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Arnau rannte zur Tür. Niemand hörte seinen Schrei. Niemand sah ihn weinen. Niemand sah, wie er auf die Knie fiel, als er Hasdai mit müden Schritten und in Ketten vorüberziehen sah, während Beschimpfungen, Steine und Spucke auf ihn herabregneten. Als Hasdai an der Kirche Santa María vorbeiging, galt sein Blick nur dem Mann, der dort kniete und mit den Fäusten auf den Boden einhieb. Arnau jedoch sah ihn nicht und hieb immer weiter auf die Erde ein, bis die Prozession vorüber war und der Boden sich rot färbte. Da kniete jemand vor ihm nieder und fasste ihn sanft bei den Händen.

»Mein Vater würde nicht wollen, dass du dich seinetwegen grämst«, sagte Raquel, als Arnau aufblickte.

»Sie … Sie werden ihn töten.«

»Ja, ich weiß.«

Arnau betrachtete das Gesicht des Mädchens, das mittlerweile zur Frau geworden war. Genau hier, unter dieser Kirche, hatte er sie vor vielen Jahren versteckt. Raquel weinte nicht. Trotz der Gefahr trug sie die Kleidung mit dem gelben Zeichen, das sie als Jüdin auswies.

»Wir müssen jetzt stark sein«, sagte ihm das kleine Mädchen, als das er sie in Erinnerung hatte.

»Warum, Raquel? Warum er?«

»Er tut es für mich. Für Jucef. Für meine und Jucefs Kinder, seine Enkel. Für seine Freunde. Für alle Juden von Barcelona. Er sagte, er sei schon alt und habe genug gelebt.«

Arnau ließ sich von Raquel aufhelfen und gemeinsam folgten sie dem Gejohle.

Sie wurden bei lebendigem Leib verbrannt. Man hatte sie an Pfähle gebunden, um die herum Reisig und Holz aufgeschichtet war. Diese wurden in Brand gesteckt, ohne dass die Racherufe der Christen auch nur einen Moment verstummten. Als die Flammen seinen Körper erreichten, blickte Hasdai zum Himmel auf. Nun war es Raquel, die sich schluchzend an Arnau klammerte und ihr tränenüberströmtes Gesicht an seiner Brust verbarg. Sie standen etwas abseits der Menge.

Während er Hasdais Tochter im Arm hielt, konnte Arnau den Blick nicht von dem brennenden Körper seines Freundes abwenden. Es kam ihm vor, als blutete er, doch das Feuer fraß sich rasch in den Körper. Plötzlich hörte er die Schreie der Leute nicht mehr. Er sah nur noch ihre drohend gereckten Fäuste. Dann zwang ihn etwas, nach rechts zu sehen. Etwa fünfzig Meter entfernt standen der Bischof und der Generalinquisitor und neben ihnen Elionor, die mit den beiden sprach und dabei mit ausgestrecktem Arm zu ihm hinüberdeutete. Neben ihr stand eine weitere, vornehm gekleidete Dame, die Arnau zunächst nicht erkannte. Sie wechselte einen Blick mit dem Inquisitor, während Elionor lautstark gestikulierend zu ihm hinüberwies.

»Die da ist es. Diese Jüdin ist seine Geliebte. Seht sie Euch an. Seht nur, wie er sie umarmt.«

Genau in diesem Moment schloss Arnau Raquel besonders fest in den Arm, während die Flammen unter dem Toben der Menge in den Himmel loderten. Als Arnau schließlich wegschaute, um dem Horror zu entgehen, begegnete ihm Elionors Blick. Als er den abgrundtiefen Hass in ihren Augen sah, die Boshaftigkeit gelungener Rache, überlief es ihn kalt. Und dann hörte er das Lachen der Frau, die neben Elionor stand. Es war ein unverwechselbares, spöttisches Lachen, das sich seit Kindertagen in Arnaus Gedächtnis eingegraben hatte. Margarida Puigs Lachen.

47

Es war eine Rache, die von langer Hand geplant war, und Elionor war nicht alleine. Die Beschuldigungen gegen Arnau und die Jüdin Raquel waren erst der Anfang.

Arnaus Entscheidungen als Baron von Granollers, Sant Vicenç dels Horts und Caldes de Montbui führten zu Aufruhr unter den übrigen Adligen, die bereits den Sturm des Aufstands unter ihren Bauern erwachen sahen. Mehr als einer sah sich genötigt, härter als bisher nötig gegen aufmüpfige Untertanen vorzugehen, die lautstark die Abschaffung gewisser Privilegien forderten, die Arnau, dieser als Leibeigener geborene Baron, für aufgehoben erklärt hatte.

Unter diesen gedemütigten Adligen befand sich auch Jaume de Bellera, der Sohn des Herrn von Navarcles, den Francesca als Kind gesäugt hatte. Und an seiner Seite stand jemand, dem Arnau sein Zuhause, sein Vermögen und sein Ansehen genommen hatte: Genis Puig, der nach der Enteignung in das alte Haus in Navarcles ziehen musste, das einmal seinem Großvater, Graus Vater, gehört hatte. Diese Hütte hatte wenig Gemeinsamkeiten mit dem Palast in der Calle Monteada, wo er den größten Teil seines Lebens verbracht hatte. Die beiden hatten sich stundenlang ihr Unglück geklagt und Rachepläne geschmiedet. Pläne, die nun, wenn die Briefe seiner Schwester Margarida nicht trogen, Früchte zu tragen schienen …

Arnau unterbrach den Seemann, der soeben seine Aussage machte, und wandte sich dem Gerichtsdiener des Seekonsulats zu, der die Verhandlung gestört hatte.

»Ein Hauptmann und mehrere Soldaten der Inquisition wünschen Euch zu sprechen«, flüsterte er ihm zu.

»Was wollen sie?«, fragte Arnau. Der Gerichtsdiener hob die Schultern. »Sie sollen bis zum Ende der Verhandlung warten«, befahl er, bevor er den Seemann bat, in seinen Erklärungen fortzufahren.

Ein anderer Matrose war während der Fahrt gestorben, und nun weigerte sich der Besitzer des Schiffes, seinen Hinterbliebenen mehr als zwei Monate Heuer auszuzahlen, während die Witwe behauptete, es habe sich nicht über einen Vertrag über eine bestimmte Anzahl von Monaten gehandelt, und folglich stehe ihr die Hälfte der ausgehandelten Heuer zu, da ihr Mann auf See gestorben sei.

»Fahrt fort«, ermunterte Arnau den Zeugen, während er die Witwe und die drei Kinder des Gestorbenen betrachtete.

»Kein Matrose heuert für eine bestimmte Anzahl von Monaten an …«

Plötzlich wurden die Türen des Gerichtssaals aufgestoßen, und sechs bewaffnete Soldaten der Inquisition drangen, angeführt von ihrem Hauptmann, in den Saal ein, wobei sie den Gerichtsdiener vor sich herstießen.

»Arnau Estanyol?«, wandte sich der Hauptmann direkt an ihn.

»Was hat das zu bedeuten?«, beschwerte sich Arnau. »Wie könnt Ihr es wagen, eine Gerichtsverhandlung zu stören?«

Der Hauptmann blieb genau vor Arnau stehen. »Bist du Arnau Estanyol, Seekonsul von Barcelona und Baron von Granollers?«

»Das wisst Ihr ganz genau, Hauptmann«, entgegnete ihm Arnau brüsk, »aber …«

»Im Namen der Heiligen Inquisition, Ihr seid verhaftet. Kommt mit mir!«

Die Missatges, die sich im Gerichtssaal befanden, wollten ihrem Konsul zu Hilfe eilen, doch Arnau gebot ihnen Einhalt.

»Seid so freundlich und tretet beiseite«, forderte Arnau den Inquisitionsbeamten auf.

Der Mann zögerte. Der Konsul bedeutete ihm ruhig, an der Tür zu warten. Ohne den Verhafteten aus den Augen zu lassen, trat der Hauptmann schließlich so weit beiseite, dass Arnau die Angehörigen des toten Seemanns wieder sehen konnte.

»Urteil zugunsten der Witwe und Kinder«, erklärte er ruhig. »Sie erhalten die Hälfte des Lohnes für die gesamte Fahrt und nicht nur für zwei Monate, wie vom Schiffseigner vorgesehen. Anordnung des Gerichts.«

Arnau klopfte mit der Hand auf den Tisch, stand auf und trat vor den Inquisitionsbeamten.

»Gehen wir«, sagte er.

Die Nachricht von Arnau Estanyols Verhaftung verbreitete sich in Barcelona und machte dann über Adlige, Händler und einfache Bauern die Runde in Katalonien.

Einige Tage später erreichte die Neuigkeit auch einen Inquisitor in einem Städtchen im Norden des Prinzipats, wo dieser gerade eine Gruppe von Einheimischen in Angst und Schrecken versetzte.

Joan sah den Inquisitionsbeamten an, der ihm die Nachricht überbrachte.

»Es scheint zu stimmen«, erklärte dieser.

Der Inquisitor sah seine Zuhörer an. Arnau verhaftet? Wie konnte das sein?

Er blickte erneut zu dem Beamten und dieser nickte mit dem Kopf.