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Am Abend warf Elionor dem Mädchen ein abschätziges Lächeln zu, als sie feststellte, dass Arnau sich ihr gegenüber genauso verhielt wie immer. Mit der Zeit wurde dieses Lächeln zu Mars ständigem Begleiter. Elionor untersagte ihr, mit den Dienern zum Einkaufen zu gehen und die Küche zu betreten. Sie postierte Bedienstete vor den Türen der Wohnräume, wenn sie sich darin aufhielt. »Die Baronin möchte nicht gestört werden«, bekam Mar zu hören, wenn sie hineinwollte. Tag für Tag fand Elionor neue Wege, das Mädchen zu piesacken.

Der König. Sie durften den König nicht vor den Kopf stoßen. Diese Worte hatten sich Mar eingeprägt, und sie rief sie sich immer wieder in Erinnerung. Elionor war seine Ziehtochter und hatte jederzeit Zugang zum König. Sie würde Elionor keinen Anlass geben, sich beleidigt zu fühlen.

Welch großer Irrtum! Die häuslichen Zwistigkeiten stellten Elionor nicht zufrieden. Ihre kleinen Siege verpufften, wenn Arnau nach Hause kam und Mar sich in seine Arme warf. Die beiden lachten miteinander, sie plauderten … und sie berührten sich. Arnau saß in einem Sessel und erzählte von seinem Tag, den Auseinandersetzungen an der Börse, dem Wechselgeschäft, den Schiffen, und Mar kauerte zu seinen Füßen und lauschte andächtig seinen Geschichten. War dies nicht eigentlich der Platz seiner rechtmäßigen Ehefrau? Nach dem Abendessen stand Arnau am Fenster und betrachtete gemeinsam mit Mar, die sich bei ihm untergehakt hatte, die sternenklare Nacht. Hinter ihnen ballte Elionor die Fäuste, bis sich ihre Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen gruben. Dann stand sie brüsk auf, um sich zurückzuziehen.

In der Einsamkeit ihrer Gemächer überdachte sie ihre Situation. Arnau hatte sie seit der Hochzeit kein einziges Mal berührt. Sie streichelte ihren Körper, ihre immer noch festen Brüste, ihre Hüften, ihre Scham, doch wenn die Lust sie übermannte, wurde ihr stets schmerzlich bewusst, dass es diesem Mädchen gelungen war, ihren Platz einzunehmen.

»Was geschieht, wenn mein Mann stirbt?«

Sie fragte direkt und ohne Umschweife, nachdem sie vor dem mit Büchern beladenen Tisch Platz genommen hatte. Dann hustete sie. Dieses Studierzimmer voller Bücher und Akten, der Staub …

Reginald d'Area betrachtete seine Besucherin in aller Ruhe. Er sei der beste Anwalt der Stadt, hatte man Elionor gesagt, sehr erfahren in der Auslegung der katalonischen Gesetze.

»Wenn ich Euch recht verstanden habe, habt Ihr keine gemeinsamen Kinder mit Eurem Gemahl, ist das richtig?« Elionor runzelte die Stirn. »Ich muss es wissen«, sagte er bedächtig. Seine gesamte Erscheinung – ein beleibter, gutmütiger Herr mit weißen Haaren und weißem Bart – flößte ihr Sicherheit ein.

»Nein, haben wir nicht.«

»Ich nehme an, Eure Anfrage bezieht sich auf den Aspekt der Erbschaft.«

Elionor rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.

»Ja«, antwortete sie schließlich.

»Eure Mitgift erhaltet Ihr zurück. Was das Vermögen Eures Mannes angeht, so kann er in einem Testament darüber verfügen, wie er möchte.«

»Mir stünde nichts zu?«

»Der Nießbrauch an seinem Besitz während des Trauerjahres.«

»Mehr nicht?«

Der Ausruf brachte Reginald d'Area aus der Fassung. Wofür hielt sich diese Frau?

»Das habt Ihr Eurem Vormund König Pedro zu verdanken«, entgegnete er trocken.

»Wie meint Ihr das?«

»Bis zur Thronbesteigung Eures Vormunds war in Katalonien ein Gesetz König Jaimes I. in Kraft, nach dem die Witwe ein Lebtag lang in den Nießbrauch des gesamten Erbes ihres Mannes kam, solange sie sich ehrbar verhielt. Doch die Händler in Barcelona und Perpignan sind sehr misstrauisch, was ihr Vermögen angeht, selbst gegenüber ihren Ehefrauen, und setzten ein königliches Privileg durch, demzufolge dieser Nießbrauch nur für das Trauerjahr gelten sollte. Euer Vormund hat dieses Privileg in den Stand eines Gesetzes erhoben, das für das gesamte Prinzipat Gültigkeit hat …«

Elionor hatte genug gehört und stand auf, bevor der Anwalt zu Ende gesprochen hatte. Sie hustete erneut und ließ ihren Blick durch die Studierstube schweifen. Was wollte er mit all diesen Büchern? Reginald erhob sich ebenfalls.

»Wenn Ihr noch etwas benötigt …«

Elionor, die sich bereits zum Gehen gewandt hatte, winkte lediglich ab.

Die Sache war klar: Sie brauchte ein Kind von ihrem Mann, um ihre Zukunft abzusichern. Arnau hatte Wort gehalten und Elionor hatte ein anderes Leben kennengelernt: Ein Leben im Luxus, den sie bei Hofe zwar gesehen hatte, der ihr aber nach unzähligen Kontrollen durch die königlichen Schatzmeister stets verwehrt geblieben war. Nun gab sie so viel Geld aus, wie sie wollte, hatte alles, was sie sich wünschte. Doch was, wenn Arnau starb? Die Einzige, die ihr im Weg stand, die Einzige, die ihn von ihr fernhielt, war diese wollüstige Hexe. Wenn die Hexe nicht mehr da wäre … wenn sie verschwände … dann würde Arnau sicherlich ihren Reizen erliegen. Oder sollte sie etwa nicht in der Lage sein, einen geflohenen Bauern zu verführen?

Einige Tage später ließ Elionor den Mönch zu sich rufen, den einzigen Estanyol, mit dem sie einen gewissen Umgang pflegte.

»Ich kann das nicht glauben!«, sagte Joan.

»Aber es ist so, Bruder Joan«, beteuerte Elionor, die Hände immer noch vors Gesicht geschlagen. »Seit unserer Hochzeit hat er mich nicht einmal berührt.«

Joan wusste, dass es keine Liebe zwischen Arnau und Elionor gab und dass sie in getrennten Zimmern schliefen. Aber was besagte das schon? Niemand heiratete aus Liebe und die meisten Adligen schliefen getrennt. Doch wenn Arnau Elionor nicht angefasst hatte, war die Ehe nicht vollzogen.

»Habt Ihr darüber gesprochen?«, wollte er von ihr wissen.

Elionor nahm die Hände vom Gesicht und sah Joan aus geröteten Augen an.

»Ich traue mich nicht. Ich wüsste nicht, wie. Außerdem glaube ich …«

Elionor ließ ihren Verdacht in der Luft stehen.

»Was glaubt Ihr?«

»Ich glaube, Arnau hat mehr Augen für Mar als für mich.«

»Ihr wisst doch, dass Arnau das Mädchen vergöttert.«

»Ich meine nicht diese Art von Liebe, Bruder Joan«, sagte sie und senkte die Stimme. Joan richtete sich in seinem Sessel auf. »Ich weiß, dass es Euch schwerfallen wird, mir zu glauben, doch ich bin überzeugt, dass dieses Mädchen, wie Ihr sie zu nennen beliebt, meinem Mann nachstellt. Es ist, als hätte man den Teufel im eigenen Haus, Bruder Joan!« Elionor legte ein Beben in ihre Stimme. »Meine Waffen sind die einer verheirateten Frau, die dem Auftrag der Kirche nachkommen will. Doch immer wenn ich es versuche, stelle ich fest, dass mein Mann von einer Wollust gefangen ist, die ihn daran hindert, mich zu beachten. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!«

Deshalb also wollte Mar nicht heiraten! Konnte das wirklich stimmen? Joan erinnerte sich: Die beiden waren immer zusammen. Und wie sie sich in die Arme fielen! Und diese Blicke, und das Lächeln. Wie dumm er gewesen war! Der Maure wusste davon, keine Frage. Deshalb verteidigte er sie.

»Ich weiß nicht, was ich Euch sagen soll«, entschuldigte er sich.

»Ich habe einen Plan. Doch dabei benötige ich Eure Hilfe und vor allen Dingen Euren Rat.«

43

Joan hörte sich Elionors Plan an und es lief ihm kalt den Rücken hinunter.

»Ich muss darüber nachdenken«, antwortete er.

An diesem Abend ließ sich Joan beim Essen entschuldigen und schloss sich in seinem Zimmer ein, um Arnau und Mar aus dem Weg zu gehen und Elionors fragendem Blick zu entkommen. Bruder Joan betrachtete seine theologischen Bücher, die sorgfältig in einem Bücherschrank aufgereiht standen. In ihnen musste die Antwort auf seine Probleme zu finden sein. All die Jahre, die er getrennt von seinem Bruder verbracht hatte, hatte Joan nie aufgehört, an ihn zu denken. Er liebte Arnau. Er und sein Vater waren alles gewesen, was er in seiner Kindheit gehabt hatte. Doch diese Liebe war kein ungetrübtes Gefühl. In ihr schwang auch eine Bewunderung mit, die in schlechten Momenten an Neid grenzte. Arnau mit seinem offenen Lächeln und seiner aufgeweckten Art, ein Junge, der behauptete, mit der Jungfrau zu sprechen. Bruder Joan verzog das Gesicht bei der Erinnerung daran, wie er mit allen Mitteln versucht hatte, diese Stimme zu hören. Mittlerweile wusste er, dass es nahezu unmöglich war und nur wenige Auserwählte mit dieser Gnade gesegnet waren. Er hatte gelernt und sich diszipliniert in der Hoffnung, einer von ihnen zu sein. Er hatte gefastet, bis es ihn beinahe die Gesundheit gekostet hätte, doch es war alles vergeblich gewesen.