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»Ich möchte nur ein Stück Käse, Brot und Wasser. Tragt den Rest wieder ab und sorgt dafür, dass meine Männer verpflegt werden«, sagte er ein weiteres Mal, nachdem er sich zu Tisch gesetzt hatte.

Auch das Haus war wie die Male zuvor. Einfach, aber aus Stein erbaut, im Gegensatz zu den Hütten aus Lehm oder morschem Holz, die es in diesen Dörfern gab. Ein Tisch und einige Stühle waren das gesamte Mobiliar des Raums, in dessen Mitte sich der Herd befand.

»Euer Exzellenz werden müde sein.«

Joan betrachtete den Käse, der vor ihm stand. Sie waren mehrere Stunden über steinige Pfade durch die morgendliche Kälte gewandert, die Füße voller Schlamm und nass vom Raureif. Unter dem Tisch rieb er sich die schmerzende Wade und den rechten Fuß.

»Ich bin keine Exzellenz«, wiederholte er monoton, »und ich bin auch nicht müde. Gott kennt keine Müdigkeit, wenn es darum geht, seinen Namen zu verteidigen. Wir werden in Kürze beginnen, sobald ich etwas gegessen habe. Versammelt die Leute auf dem Dorfplatz.«

Vor seiner Abreise aus Barcelona hatte Joan in Santa Caterina um das Traktat Papst Gregors IX. aus dem Jahr 1231 gebeten und sich mit der Vorgehensweise der reisenden Inquisitoren vertraut gemacht.

»Sünder, übt Buße!« Zunächst die Predigt an das Volk. Die wenig mehr als siebzig Personen, die sich auf dem Dorfplatz versammelt hatten, senkten die Blicke, als sie seine ersten Worte hörten. Die Blicke des schwarzen Mönchs ließen ihnen das Blut in den Adern gefrieren. »Das ewige Feuer erwartet euch!« Beim ersten Mal hatte er an seiner Fähigkeit gezweifelt, zu den Menschen zu sprechen, doch die Worte waren ihm leichtgefallen, umso mehr, als ihm bewusst wurde, welche Macht er über diese verängstigten Bauern besaß. »Keiner von euch wird ihm entgehen! Gott duldet keine schwarzen Schafe in seiner Herde.« Reden sollten sie; er musste die Häresie ans Licht bringen. Das war sein Auftrag: Die Sünde zu entdecken, die im Verborgenen begangen wurde, von der nur der Nachbar, der Freund, die Ehefrau wusste …

»Gott sieht alles. Er kennt euch. Er wacht über euch. Wer der Sünde tatenlos zusieht, wird im ewigen Feuer brennen, denn wer eine Sünde zulässt, ist schlimmer als jener, der sündigt. Wer sündigt, kann Vergebung erlangen, doch wer die Sünde für sich behält …«

Er beobachtete die Zuhörer. Eine Bewegung zu viel, ein flüchtiger Blick … Sie würden die Ersten sein.

»Wer die Sünde für sich behält –«, Joan schwieg erneut, zögerte sein Schweigen so lange heraus, bis er sah, wie sie unter seiner Drohung zusammenbrachen, »– wird keine Vergebung finden.«

Angst. Feuer, Schmerz, Sünde, Strafe … der schwarze Mönch tobte und wetterte, bis er ihre Seelen erreichte, eine Verbindung, die er schon bei seiner ersten Predigt verspürte.

»Ihr habt eine Frist von drei Tagen«, sagte er schließlich. »Jeder, der kommt und seine Sünden freiwillig bekennt, wird mit Milde behandelt. Nach diesen drei Tagen werde ich ein Exempel statuieren.« Er wandte sich an den Beamten. »Stellt Nachforschungen über diese blonde Frau, den barfüßigen Mann und den mit dem schwarzen Gürtel an. Und über das Mädchen mit dem Kind …« Joan deutete unauffällig auf die Benannten. »Wenn sie sich nicht freiwillig melden, bringt sie zusammen mit einigen anderen, zufällig Ausgewählten zu mir.«

Während der dreitägigen Bedenkfrist saß Joan reglos neben dem Schreiber und den Soldaten, die sich nicht von der Stelle rührten, am Tisch, während langsam und lautlos die Stunden verstrichen.

Nur vier Personen kamen, um ihr Schweigen zu brechen. Zwei Männer, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen waren, an der Messe teilzunehmen, eine Frau, die ihrem Mann nicht immer gehorsam gewesen war, und ein Kind, das mit riesengroßen Augen durch die Tür lugte.

Jemand schob den Knaben vorwärts, der sich sträubte und auf der Türschwelle verharrte.

»Komm herein, Junge«, forderte Joan ihn auf.

Der Junge wich zurück, doch eine Hand stieß ihn erneut in den Raum, dann wurde die Tür geschlossen.

»Wie alt bist du?«, fragte Joan.

Der Junge sah die Soldaten an, den Schreiber, der bereits mit seiner Aufgabe beschäftigt war, und dann Joan.

»Neun Jahre«, stotterte er.

»Wie heißt du?«

»Alfons.«

»Tritt näher, Alfons. Was hast du uns zu sagen?«

»Dass … Also, vor zwei Monaten habe ich Bohnen aus dem Nachbargarten genommen.«

»Genommen?«, fragte Joan.

Alfons blickte zu Boden.

»Ich habe sie gestohlen«, war leise zu hören.

Joan stand auf und entzündete die Kerze. Seit Stunden war es still im Dorf, und genauso lange versuchte er vergeblich, Schlaf zu finden. Er schloss die Augen und döste ein, doch die Erinnerung an die Träne, die über Arnaus Wange rollte, ließ ihn wieder hochschrecken. Er brauchte Licht. Er versuchte es erneut, ein ums andere Mal, doch am Ende stand er immer auf, manchmal hastig, manchmal schweißgebadet, manchmal schwerfällig, benommen von den Erinnerungen, die ihm den Schlaf raubten.

Er brauchte Licht. Er vergewisserte sich, dass Öl in der Lampe war.

Arnaus trauriges Gesicht erschien ihm in der Dunkelheit.

Er legte sich wieder hin. Es war kalt. Es war immer kalt. Für einige Sekunden beobachtete er das Flackern der Flamme und die zuckenden Schatten. Das einzige Fenster der Schlafkammer besaß keine Läden und es zog durch die Ritzen. »Wir alle tanzen unseren Tanz …«

Er wickelte sich in die Decken und zwang sich, an die Zimmerdecke zu sehen.

Wann dämmerte es endlich? Noch ein Tag, und die dreitägige Bedenkfrist war vorbei.

Joan fiel in einen Dämmerschlaf. Nach etwas mehr als einer halben Stunde wachte er schweißgebadet wieder auf.

Die Lampe brannte noch, die Schatten tanzten auf den Wänden, das Dorf lag immer noch still da. Warum wurde es nicht Morgen?

Er wickelte sich in die Decke und trat ans Fenster.

Ein Dorf von vielen. Eine weitere Nacht, in der er darauf wartete, dass es hell wurde.

Dass der nächste Tage kam …

Am Morgen stand, bewacht von den Soldaten, eine Reihe von Dörflern vor dem Haus.

Sie hieß Peregrina. Joan tat, als achtete er nicht auf die blonde Frau, die als Vierte eintrat. Den ersten dreien war nichts zu entlocken gewesen. Peregrina blieb vor dem Tisch stehen, hinter dem Joan und der Schreiber saßen. Das Feuer im Herd knisterte. Sonst war niemand anwesend. Die Soldaten waren vor dem Haus stehen geblieben. Plötzlich blickte Joan hoch. Die Frau zitterte.

»Du weißt etwas, nicht wahr, Peregrina? Gott sieht alles«, sagte Joan. Peregrina nickte, den Blick fest auf den Lehmboden des Hauses geheftet. »Sieh mich an. Du musst mich ansehen. Willst du denn im ewigen Feuer brennen? Sieh mich an. Hast du Kinder?«

Die Frau sah langsam auf.

»Ja, aber …«, stammelte sie.

»Aber sie sind nicht die Sünder«, unterbrach Joan. »Wer ist es dann, Peregrina?« Die Frau zögerte. »Wer ist es, Peregrina?«

»Sie lästert Gott«, sagte sie dann.

»Wer lästert Gott, Peregrina?«

»Sie …«Joan wartete schweigend ab. Es gab keinen Ausweg mehr. »Ich habe sie fluchen gehört, wenn sie wütend ist …« Peregrina sah wieder zu Boden. »Die Schwester meines Mannes, Marta. Sie sagt schreckliche Dinge, wenn sie wütend ist.«

Es war nichts weiter zu hören als das Kratzen der Feder, während der Schreiber mitschrieb.

»Noch etwas, Peregrina?«

Diesmal sah die Frau ruhig auf.

»Nein.«

»Sicher?«

»Ich schwöre es Euch. Ihr müsst mir glauben.«

Nur bei dem mit dem schwarzen Gürtel hatte er sich getäuscht. Der barfüßige Mann denunzierte zwei Schäfer, die sich nicht an die Fastentage hielten. Er behauptete, gesehen zu haben, wie sie in der Fastenzeit Fleisch aßen. Das Mädchen mit dem Kind, eine junge Witwe, benannte ihren Nachbarn, einen verheirateten Mann, der ihr ständig unanständige Angebote mache … Er habe ihr sogar an die Brust gefasst.

»Und du? Hast du ihn gewähren lassen?«, fragte Joan. »Empfandest du Lust dabei?«