»Über der Kleidung schmutzig, darunter sauber«, bemerkte Sinom.
»Nicht einmal Mehl, Bäcker? Willst du mir weismachen, dass die Kleidung eines Bäckers vor Mehl schützt? Willst du mich glauben machen, dass du in dicker Winterkleidung am Backofen arbeitest? Wo ist das Mehl auf deinen Armen? Heute ist Montag, Sinom. Hast du den Tag des Herrn gefeiert?«
»Ja.«
Joan hieb mit der Faust auf den Tisch und sprang auf.
»Aber du hast dich auch gereinigt, wie es deine ketzerischen Riten vorschreiben!«, schrie er.
»Nein«, wimmerte Sinom.
»Wir werden sehen, Sinom, wir werden sehen. Sperrt ihn ein und bringt mir seine Frau und seine Söhne.«
»Nein!«, flehte Sinom, als ihn die Soldaten unter den Armen packten und in den Keller schleiften. »Sie haben nichts damit zu tun!«
»Halt!«, befahl Joan. Die Soldaten blieben stehen und drehten den Konvertiten zu dem Inquisitor um. »Womit haben sie nichts zu tun, Sinom? Womit?«
Sinom gestand, um seine Familie zu schützen. Als er geendet hatte, ließ Joan ihn festnehmen. Ihn und seine Familie. Dann befahl er, die übrigen Angeklagten vorzuführen.
Es war noch dunkel, als Joan auf dem Dorfplatz erschien.
»Schläft der denn nie?«, fragte einer der Soldaten gähnend.
»Nein«, antwortete ein Zweiter. »Oft hört man ihn nachts im Zimmer auf und ab gehen.«
Die beiden Soldaten beobachteten Joan, der die letzten Vorbereitungen für die Abschlusspredigt traf. Der schmutzige, zerschlissene schwarze Habit, der wie Pergament wirkte, weigerte sich, seine Bewegungen mitzumachen.
»Nun, wenn er nicht schläft und nicht isst, von was lebt er dann?«, fragte der Erste.
»Er lebt vom Hass«, erklärte der Hauptmann, der die Unterhaltung mit angehört hatte.
Bei Tagesanbruch trafen die Dorfbewohner ein. Die Angeklagten standen in der ersten Reihe, getrennt von den Zuschauern und von den Soldaten bewacht. Unter ihnen befand sich auch Alfons, der neunjährige Junge.
Joan eröffnete das Autodafé, und die Dorfschulzen traten vor, um der Inquisition Gehorsam zu leisten und zu schwören, dass sie die verhängten Strafen ausführen würden. Der Mönch begann, die Anklageschriften und die Urteile zu verlesen. Diejenigen, die sich während der Bedenkfrist gemeldet hatten, erhielten eine mildere Strafe. Sie mussten zur Kathedrale von Gerona pilgern. Alfons wurde dazu verurteilt, einen Monat lang einen Tag pro Woche unentgeltlich dem Nachbarn zu helfen, den er bestohlen hatte. Als er die Anklage gegen Gaspar verlas, wurde er von einem Schrei unterbrochen: »Du Dirne!« Ein Mann stürzte sich auf die Frau, die mit Gaspar geschlafen hatte. Die Soldaten eilten ihr zu Hilfe. »Das war also die Sünde, von der du mir nicht erzählen wolltest?«, tobte er hinter den Soldaten weiter.
Als der betrogene Ehemann schließlich verstummte, verlas Joan Gaspars Urteiclass="underline" »Drei Jahre lang sollst du jeden Sonntag im Büßerhemd von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang vor der Kirche knien. Was dich betrifft …«, sagte er dann, an die Frau gewandt.
»Ich beanspruche das Recht für mich, sie zu bestrafen!«, fiel ihm der tobende Ehemann ins Wort.
Joan sah die Frau an. Er hätte sie gerne gefragt, ob sie Kinder hatte. Was konnten ihre Kinder verbrochen haben, um auf einer Kiste stehend durch eine kleine Fensterluke mit ihrer Mutter sprechen zu müssen, nur getröstet von ihrer Hand auf ihrem Haar? Aber dieser Mann war im Recht …
»Was dich betrifft«, fuhr er fort, »so übergebe ich dich der weltlichen Macht, die dafür sorgen wird, dass auf Ersuchen deines Mannes das katalanische Recht angewandt wird.«
Dann verlas Joan die weiteren Anklagen und Urteile.
»Anton Sinom. Du wirst mit deiner Familie dem Generalinquisitor überstellt.«
»Auf geht's«, befahl Joan, nachdem er seine wenigen Habseligkeiten auf einem Maulesel verstaut hatte.
Der Dominikanermönch blickte zu dem Dorf zurück, während seine Worte über den kleinen Dorfplatz hallten. Noch am selben Tag würden sie das nächste Dorf erreichen und danach ein anderes und wieder ein anderes. »Und überall werden mich die Leute verängstigt ansehen und voller Furcht meine Worte hören. Und dann werden sie sich gegenseitig verleumden und ihre Sünden ans Licht zerren. Und ich muss in ihren Bewegungen, ihren Gesichtszügen, ihrem Schweigen, ihren Empfindungen lesen, um die Sünde zu entlarven.«
»Beeilt Euch, Hauptmann. Ich möchte vor Mittag ankommen.«
VIERTER TEIL
DIENER DES SCHICKSALS
46
Ostern 1367
Barcelona
Arnau kniete vor dem Gnadenbild seiner Madonna, während die Priester die Ostermesse zelebrierten. Er hatte die Kirche gemeinsam mit Elionor betreten. Das Gotteshaus war überfüllt, aber die Leute machten Platz, damit er in die erste Reihe gelangen konnte. Er erkannte ihre lächelnden Gesichter wieder: Dieser hatte ihn um eine Anleihe für sein neues Boot gebeten, jener hatte ihm seine Ersparnisse anvertraut; ein anderer hatte sich Geld für die Aussteuer seiner Tochter geliehen, und jener dort hatte seine Schulden noch nicht beglichen. Der Letztgenannte sah beschämt zu Boden, doch Arnau blieb vor ihm stehen und reichte ihm zu Elionors Unmut die Hand.
»Der Friede sei mit dir«, sagte er.
Die Augen des Mannes begannen zu strahlen und Arnau ging weiter zum Hauptaltar. Das war alles, was er besaß, sagte er der Jungfrau: die Wertschätzung der einfachen Leute, denen er half. Joan war immer noch auf der Jagd nach armen Sündern und von Guillem hatte er nichts mehr gehört. Und Mar? Was konnte er über Mar sagen?
Elionor stieß ihm gegen das Schienbein. Als Arnau sie ansah, gab sie ihm zu verstehen, er solle sich erheben. »Hat man schon einmal einen Adligen gesehen, der so lange niederkniet wie du?«, hatte sie ihm schon mehrmals vorgeworfen. Arnau achtete nicht weiter auf sie, doch Elionor trat ihm erneut gegen das Schienbein.
Das war alles, was er hatte. Eine Frau, für die nichts wichtiger war als der äußere Schein – außer vielleicht, dass er sie zur Mutter machte. Sollte er? Sie wollte nur einen Erben, einen Sohn, der ihre Zukunft sicherte. Elionor stieß ihn erneut an. Als Arnau sie anblickte, sah seine Frau zu den anderen Adligen herüber, die sich in der Kirche Santa María befanden. Einige standen, die meisten jedoch saßen. Nur Arnau kniete.
»Frevel!«
Der Schrei hallte durch die ganze Kirche. Die Priester verstummten. Arnau stand auf und alle wandten sich dem Hauptportal zu.
»Frevel!«, war erneut zu hören.
Mehrere Männer bahnten sich den Weg zum Altar. »Gotteslästerung! Häresie! Teufel! Juden!«, riefen sie. Sie sprachen mit den Priestern, doch einer von ihnen wandte sich an die Gläubigen: »Die Juden haben eine geweihte Hostie geschändet!«, rief er.
Ein Raunen ging durch die Menge.
»Nicht genug damit, dass sie Jesus Christus getötet haben«, rief der Mann vom Altar herab, »nun entweihen sie auch noch seinen Leib!«
Das anfängliche Raunen schwoll zu einem empörten Geschrei an. Arnau wandte sich zu der Menge um, doch zuvor traf sein Blick auf Elionor.
»Deine Judenfreunde«, sagte sie.
Arnau wusste, was seine Gattin meinte. Seit Mars Verheiratung hielt er es zu Hause nicht mehr aus und ging oft abends zu seinem alten Freund Hasdai Crescas, um bis spät in die Nacht mit ihm zu plaudern. Bevor Arnau Elionor eine Antwort geben konnte, begannen auch die anwesenden Adligen und Ratsherren zu diskutieren.
»Sie wollen Christus noch im Tod Schmerz zufügen«, sagte einer.
»Sie sind von Gesetzes wegen gezwungen, an Ostern in ihren Häusern zu bleiben und Türen und Fenster geschlossen zu halten. Wie also sollen sie das gemacht haben?«, fragte ein anderer, der neben ihm stand.