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Erneut murmelte das Heer zustimmend zu den Worten des Ritters. So war das Gesetz, und alle hielten sich daran und verheirateten ihre Töchter unabhängig davon, was diese wollten.

»Es geht nicht darum, was sie will, Arnau«, flüsterte Joan ihm zu. »Es ist deine Pflicht. Finde dich damit ab. Niemand fragt seine Töchter nach ihrer Meinung. Es wird entschieden, was für sie am besten ist. Dieser Mann hat Mar entjungfert, da geht es nicht mehr darum, was das Mädchen will. Entweder sie heiratet ihn oder ihr Leben wird die Hölle sein. Die Entscheidung liegt bei dir, Arnau: ein weiterer Toter oder die göttliche Lösung für unsere Versäumnisse.«

Arnau sah zu seinen Freunden und Verwandten. Guillem starrte voller Wut zu dem Ritter herüber. Elionor, mit der er auf Befehl des Königs verheiratet war, hielt seinem Blick stand. Arnau sah sie fragend an. Elionor nickte. Zuletzt wandte er sich Joan zu.

»Es ist das Gesetz«, sagte dieser.

Arnau sah den Ritter an, dann die Soldaten. Diese hatten die Waffen gesenkt. Keiner dieser dreitausend Männer schien die Argumente Felip de Ponts infrage zu stellen, keiner dachte mehr an Krieg. Sie warteten auf Arnaus Entscheidung. So war das katalanische Gesetz. Was erreichte er, wenn er kämpfte, den Ritter tötete und Mar befreite? Was für ein Leben erwartete das Mädchen, nachdem man es entführt und geschändet hatte? Ein Kloster?

»Ich stimme zu.«

Für einen Moment herrschte Stille. Dann ging ein Raunen durch die Reihen der Soldaten, als Arnaus Entscheidung die Runde machte. Manche begrüßten laut seinen Entschluss, ein anderer jubelte. Weitere schlossen sich an, und schließlich brach das ganze Heer in Jubelrufe aus.

Joan und Elionor sahen sich erleichtert an.

Keine hundert Meter entfernt beobachtete die Frau, über deren Zukunft soeben beschlossen worden war, aus ihrem Gefängnis in Felip de Ponts Wehrturm die Menge, die sich am Fuß der kleinen Anhöhe drängte. Warum kamen sie nicht hinauf? Warum griffen sie nicht an? Was hatten sie mit diesem Unhold zu besprechen? Was riefen sie da?

»Arnau, was rufen deine Männer da?«

45

Der Jubel des Heeres bestätigte ihm, dass er richtig gehört hatte: »Ich stimme zu.« Guillem presste die Lippen fest zusammen. Jemand klopfte ihm auf die Schulter und fiel in den Jubel ein. »Ich stimme zu.« Guillem sah Arnau an, dann sah er zu dem Ritter, dessen Gesicht entspannt wirkte. Was konnte ein einfacher Sklave wie er unternehmen? Erneut betrachtete er Felip de Ponts. Jetzt grinste dieser. »Ich habe mich mit Mar Estanyol vereint.« Wie konnte Arnau zulassen …?

Jemand hielt ihm einen Weinschlauch hin. Guillem stieß ihn missmutig weg.

»Trinkst du nicht, Christ?«, hörte er jemanden fragen.

Sein Blick begegnete jenem von Arnau. Die Ratsherren gratulierten Felip de Ponts, der immer noch auf seinem Pferd saß. Die Leute tranken und lachten.

»Trinkst du nicht, Christ?«, hörte er erneut jemanden hinter sich fragen.

Guillem gab dem Mann mit den Weinschlauch einen Stoß und sah erneut zu Arnau hinüber. Die Ratsherren gratulierten auch ihm. Von Leuten umringt, reckte Arnau den Kopf, um Guillem anzusehen.

Unterdessen feierte das gesamte Heer die friedliche Einigung. Die Männer hatten Lagerfeuer entzündet und saßen singend um diese herum.

»Trink auf unseren Konsul und das Glück seiner Ziehtochter«, sagte ein anderer und hielt ihm erneut einen Weinschlauch hin.

Arnau war in Richtung Gehöft verschwunden. Guillem schob erneut den Weinschlauch beiseite.

»Du willst nicht auf sie trinken?«

Guillem sah den Mann an. Dann wandte er sich ab und machte sich auf den Rückweg nach Barcelona.

Das Lärmen des Heeres wurde immer leiser und verstummte schließlich ganz. Guillem befand sich alleine auf dem Weg in die Stadt. Er ging schleppend, ganz allein mit seinen Gefühlen und dem bisschen Mannesstolz, der einem Sklaven blieb.

Arnau lehnte den Käse ab, den ihm die zitternde Alte anbot, die sich um Felip de Ponts Gehöft kümmerte. Zunftmeister und Ratsherren drängten sich im Obergeschoss über den Ställen, wo sich der große steinerne Rauchfang des Rittergehöfts befand. Arnau sah sich nach Guillem um. Die Leute redeten und lachten und riefen nach der Alten, damit sie Käse und Wein brachte. Joan und Elionor standen am Kamin; sie wichen Arnaus Blicken aus, als er zu ihnen herübersah.

Als ein Raunen durch die Versammelten ging, sah er zum anderen Ende des Raumes hinüber.

Mar hatte an Felip de Ponts Arm den Saal betreten. Arnau sah, wie sie sich von dem Mann losriss und auf ihn zugerannt kam. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen. Mar breitete die Arme aus, während sie auf ihn zuflog, doch dann hielt sie plötzlich inne und ließ die Arme langsam sinken.

Arnau glaubte, einen Bluterguss auf ihrer Wange zu erkennen.

»Was ist los, Arnau?«, fragte ihn das Mädchen.

Arnau drehte sich Hilfe suchend zu Joan um, doch sein Bruder stand mit gesenktem Kopf da. Alle im Raum warteten auf seine Antwort.

»Felip de Ponts hat sich auf das Gesetz Si quis virginem berufen«, sagte er schließlich.

Mar rührte sich nicht. Eine Träne rollte über ihre Wange. Arnau hob die rechte Hand, doch dann zog er sie zurück, und die Träne rann ungehindert den Hals hinab.

»Dein Vater …«, begann Felip de Ponts, bevor Arnau ihn mit einer herrischen Geste zum Schweigen brachte. »Der Seekonsul hat mir vor dem Heer von Barcelona deine Hand versprochen«, erklärte Felip de Ponts, bevor Arnau ihn daran hindern oder sein Wort zurücknehmen konnte.

»Stimmt das?«, fragte Mar.

Alles, was Arnau wusste, war, dass er sie umarmen, sie küssen, sie immer bei sich haben wollte. Waren das die Gefühle eines Vaters?

»Ja, Mar.«

Auf Mars Gesicht erschienen keine weiteren Tränen mehr. Felip de Ponts trat zu dem Mädchen und fasste es wieder beim Arm. Sie wehrte sich nicht. Hinter Arnau brach jemand das Schweigen und alle stimmten mit ein. Arnau und Mar sahen sich an. Man hörte Hochrufe auf das Brautpaar, die Arnau in den Ohren dröhnten. Nun liefen ihm die Tränen über die Wangen. Vielleicht hatte sein Bruder recht. Vielleicht hatte er geahnt, was nicht einmal Arnau selbst wusste. Vor der Jungfrau hatte er geschworen, nie wieder aus Liebe zu einer anderen seiner Ehefrau untreu zu sein, selbst wenn er diese Ehe nicht freiwillig eingegangen war.

»Vater«, sagte Mar, während sie mit der freien Hand seine Tränen abwischte.

Arnau zitterte, als er Mars Berührung spürte. Er drehte sich auf dem Absatz um und floh.

Zur gleichen Zeit blickte irgendwo auf dem einsamen, dunklen Weg nach Barcelona ein Sklave in den Himmel und hatte den Schmerzensschrei des Mädchens in den Ohren, das er wie eine eigene Tochter großgezogen hatte. Er war als Sklave geboren und hatte als Sklave gelebt. Er hatte gelernt, stumm zu lieben und seine Gefühle zu unterdrücken. Ein Sklave war kein Mann, und so hatte er in seiner Einsamkeit – dem einzigen Ort, an dem niemand seine Freiheit einschränken konnte – gelernt, viel tiefer zu sehen als all jene, denen das Leben den Geist vernebelte. Er hatte gesehen, welche Liebe die beiden füreinander empfanden, und er hatte zu seinen beiden Göttern gebetet, dass es diesen Menschen, die er so sehr liebte, gelingen möge, sich von ihren Fesseln zu befreien, die viel stärker waren als die eines einfachen Sklaven.

Guillem schluckte seine Tränen hinunter, denn Weinen war einem Sklaven verboten.

Guillem betrat Barcelona nicht. Er erreichte die Stadt noch in der Nacht und stand vor dem verschlossenen Stadttor San Daniel. Sie hatten ihm sein kleines Mädchen weggenommen. Vielleicht war er sich dessen nicht bewusst gewesen, doch Arnau hatte sie verschachert wie eine Sklavin. Was sollte er noch in Barcelona? Wie sollte er sich dorthin setzen, wo Mar gesessen hatte? Wie sollte er dort entlanggehen, wo er plaudernd und lachend mit ihr spazieren gegangen war und die Geheimnisse seines kleinen Mädchens geteilt hatte? Was blieb ihm in Barcelona anderes, als Tag und Nacht an sie zu denken? Welche Zukunft erwartete ihn im Haus eines Mannes, der ihrer beider Hoffnungen durchkreuzt hatte?