Sie werden das Land des unglücklichen Felip de Ponts verwüsten, als hätte er ihre eigenen Töchter entführt, dachte Joan. Sie werden ihm den Prozess machen und ihn hinrichten, doch vorher werden sie ihm Gelegenheit geben, zu reden … Joan sah Arnau an, der schweigend und mit finsterer Miene vorwärtsstapfte.
Gegen Abend erreichte das Heer den Besitz Felip de Ponts und hielt am Fuß des kleinen Hügels an, auf dem das Anwesen des Ritters stand. Bei diesem handelte es sich um einen schlichten Bauernhof ohne jegliche Verteidigungsanlage, abgesehen von dem üblichen Wehrturm, der sich an einer Seite des Hofes befand. Joan blickte zu dem Gehöft herüber. Dann wanderte sein Blick über das Heer, das auf die Befehle der Ratsherren wartete. Er sah Elionor an, die seinem Blick auswich. Dreitausend Mann, um ein einfaches Gehöft einzunehmen!
Plötzlich kam Leben in Joan, und er lief dorthin, wo Arnau und Guillem mit den Ratsherren und den übrigen Vornehmen der Stadt unter dem Banner von Sant Jordi zusammenstand und beratschlagte, was nun zu tun sei. Ihm wurde flau im Magen, als er feststellte, dass die große Mehrheit dafür plädierte, das Gehöft anzugreifen, ohne jegliche Vorankündigung und ohne Ponts die Möglichkeit zu lassen, sich dem Bürgerheer zu ergeben.
Die Ratsherren begannen den Zunftmeistern Befehle zu erteilen. Joan sah zu Elionor, die reglos zu dem Gehöft herüberstarrte. Dann trat er zu Arnau. Er wollte mit ihm reden, doch er konnte einfach nicht. Guillem, der neben ihm stand, sah ihn mit Verachtung im Blick an. Die Zunftmeister gaben die Befehle an ihre Soldaten weiter. Ringsum waren die Vorbereitungen zum Kampf zu hören. Fackeln wurden entzündet. Man hörte Schwerter klirren und das Geräusch, mit dem die Armbrüste gespannt wurden. Joan betrachtete das Gehöft und dann wieder das Heer. Dieses setzte sich nun in Bewegung. Es würde keine Zugeständnisse geben. Barcelona würde keine Gnade zeigen. Arnau ließ den Mönch stehen, um wie alle anderen zum Gehöft Felip de Ponts zu ziehen. Er hielt seinen Dolch fest umklammert. Ein erneuter Blick zu Elionor: Sie zeigte immer noch keine Regung.
»Nein!«, rief Joan, doch sein Bruder hatte ihm bereits den Rücken gekehrt.
Sein Schrei ging im Lärmen des Heeres unter. Vor dem Gehöft erschien eine Gestalt auf einem Pferd. Langsam kam ihnen Felip de Ponts entgegengeritten.
»Nehmt ihn fest!«, ordnete ein Ratsherr an.
»Nein!«, rief Joan. Alle wandten sich zu ihm um. Arnau sah ihn fragend an. »Ein Mann, der sich ergibt, darf nicht festgenommen werden.«
»Was soll das, Mönch?«, fragte einer der Ratsherren. »Willst du das Heer von Barcelona befehligen?«
Joan warf Arnau einen flehentlichen Blick zu.
»Ein Mann, der sich ergibt, darf nicht festgenommen werden«, erklärte er seinem Bruder noch einmal.
»Lasst ihn sich ergeben«, lenkte Arnau ein.
Felip de Ponts' erster Blick galt seinen Komplizen. Dann wandte er sich an die Männer unter dem Banner Sant Jordis, darunter auch Arnau und die Ratsherren der Stadt.
»Bürger von Barcelona!«, rief er laut genug, damit ihn das ganze Heer verstehen konnte. »Ich weiß, warum ihr heute hier seid, und ich weiß, dass ihr Gerechtigkeit für eine Mitbürgerin wollt. Hier bin ich. Ich bekenne mich der Vergehen schuldig, die man mir vorwirft, doch bevor ihr mich festnehmt und meinen Besitz zerstört, bitte ich euch um die Gelegenheit zu sprechen.«
»Sprecht«, gestand ihm einer der Ratsherren zu.
»Es ist wahr, dass ich Mar Estanyol gegen ihren Willen entführt und mich mit ihr vereint habe …« Ein Murmeln ging durch die Reihen des barcelonesischen Bürgerheers und hinderte Felip de Ponts am Weitersprechen. Arnau schloss seine Hände um die Armbrust. »Ich habe mein Leben aufs Spiel gesetzt, wohl wissend, welche Strafe auf dieses Vergehen steht. Ich habe es getan und ich würde es wieder tun, denn so groß war meine Liebe zu diesem Mädchen, so groß mein Kummer darüber, sie in ihrer Jugend dahinwelken zu sehen, ohne einen Ehemann an ihrer Seite, um mit ihm die Gaben zu genießen, die der Herrgott ihr gewährt hat, dass meine Gefühle meinen Verstand übermannten und ich mich eher wie ein liebestolles Tier als wie ein Ritter König Pedros verhielt.« Joan spürte die angespannte Aufmerksamkeit des Heeres und versuchte, dem Ritter in Gedanken die nächsten Worte einzugeben. »Als dieses Tier, das ich war, ergebe ich mich euch. Als Ritter, der ich wieder sein möchte, verpflichte ich mich, Mar zu heiraten und sie mein Leben lang zu lieben. Nun richtet über mich! Ich bin nicht bereit, einen Ehemann ihres Standes vorzuschlagen, wie es unsere Gesetze vorsehen. Bevor ich sie mit einem anderen sehe, nehme ich mir lieber eigenhändig das Leben.«
Felip de Ponts beendete seine Ansprache und wartete stolz auf seinem Pferd, einem Heer von dreitausend Mann trotzend, die schweigend dastanden und zu verstehen versuchten, was sie soeben gehört hatten.
»Gelobt sei der Herr!«, rief Joan.
Arnau sah ihn erstaunt an. Alle wandten sich dem Mönch zu, auch Elionor.
»Was soll das?«, fragte Arnau.
»Arnau …« Joan fasste seinen Bruder am Arm und erhob die Stimme, laut genug, damit ihn die Anwesenden hören konnten. »Dies ist nichts anderes als die Folge unserer eigenen Nachlässigkeit.« Arnau fuhr zusammen. »Jahrelang haben wir Mars Launen nachgegeben und unsere Pflichten gegenüber einer schönen, gesunden jungen Frau vernachlässigt, die bereits Kinder haben sollte, wie es ihre Bestimmung gewesen wäre. So will es das göttliche Gesetz, und es ist nicht an uns, seine Wege zu durchkreuzen.« Arnau wollte etwas erwidern, doch Joan brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Ich fühle mich schuldig. Seit Jahren fühle ich mich schuldig, weil ich zu nachgiebig gegenüber einer launischen Frau gewesen bin, deren Leben in den Augen der heiligen katholischen Kirche sinnlos war. Dieser Ritter« – er deutete auf Felip de Ponts – »ist nichts anderes als die Hand Gottes. Der Herr hat ihn gesandt, um das zu tun, wozu wir nicht imstande waren. Ja, jahrelang habe ich mich schuldig gefühlt, wenn ich sah, wie die Schönheit und die Gesundheit dahinwelkten, die Gott diesem Mädchen schenkte, welches das Glück hatte, von einem gütigen Menschen wie dir aufgenommen zu werden. Ich will mich nicht auch noch am Tod eines Mannes schuldig fühlen, der unter Einsatz seines eigenen Lebens, das er uns heute anbietet, gekommen ist, um das zu einem guten Ende zu bringen, was durchzusetzen wir nicht fertigbrachten. Stimme der Heirat zu. Ich an deiner Stelle, wenn du meine Meinung hören willst, würde zustimmen.«
Arnau schwieg. Das ganze Heer wartete gespannt auf seine Antwort. Joan nutzte den Moment, um Elionor anzusehen. Er glaubte, ein stolzes Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen.
»Willst du damit sagen, dass ich an alldem schuld bin?«, fragte Arnau Joan.
»Nein, Arnau, ich bin schuld. Ich hätte dich über die Vorschriften der Kirche und die göttliche Bestimmung in Kenntnis setzen müssen, doch das habe ich nicht getan … Und ich bereue es.«
Guillems Augen sprühten Funken.
»Was will das Mädchen?«, fragte Arnau Felip de Ponts.
»Ich bin ein Ritter König Pedros«, antwortete dieser, »und seine Gesetze – dieselben, die euch heute hierhergeführt haben – messen bei einer Heirat dem Willen der Frau keine Bedeutung bei.« Ein zustimmendes Raunen ging durch die Reihen des Heeres. »Ich, Felip de Ponts, katalanischer Ritter, biete Eurer Ziehtochter die Ehe an. Solltest du, Arnau Estanyol, Baron von Katalonien und Seekonsul von Barcelona, einer Heirat nicht zustimmen, so nehmt mich fest und richtet über mich. Stimmst du jedoch zu, so hat der Willen des Mädchens wenig Bedeutung.«