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»Im neuen Katalonien gibt es keine Leibeigenschaft mehr«, unterbrach ihn Nicolau.

Genis Puig sah vom einen zum anderen.

»Genau das ist es, was ich meinte.« Der Herr von Bellera fuchtelte heftig mit den Händen. »Im neuen Katalonien gibt es keine Leibeigenschaft mehr. Im Interesse des Königs, im Interesse Gottes. Das von den Ungläubigen eroberte Gebiet musste bevölkert werden, und das ging nur, indem man die Leute anlockte. Der König hat es so beschlossen. Doch Arnau … Arnau ist nichts anderes als ein Handlanger des Teufels.«

Genis Puig lächelte, als er sah, dass der Generalinquisitor leise nickte.

»Er verleiht Geld an die Armen«, fuhr der Adlige fort, »Geld, von dem er weiß, dass er es nie zurückbekommen wird. Gott hat die Menschen als Reiche und Arme geschaffen. Es kann nicht sein, dass die Armen Geld haben und ihre Töchter verheiraten wie die Reichen. Es ist gegen Gottes Gesetz. Was sollen die Armen von Euch Kirchenmännern und uns Adligen denken? Erfüllen wir nicht die Vorschriften der Kirche, indem wir die Armen als das behandeln, was sie sind? Arnau ist eine Ausgeburt des Teufels, der nichts anderes vorhat, als durch die Unzufriedenheit des Volkes die Ankunft des Leibhaftigen vorzubereiten. Denkt darüber nach.«

Und Nicolau Eimeric dachte darüber nach. Er rief den Schreiber, damit dieser die Beschuldigungen des Herrn von Bellera und Genis Puigs schriftlich festhielt. Er ließ Margarida Puig vorladen und veranlasste Francescas Verhaftung.

»Und die andere?«, fragte der Inquisitor den Herrn von Bellera. »Liegt etwas gegen sie vor?« Die beiden Männer zögerten. »In diesem Fall bleibt sie in Freiheit.«

Francesca wurde weit weg von Arnau am anderen Ende des riesigen Verlieses angekettet. Aledis wurde auf die Straße geworfen.

Nachdem alles in die Wege geleitet war, ließ sich Nicolau in seinen Lehnstuhl fallen. Fluchen im Haus Gottes, das Unterhalten fleischlicher Beziehungen zu einer Jüdin, Judenfreundlichkeit, Mord, Teufelspraktiken, Verstöße gegen die Vorschriften der Kirche … Und das alles gestützt von Priestern, Adligen und Edelleuten. Und von der Ziehtochter des Königs. Der Inquisitor lehnte sich zurück und lächelte Joan an.

»So reich ist dein Bruder, Fra Joan? Dummkopf! Was redest du von Geldstrafen, wenn mit der Verurteilung deines Bruders sein gesamtes Vermögen an die Inquisition fällt?«

Aledis stolperte auf die Straße, als die Soldaten sie aus dem Bischofspalast warfen. Nachdem sie das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, merkte sie, dass die Leute stehen geblieben waren und sie angafften. Was hatten die Soldaten gerufen? Hexe? Sie sah an ihren schmutzigen Kleidern herunter und strich ihr verfilztes, wirres Haar glatt. Ein gut gekleideter Mann ging an ihr vorüber und sah sie verächtlich an. Aledis stapfte mit dem Fuß auf und stürzte ihm knurrend und zähnefletschend hinterher wie ein bissiger Hund. Der Mann machte einen Satz und rannte davon, bis er merkte, dass Aledis ihm nicht folgte. Stattdessen sah sie die Umstehenden herausfordernd an, bis einer nach dem anderen zu Boden blickte und seiner Wege ging.

Was war geschehen? Die Soldaten des Herrn von Bellera waren in ihr Haus eingedrungen und hatten Francesca festgenommen, die in einem Lehnstuhl saß, um auszuruhen. Niemand gab ihnen irgendeine Erklärung. Die Mädchen wurden gewaltsam zurückgedrängt, als sie auf die Soldaten losgingen. Sie suchten Hilfe bei Aledis, die starr war vor Schreck. Ein Kunde rannte halb nackt davon. Aledis wandte sich an den, den sie für den Hauptmann hielt: »Was hat das zu bedeuten? Warum nehmt ihr diese Frau fest?«

»Befehl des Herrn von Bellera«, antwortete dieser.

Der Herr von Bellera! Aledis sah zu Francesca, die klein und gebeugt zwischen zwei Soldaten stand, die sie unter den Armen gefasst hatten. Die alte Frau zitterte. Bellera! Seit Arnau vor der Burg Montbui die Gewohnheitsrechte abgeschafft und Francesca Aledis ihr Geheimnis anvertraut hatte, war die Kluft überwunden, die zwischen den beiden Frauen gestanden hatte. Wie oft hatte sie von Francesca die Geschichte des Llorenç de Bellera gehört? Wie oft hatte sie die alte Frau weinen gesehen, wenn sie an jene Momente zurückdachte? Und nun war da wieder ein Bellera. Wieder wurde sie zur Burg gebracht, wie damals, als man sie …

Francesca stand immer noch zitternd zwischen den Soldaten.

»Lasst sie los!«, schrie Aledis die Soldaten an. »Seht ihr nicht, dass ihr der Frau wehtut?« Die Männer sahen Hilfe suchend zum Hauptmann. »Wir kommen freiwillig mit«, erklärte Aledis, während sie ihn herausfordernd ansah.

Der Hauptmann zuckte mit den Schultern und die Soldaten überließen Aledis die alte Frau.

Sie wurden zur Burg von Navarcles gebracht und ins Verlies gesperrt. Allerdings misshandelte man sie nicht, sondern gab ihnen Essen, Wasser und sogar ein wenig Stroh, um darauf zu schlafen. Jetzt verstand sie auch den Grund: Der Herr von Bellera wollte, dass Francesca in ordentlicher Verfassung in Barcelona ankam, wohin man sie nach zwei Tagen brachte. Warum? Wozu? Was hatte das alles zu bedeuten?

Das Stimmengewirr holte sie in die Realität zurück. In ihre Gedanken verloren, war sie die Calle del Bisbe und die Calle de Sederes entlanggegangen, bis sie schließlich die Plaza del Blat erreichte. An diesem klaren, sonnigen Frühlingstag hatten sich mehr Menschen auf dem Platz eingefunden als gewöhnlich. Dutzende von Passanten flanierten zwischen den Getreideverkäufern. Aledis stand vor dem alten Stadttor. Als sie das duftende Brot an einem Stand zu ihrer Linken roch, drehte sie sich um. Der Bäcker sah sie misstrauisch an, und Aledis erinnerte sich wieder daran, wie sie aussah. Sie hatte keinen einzigen Sueldo dabei. Sie schluckte die Spucke herunter, die ihr im Munde zusammengelaufen war, und ging davon, wobei sie sich bemühte, dem Blick des Bäckers auszuweichen.

Fünfundzwanzig Jahre. Fünfundzwanzig Jahre war es her, seit sie zuletzt durch diese Straßen gelaufen, die Menschen beobachtet und die Gerüche der gräflichen Stadt eingesogen hatte. Ob es die Armenspeisung noch gab? An diesem Morgen hatten sie nichts zu essen bekommen in der Burg und ihr knurrender Magen erinnerte sie daran. Sie ging zurück bis zur Kathedrale, am Bischofspalast vorbei. Wieder lief ihr das Wasser im Mund zusammen, als sie sich der Schar der Bedürftigen näherte, die sich vor der Tür des Almosenhauses drängte. Wie oft war sie in ihrer Jugend hier vorbeigekommen und hatte Mitleid mit diesen hungrigen Menschen empfunden, die auf der Suche nach öffentlicher Mildtätigkeit gezwungen waren, sich vor den Bürgern zur Schau zu stellen?

Aledis gesellte sich zu ihnen. Sie senkte den Kopf, damit ihr die Haare ins Gesicht fielen, und rückte schlurfend mit der Reihe vorwärts bis dorthin, wo das Essen ausgegeben wurde. Sie verbarg ihr Gesicht noch mehr, als sie schließlich vor dem Novizen stand und die Hände ausstreckte. Warum musste sie um Almosen betteln? Sie besaß ein schönes Haus und hatte genug Geld gespart, um ein sorgenfreies Leben zu führen. Die Männer begehrten sie nach wie vor … Es gab trockenes Brot aus Bohnenmehl, Wein und eine Schüssel Suppe. Sie aß mit derselben Gier wie die übrigen Armen um sie herum.

Als sie aufgegessen hatte, blickte sie zum ersten Mal auf. Sie war umgeben von Bettlern, Krüppeln und Greisen, die ihr Essen hinunterschlangen, ohne ihre Gefährten im Unglück aus den Augen zu lassen, den Brotkanten und die Schüssel fest umklammernd. Was war der Grund dafür, dass sie nun hier war? Warum wurde Francesca im Bischofspalast festgehalten? Aledis stand auf. Eine blonde Frau in einem leuchtend roten Kleid, die auf dem Weg zur Kathedrale war, weckte ihre Aufmerksamkeit. Eine Adlige ohne Begleitung? Aber wenn sie keine Adlige war, konnte sie mit diesem Kleid nur eine … Da erkannte sie sie. Es war Teresa! Aledis lief zu dem Mädchen.