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Arnau?

Die Leute begannen, unruhig zu werden. Joan versuchte weiterzusprechen, aber er brachte kein Wort heraus. Ein weiteres Mal sah er den Beamten an und bemerkte ein Lächeln auf seinen Lippen.

»Fahrt Ihr nicht fort, Bruder Joan?«, wagte dieser zu sagen. »Die Sünder warten auf Euch.«

Joan betrachtete erneut die Zuhörer.

»Wir brechen nach Barcelona auf«, befahl er dann.

Auf dem Weg in die gräfliche Stadt kam Joan ganz in der Nähe der Besitzungen des Barons von Granollers vorbei. Hätte er nur einen kleinen Umweg gemacht, so hätte er sehen können, wie der Vogt von Montbui und andere, Arnau untergebene Grundherren umherzogen und die Bauern drangsalierten, die nun wieder den Gebräuchen unterworfen waren, die Arnau einst abgeschafft hatte. »Es heißt, die Baronin selbst habe Arnau angezeigt«, behauptete einer.

Doch Joan kam nicht durch Arnaus Besitz. Seit sie aufgebrochen waren, hatte er kein Wort mit dem Hauptmann oder einem anderen aus der Reisegesellschaft gewechselt, nicht einmal mit dem Schreiber. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass er ihre Unterhaltungen mit anhörte.

»Sieht so aus, als hätte man ihn wegen Ketzerei verhaftet«, sagte einer der Soldaten laut genug, damit Joan es hören konnte.

»Den Bruder eines Inquisitors?«, entgegnete ein anderer.

»Nicolau Eimeric wird schon alles aus ihm herausbekommen«, mischte sich nun auch der Hauptmann ein.

Joan erinnerte sich an Nicolau Eimeric. Wie oft hatte er ihn zu seiner Arbeit als Inquisitor beglückwünscht?

»Man muss die Häresie bekämpfen, Bruder Joan … Man muss die Sünde im Gewand des vorgeblich Guten suchen, in den Schlafgemächern der Leute, bei ihren Kindern und Ehepartnern.«

Und das hatte er getan. »Man darf nicht zögern, sie zu foltern, damit sie gestehen.« Auch das hatte er getan, immer wieder. Welche Folter hatte Eimeric wohl bei Arnau angewandt, damit sich dieser als Ketzer bekannte?

Joan ging schneller. Der schmutzige, zerschlissene schwarze Habit schlug ihm gegen die Beine.

»Durch seine Schuld bin ich in diese Lage geraten«, sagte Genis Puig, während er im Raum auf und ab ging. »Früher, da hatte ich alles …«

»Geld, Frauen, Macht«, nahm ihm der Baron das Wort aus dem Mund, doch der andere achtete nicht auf ihn. Aufgebracht durchmaß er weiter den Burgturm von Navarcles.

»Meine Eltern und mein Bruder sind wie einfache Bauern gestorben, von Hunger und Krankheiten geschwächt, die nur die Armen heimsuchen, und ich …«

»… bin nur ein einfacher Ritter ohne Truppen, die ich dem König zur Verfügung stellen könnte«, beendete der Baron gelangweilt den tausendmal gehörten Satz.

Genis Puig blieb vor Jaume, dem Sohn Llorenç de Belleras, stehen.

»Findest du das witzig?«

Der Herr von Bellera rührte sich nicht aus dem Lehnstuhl, von dem aus er Genis' Wanderungen durch den Burgturm beobachtet hatte.

»Ja«, antwortete er dann, »mehr als witzig. Deine Gründe, Arnau Estanyol zu hassen, erscheinen mir lächerlich, verglichen mit den meinen.«

Jaume de Bellera blickte zur Decke.

»Kannst du nicht endlich aufhören, im Kreis zu laufen?«

»Wie lange braucht dein Hauptmann denn noch?«, fragte Genis, während er weiter den Turm durchmaß.

Die beiden warteten auf Bestätigung der Nachrichten, die Margarida Puig in einer vorherigen Botschaft bereits angedeutet hatte. Genis Puig hatte seine Schwester von Navarcles aus überredet, während der vielen Stunden, die Elionor alleine im ehemaligen Palast der Puigs verbrachte, das Vertrauen der Baronin zu gewinnen, was Margarida nicht besonders schwerfiel. Elionor brauchte eine Vertraute, die ihren Ehemann genauso hasste wie sie selbst. Es war Margarida, die Elionor hinterhältig darüber informiert hatte, wo Arnau hinging. Margarida war es, die sich das Liebesverhältnis zwischen Arnau und Raquel ausgedacht hatte. Sobald Arnau Estanyol wegen der Beziehung zu einer Jüdin festgenommen war, würden Jaume de Bellera und Genis Puig den nächsten Schritt unternehmen.

»Die Inquisition hat Arnau Estanyol verhaftet«, bestätigte der Hauptmann, als er den Burgfried betrat.

»Also hatte Margarida recht«, entfuhr es Genis.

»Sei still«, befahl der Herr de Bellera aus seinem Lehnstuhl. »Fahr fort«, wandte er sich an den Hauptmann.

»Er wurde vor drei Tagen während einer Gerichtsverhandlung im Seekonsulat festgenommen.«

»Wie lautet die Anklage?«, fragte der Baron.

»Darüber besteht Unklarheit. Einige behaupten, sie laute auf Ketzerei, andere glauben, wegen Judenfreundlichkeit oder weil er eine Beziehung zu einer Jüdin unterhalten habe. Noch wurde ihm nicht der Prozess gemacht. Er befindet sich in den Verliesen des Bischofspalastes. Die halbe Stadt ist für ihn und die andere Hälfte gegen ihn, doch alle stehen vor seiner Wechselstube Schlange, um ihre Ersparnisse zu retten. Ich habe sie selbst gesehen. Die Leute prügeln sich darum, ihr Geld zurückzubekommen.«

»Bekommen sie denn etwas ausgezahlt?«, fragte Genis.

»Im Moment schon, aber alle wissen, dass Arnau Estanyol viel Geld an mittellose Leute verliehen hat, und wenn er dieses Geld nicht zurückbekommt … Deshalb prügeln sich die Leute auch, weil sie befürchten, dass die Solvenz nicht von langer Dauer ist. Es ist ein großes Durcheinander.«

Jaume de Bellera und Genis Puig sahen sich an.

»Der Fall beginnt«, sagte der Ritter.

»Such die Hure, die mich als Amme genährt hat«, befahl der Baron dem Hauptmann, »und wirf sie ins Burgverlies!«

Genis Puig pflichtete dem Herrn von Bellera bei und trieb den Hauptmann zur Eile an.

»Diese verhexte Milch war nicht für mich bestimmt, sondern für ihren Sohn, Arnau Estanyol«, hatte er ihn immer wieder sagen hören. »Aber während er Geld hat und hoch in der Gunst des Königs steht, leide ich an den Folgen der Krankheit, die seine Mutter an mich weitergab.«

Jaume de Bellera hatte bis zum Bischof gehen müssen, damit die Epilepsie, unter der er litt, nicht als Teufelswerk betrachtet wurde. Doch die Inquisition würde nicht daran zweifeln, dass Francesca vom Teufel besessen war.

»Ich will meinen Bruder sehen«, verlangte Joan von Nicolau Eimeric, kaum dass er den Bischofspalast betreten hatte.

Die Augen des Generalinquisitors verengten sich.

»Du solltest dafür sorgen, dass er seine Schuld bekennt und Reue zeigt.«

»Wie lautet die Anklage?«

Nicolau Eimeric zuckte hinter dem Tisch zusammen, an dem er ihn empfangen hatte.

»Ich soll dir sagen, wessen man ihn beklagt? Du bist ein guter Inquisitor, aber … Versuchst du womöglich, deinem Bruder zu helfen?« Joan senkte den Blick. »Ich kann dir lediglich sagen, dass es sich um eine ernste Sache handelt. Ich werde dir gestatten, ihn jederzeit zu besuchen, wenn du versprichst, dass deine Besuche dem Ziel dienen, ein Geständnis von Arnau zu erreichen.«

Zehn Peitschenhiebe, fünfzehn, fünfundzwanzig … Wie oft hatte er in den letzten Jahren diesen Befehl gegeben? »Bis er gesteht!«, hatte er den Büttel angewiesen, der ihn begleitete. Und nun forderte man ihn auf, seinen eigenen Bruder zu einem Geständnis zu bringen. Wie sollte er das erreichen? Joan wollte antworten, doch er kam nicht dazu.

»Es ist deine Pflicht«, erinnerte ihn Eimeric.

»Er ist mein Bruder. Er ist das Einzige, was ich habe …«

»Du hast die Kirche. Du hast uns, deine Brüder im Glauben.« Der Inquisitor ließ einige Sekunden verstreichen. »Bruder Joan, ich habe nur abgewartet, weil ich wusste, dass du kommen würdest. Wenn du nicht auf meinen Vorschlag eingehst, dann werde ich mich der Sache selbst annehmen müssen.«

Er konnte nicht verhindern, dass sich sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse verzog, als ihm der Gestank aus den Verliesen des Bischofspalasts entgegenschlug. Während er den Korridor entlangging, der ihn zu Arnau führen würde, hörte Joan das Wasser von den Wänden tropfen und das Trippeln der Ratten, die vor ihm davonhuschten. Er spürte, wie eine von ihnen an seinen Knöcheln entlangstrich. Diese Berührung stellte ihm die Nackenhaare auf, genau wie zuvor Nicolau Eimerics Drohung: »Dann werde ich mich der Sache selbst annehmen müssen.« Was hatte Arnau verbrochen? Wie sollte er ihm beibringen, dass er, sein eigener Bruder, sich verpflichtet hatte, ihn zu einem Geständnis zu bringen?