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Als sich Arnau und seine Begleiter in die Burg zurückzogen, begann sich die Ebene zu leeren. Nachdem die Adligen übereingekommen waren, wie sie die Angelegenheit dem König unterbreiten sollten, preschten auch sie im gestreckten Galopp davon, ohne Rücksicht auf die Menschen zu nehmen, die sich auf den Straßen drängten und die in den Graben springen mussten, um nicht von einem wutentbrannten Reiter über den Haufen geritten zu werden. Die Bauern kehrten langsam zu ihren Höfen zurück, mit einem Lächeln auf ihren Gesichtern.

Nur zwei Frauen blieben auf dem Platz zurück.

»Weshalb hast du mich belogen?«, fragte Aledis.

Die alte Frau sah sie an.

»Weil du ihn nicht verdient hattest … und weil er nicht mit dir leben sollte. Du warst nicht dazu bestimmt, seine Frau zu sein.« Francesca zögerte nicht. Sie sagte es kalt, so kalt, wie es ihre raue Stimme zuließ.

»Findest du wirklich, dass ich ihn nicht verdient habe?«, fragte Aledis.

Francesca wischte sich die Tränen ab und wurde wieder zu der Frau, die seit Jahren energisch und unerschütterlich ihr Geschäft betrieb.

»Hast du nicht gesehen, was aus ihm geworden ist? Hast du nicht gehört, was er gerade gesagt hat? Glaubst du, sein Leben wäre mit dir genauso verlaufen?«

»Die Sache mit meinem Mann und dem Duell …«

»… war eine Lüge.«

»Dass ich gesucht wurde …«

»Auch.« Aledis runzelte die Stirn und sah Francesca an. »Du hast mich ebenfalls belogen, erinnerst du dich?«, warf ihr die Alte vor.

»Ich hatte meine Gründe.«

»Und ich die meinen.«

»Du wolltest mich für dein Geschäft ködern … Jetzt verstehe ich.«

»Das war nicht der einzige Grund, aber ich gebe es zu, ja. Hast du einen Grund zur Klage? Wie viele unbedarfte Mädchen hast du seither belogen?«

»Das wäre nicht nötig gewesen, wenn du nicht …«

»Ich erinnere dich daran, dass es deine freie Entscheidung war. Andere unter uns hatten keine Wahl.«

Aledis zögerte. »Es war sehr hart, Francesca. Mich nach Figueras durchzuschlagen, mich zu erniedrigen, zu unterwerfen … Und wozu das alles?«

»Du lebst gut, besser als viele der Adligen, die heute hier waren. Es fehlt dir an nichts.«

»Doch. Meine Ehre.«

Francesca richtete sich so weit auf, wie es ihr gebeugter Körper erlaubte.

»Weißt du, Aledis, ich verstehe nichts von Ehrbarkeit und Ehre. Du hast mir deine verkauft. Mir wurde meine geraubt, als ich ein Mädchen war. Niemand hat mir die Wahl gelassen. Heute habe ich die Tränen geweint, die ich mir mein Leben lang versagt habe, und damit ist es genug. Wir sind, was wir sind, und weder dir noch mir nützt es, daran zu denken, wie wir dazu wurden. Überlass es den anderen, sich um der Ehre willen zu schlagen. Du hast sie heute gesehen. Wer von denen, die mit uns hier standen, ist in der Lage, von Ehre zu sprechen?«

»Vielleicht jetzt, da sie nicht länger unfrei sind …«

»Mach dir nichts vor. Sie werden auch weiterhin arme Schlucker bleiben, für die es nicht zum Leben und nicht zum Sterben reicht. Wir haben hart gekämpft, um das zu erreichen, was wir haben. Denk nicht an die Ehre. Sie ist nicht fürs Volk gemacht.«

Aledis sah sich um und betrachtete die Leute. Man hatte sie aus der Leibeigenschaft befreit, ja, aber es waren immer noch dieselben Männer und Frauen ohne Hoffnung, dieselben hungernden Kinder, barfüßig und halbnackt. Sie nickte und umarmte Francesca.

41

»Du willst mich doch nicht hier zurücklassen!«

Elionor stürzte wie eine Furie die Treppe hinunter. Arnau saß in dem großen Saal am Tisch und unterzeichnete die Dokumente, mit denen er die Leibeigenschaft auf seinem Land abschaffte. »Sobald sie unterschreibt, reise ich ab«, hatte er zu Joan gesagt. Der Mönch und Mar standen hinter Arnau und beobachteten die Szene.

Arnau hörte auf zu schreiben und sah Elionor an. Es war wohl das erste Mal seit ihrer Hochzeit, dass sie miteinander sprachen. Arnau stand nicht auf.

»Was liegt dir daran, ob ich bleibe?«

»Wie kannst du wollen, dass ich an einem Ort bleibe, wo man mich derart gedemütigt hat?«

»Dann lass es mich anders ausdrücken: Was könnte dir daran liegen, mit mir zu kommen?«

»Du bist mein Mann!« Ihre Stimme überschlug sich. Sie hatte alle Möglichkeiten tausendmal erwogen. Sie konnte nicht hierbleiben, aber sie konnte auch nicht an den königlichen Hof zurück. Arnau machte ein ungehaltenes Gesicht. »Wenn du fortgehst und mich zurücklässt, werde ich mich an den König wenden«, setzte Elionor hinzu.

Ihre Worte klangen Arnau drohend in den Ohren. »Wir werden uns an den König wenden!«, hatten ihm die Adligen gedroht. Den Angriff der Adligen glaubte er abwehren zu können, doch … Er betrachtete die Dokumente, die er soeben unterzeichnet hatte. Wenn sich seine eigene Frau, die Ziehtochter des Königs, den Klagen der Adligen anschloss …

»Unterschreib«, bat er sie und schob ihr die Dokumente hin.

»Weshalb sollte ich das tun? Wenn du die Leibeigenschaft aufhebst, haben wir keine Einnahmen mehr.«

»Unterschreib, und du wirst in einem Palast in der Calle de Monteada in Barcelona leben. Du wirst nicht auf diese Pachtzinsen angewiesen sein. Du wirst so viel Geld haben, wie du willst.«

Elionor trat an den Tisch, nahm die Feder und beugte sich über die Dokumente.

»Was garantiert mir, dass du Wort hältst?«, fragte sie plötzlich und sah Arnau an.

»Die Tatsache, dass ich dich umso seltener sehe, je größer das Haus ist. Das ist die Garantie. Je besser du lebst, umso weniger wirst du mich belästigen. Reichen dir diese Garantien? Ich habe nicht vor, dir eine andere zu geben.«

Elionor sah Mar und Joan an, die hinter Arnau standen. War das ein Lächeln auf dem Gesicht des Mädchens?

»Werden sie bei uns leben?«, fragte sie und deutete mit der Feder auf die beiden.

»Ja.«

»Auch das Mädchen?«

Mar und Elionor tauschten einen eisigen Blick.

»Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt, Elionor? Unterschreibst du jetzt oder nicht?«

Sie unterschrieb.

Arnau wartete nicht, bis Elionor ihre Vorbereitungen getroffen hatte. Er reiste noch am selben Tag nach Barcelona ab, in den Abendstunden, um der Augusthitze zu entkommen, und zwar genauso, wie er gekommen war: auf einem gemieteten Wagen.

Keiner von ihnen blickte zurück, als der Wagen durch das Burgtor rumpelte.

»Weshalb müssen wir mit ihr zusammenleben?«, fragte Mar Arnau auf der Rückfahrt.

»Ich darf den König nicht vor den Kopf stoßen, Mar. Man weiß nie, wie die Antwort eines Königs aussieht.«

Mar schwieg nachdenklich.

»Hast du ihr deshalb diese ganzen Angebote gemacht?«

»Nein … Nun ja, auch, aber vor allem wegen der Bauern. Ich will nicht, dass sie sich beschwert. Der König hat uns vermeintliche Pachteinkünfte zugestanden, obwohl diese in Wirklichkeit nicht existieren oder verschwindend gering sind. Wenn sie nun zum König geht und sich beklagt, dass ich durch mein Vorgehen diese Einkünfte verschleudert hätte, könnte er womöglich meine Anordnungen rückgängig machen.«

»Der König? Warum sollte der König das tun?«

»Du musst wissen, dass der König vor einigen Jahren eine Verfügung gegen die unfreien Bauern erlassen hat und die Privilegien einschränkte, die er und seine Vorgänger den Städten gewährt hatten. Die Kirche und der Adel haben ihn gedrängt, etwas dagegen zu unternehmen, dass die Bauern fliehen und das Land unbestellt zurücklassen … Und das hat er getan.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass er so etwas tun könnte.«

»Er ist auch ein Adliger, Mar. Der Erste unter ihnen.«

Sie übernachteten in einem Gehöft außerhalb von Monteada. Arnau entlohnte die Bauern großzügig. Im Morgengrauen brachen sie auf und erreichten Barcelona, bevor es heiß wurde.