mein Sohn, Aledis.«

»Arnau ist dein Sohn?«

Francesca nickte, gab Aledis aber gleichzeitig ein Zeichen, leiser zu sprechen. Um nichts in der Welt wollte sie, dass jemand erfuhr, dass Arnau der Sohn einer öffentlichen Frau war. Glücklicherweise achteten die Menschen um sie herum nur auf die Auseinandersetzung zwischen den Adligen.

Für einen Moment schien sich der Konflikt zu verschärfen. Angesichts der Untätigkeit der anderen beschloss Joan einzugreifen.

»Ihr mögt recht haben mit dem, was Ihr sagt«, erklärte er, hinter der gedemütigten Baronin stehend. »Ihr könnt den Treueid verweigern, doch das entbindet Euch nicht davon, Euren Lehnsherren zu Diensten zu stehen und ihre Rechte anzuerkennen. So ist das Gesetz! Seid Ihr dazu bereit?«

Während der Vogt, wohl wissend, dass der Dominikaner recht hatte, seine Mitstreiter ansah, winkte Arnau Joan zu sich heran.

»Was bedeutet das?«, fragte er ihn leise.

»Es bedeutet, dass sie ihren Stolz wahren können. Sie brauchen nicht …«

»… einem unter ihnen Stehenden die Ehre zu erweisen«, half ihm Arnau. »Du weißt doch, dass mir das nie etwas ausgemacht hat.«

»Sie erweisen dir nicht ihre Hochachtung und unterwerfen sich dir nicht als Vasallen, doch das Gesetz verpflichtet sie, dir ihre Dienste zur Verfügung zu stellen und anzuerkennen, dass sie ihren Grundbesitz und ihre Titel aus deiner Hand empfangen.«

»Wir erkennen sie an«, erklärte der Vogt.

Arnau achtete nicht auf den Adligen. Er sah ihn nicht einmal an. Er dachte nach. Das war die Lösung für das Elend der Bauern. Joan beugte sich immer noch zu ihm herüber. Elionor zählte nicht mehr. Ihr Blick war weit weg, bei ihren verlorenen Träumen.

»Das heißt also«, fragte Arnau Joan, »dass ich das Sagen habe und sie mir gehorchen müssen, auch wenn sie mich nicht als ihren Baron anerkennen?«

»Ja. Sie wahren nur ihr Gesicht.«

»Gut«, sagte Arnau. Dann erhob er sich feierlich und winkte den Schreiber heran. »Siehst du die Lücke zwischen den Adligen und dem Volk?«, fragte er ihn, als dieser neben ihm stand. »Ich will, dass du dich dort hinstellst und das, was ich sage, so laut wiederholst, wie du kannst, Wort für Wort. Ich will, dass alle erfahren, was ich zu sagen habe!«

Während der Schreiber zu der Lücke hinter den Adligen ging, warf Arnau dem Vogt, der eine Antwort auf seine Einwilligung zur Anerkennung der Rechte erwartete, ein spöttisches Lächeln zu.

»Ich, Arnau, Baron von Granollers, Sant Vicenç und Caldes de Montbui …«

Arnau wartete, dass der Schreiber seine Worte wiederholte: »Ich, Arnau, Baron von Granollers, Sant Vicenç und Caldes de Montbui …«

»… erkläre hiermit alle Gewohnheitsrechte gegenüber unfreien Bauern für aufgehoben …«

»… erkläre hiermit alle …«

»Das kannst du nicht machen!«, schrie einer der Adligen dazwischen.

Angesichts der Empörung der Adligen sah Arnau, Bestätigung suchend, zu Joan.

»Doch, das kann ich«, antwortete er knapp, als Joan nickte.

»Wir werden uns an den König wenden!«, schrie ein anderer.

Arnau zuckte mit den Schultern. Joan trat zu ihm.

»Hast du bedacht, was mit diesen armen Leuten geschieht, wenn du ihnen Hoffnung machst und dich der König dann in die Schranken weist?«

»Joan«, entgegnete Arnau mit einer Selbstsicherheit, die ihm bislang gefehlt hatte, »mag sein, dass ich nichts von Ehre, Adel und Rittertum verstehe, aber ich weiß, wie viele Darlehen an den König in meinen Büchern vermerkt sind. Und nach meiner Heirat mit seinem Mündel sind sie in Anbetracht des Feldzugs nach Mallorca noch beträchtlich gestiegen«, setzte er lächelnd hinzu. »Davon verstehe ich sehr wohl etwas. Ich versichere dir, dass der König mein Wort nicht infrage stellen wird.«

Arnau sah den Schreiber an, damit dieser fortfahre: »… erkläre hiermit alle Gewohnheitsrechte gegenüber den unfreien Bauern für aufgehoben …«, rief der Schreiber.

»Ich erkläre das Recht des Herrn für abgeschafft, Anspruch auf einen Teil des Erbes seiner Untertanen zu erheben.« Arnau sprach klar und deutlich, damit der Schreiber seine Worte wiederholen konnte. Das Volk hörte schweigend zu, ungläubig und hoffnungsvoll zugleich. »Des Weiteren erkläre ich für abgeschafft das Recht, einen Teil oder den gesamten Besitz eines Ehebrechers für sich zu beanspruchen. Das Recht, das dem Herrn einen Teil des Besitzes jener Bauern zuspricht, die kinderlos sterben. Das Recht, die Bauern nach Gutdünken körperlich zu züchtigen und sich in ihre Angelegenheiten einzumischen.« Es war so still, dass sogar der Schreiber verstummte, als er merkte, dass die versammelte Menge ohne Probleme verstehen konnte, was ihr Herr zu sagen hatte. Francesca hielt sich an Aledis' Arm fest. »Abgeschafft wird die Verpflichtung des Bauern, seinen Herrn für einen Brand auf seinem Land zu entschädigen. Abgeschafft wird das Recht des Herrn, die erste Nacht mit der Braut zu verbringen.«

Arnau konnte es nicht sehen, doch inmitten der Menge, die freudig zu murmeln begann, als klar wurde, dass er seine Worte ernst meinte, ließ eine alte Frau – seine Mutter – Aledis' Arm los und schlug die Hände vors Gesicht. Aledis begriff sofort. Tränen traten ihr in die Augen und sie umarmte ihre Herrin. Unterdessen waren die Adligen und Ritter vor dem Podest, von dem herunter Arnau ihre Untertanen freisprach, aufgesprungen und beratschlagten, wie das Problem dem König am besten zu unterbreiten sei.

»Ich erkläre alle Rechte für abgeschafft, nach denen die Bauern bislang zu Diensten verpflichtet wurden, die über die rechtmäßige Zahlung des Pachtzinses für ihr Land hinausgehen. Ich erkläre euch für frei, euer eigenes Brot zu backen, eure eigenen Tiere zu beschlagen und eure Werkzeuge in euren eigenen Schmieden instand zu setzen. Den Frauen und Müttern steht es frei, sich zu weigern, den Kindern der Herrschaften kostenlos als Amme zu dienen.« Die Alte, in ihre Erinnerungen versunken, konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen. »So wie es euch freisteht, nicht länger kostenlos in den Häusern eurer Herrschaften zu dienen. Ich befreie euch von der Verpflichtung, eure Herrschaften zu Weihnachten zu beschenken und unentgeltlich Frondienste zu leisten.«

Arnau schwieg einen Moment und betrachtete die Menge hinter den besorgten Adligen, die auf einen ganz bestimmten Satz wartete. Etwas fehlte noch. Die Leute wussten das und warteten ungeduldig, als Arnau plötzlich verstummte. Etwas fehlte noch.

»Ich erkläre euch für frei!«, rief er schließlich.

Der Vogt schrie auf und ballte die Faust in Arnaus Richtung. Auch die Adligen um ihn herum gestikulierten und schrien.

»Wir sind frei!«, schluchzte die Alte im Jubel der Menge.

»Mit dem heutigen Tag, an dem sich einige Adlige geweigert haben, der Ziehtochter des Königs ihre Hochachtung zu erweisen, sind die Bauern, die das Land der Barone von Granollers, Sant Vicenç und Caldes de Montbui bestellen, jenen im neuen Katalonien gleichgestellt, in den Baronien Entença, Conca del Barberà, in Tarragona, in der Grafschaft Prades, Segarra oder Garriga, in der Markgrafschaft Aytona, in Tortosa oder Urgell … den Bauern in allen neunzehn Marken dieses Katalonien, das mit dem Einsatz und dem Blut eurer Väter erobert wurde. Ihr seid frei! Ihr seid Bauern, doch niemals wieder werdet ihr auf diesem Land Leibeigene sein, genauso wenig wie eure Kinder und Kindeskinder!«

»Und eure Mütter«, flüsterte Francesca leise, bevor sie erneut in Tränen ausbrach und sich an Aledis klammerte, die eine Gänsehaut hatte.

Arnau musste das Podest verlassen, um zu verhindern, dass sich das jubelnde Volk auf ihn stürzte. Joan stützte Elionor, die sich nicht alleine auf den Beinen halten konnte. Hinter ihnen versuchte Mar, ihre aufgewühlten Gefühle in den Griff zu bekommen.