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»Wir haben uns vor der Burg abgewechselt, um herauszufinden, was mit euch los war«, erzählte Teresa, nachdem sie sich umarmt hatten. »Es war ein Leichtes für uns, die Wache am Tor davon zu überzeugen, uns auf dem Laufenden zu halten.« Das Mädchen zwinkerte Aledis mit ihren schönen grünen Augen zu. »Als man euch abführte und die Soldaten uns erzählten, dass ihr nach Barcelona gebracht würdet, mussten wir erst einen Weg finden, um hierherzukommen. Deshalb hat es so lange gedauert. Wo ist Francesca?«

»Im Bischofspalast gefangen.«

»Weshalb?«

Aledis zuckte mit den Schultern. Als man sie getrennt hatte und ihr befahl zu gehen, hatte sie bei den Soldaten und Priestern den Grund zu erfahren versucht. »In den Kerker mit der Alten«, hatte sie gehört. Doch niemand hatte ihr geantwortet. Stattdessen hatte man sie immer wieder beiseitegestoßen. In ihrer Hartnäckigkeit, die Gründe für Francescas Verhaftung zu erfahren, hatte sie einen jungen Mönch an der Kutte gepackt, und dieser rief nach der Wache, die sie schließlich auf die Straße warf und als Hexe beschimpfte.

»Wer von euch ist alles mitgekommen?«

»Nur Eulàlia und ich.«

Ein leuchtend grünes Kleid kam auf sie zugerannt.

»Habt ihr Geld dabei?«

»Natürlich.«

»Und Francesca?«, fragte Eulàlia, als sie vor Aledis stand.

»Verhaftet«, erklärte diese noch einmal. Eulàlia wollte weitere Fragen stellen, doch Aledis kam ihr zuvor. »Ich weiß nicht, warum.« Aledis sah die beiden an. Gab es etwas, was diese Mädchen nicht herausbekommen konnten? »Ich weiß nicht, warum sie verhaftet wurde, aber wir werden es herausfinden. Oder, Mädchen?«

Die Antwort der beiden bestand in einem verschwörerischen Lächeln.

Joan schleifte den verschmutzten Saum seines schwarzen Habits durch ganz Barcelona. Sein Bruder hatte ihn gebeten, Mar aufzusuchen. Wie sollte er ihr unter die Augen treten? Er hatte versucht, einen Pakt mit Eimeric zu schließen. Doch stattdessen war er auf seine Schliche hereingefallen wie einer dieser tumben Dörfler, denen er selbst so oft den Prozess gemacht hatte, und hatte ihm die besten Indizien für Arnaus Schuld an die Hand gegeben. Was mochte Elionor ausgesagt haben? Er überlegte kurz, seiner Schwägerin einen Besuch abzustatten, doch schon die Erinnerung daran, wie sie ihm in Felip de Ponts Haus zugelächelt hatte, ließ ihn davon Abstand nehmen. Was sollte sie ihm zu sagen haben, wenn sie ihren eigenen Mann angezeigt hatte?

Er ging durch die Calle de la Mar zur Kirche Santa María. Arnaus Kirche. Joan blieb stehen und betrachtete sie. Noch war sie von hölzernen Gerüsten umgeben, auf denen die Maurer hin und her liefen, doch Santa María zeigte bereits ihr stolzes Antlitz. Sämtliche Außenmauern und Strebepfeiler waren fertiggestellt, ebenso die Apsis und zwei der vier Mittelschiffjoche. Die Rippen des dritten Jochs, dessen Schlussstein der König gestiftet hatte und der dessen Vater König Alfons zu Pferde zeigte, wuchsen auf einem komplizierten Gerüstwerk in die Höhe, bis der Schlussstein den Schub auffing und das Gewölbe von alleine trug. Es fehlten nur noch die beiden letzten Joche, dann war Santa María vollständig geschlossen.

Wie sollte man sich nicht in diese Kirche verlieben? Joan erinnerte sich an Pater Albert und daran, wie Arnau und er die Kirche zum ersten Mal betreten hatten. Damals wusste er nicht einmal, wie man betete! Jahre später hatte er beten, lesen und schreiben gelernt, und währenddessen hatte sein Bruder Steine für den Bau geschleppt. Joan erinnerte sich an die blutenden Wunden, mit denen Arnau in den ersten Tagen nach Hause gekommen war. Und dennoch hatte er gelächelt. Er beobachtete die Handwerker, die an den Türpfosten und Archivolten der Hauptfassade arbeiteten, an dem Figurenschmuck, den beschlagenen Türen, dem Maßwerk, das sich an jedem Portal unterschied, an den schmiedeeisernen Gittern und den Wasserspeiern in Form von Fabelgestalten, an den Kapitellen der Säulen und an den Glasfenstern – ganz besonders an den kunstvollen Glasfenstern, deren Aufgabe es war, das magische Licht des Mittelmeers zu filtern, um Stunde für Stunde, Minute für Minute fast, mit den Formen und Farben im Innenraum der Kirche zu spielen.

Die gewaltige Fensterrose in der Hauptfassade ließ bereits die zukünftige Komposition erkennen: In der Mitte befand sich eine kleine Mehrpassrosette, von der wie eigensinnige Strahlen, einer sorgfältig gearbeiteten Sonne aus Stein gleich, die Lanzettfenster ausgingen, welche die Rosette gliedern sollten. An diese schlossen sich eine Reihe spitzbögiger Dreipässe und eine weitere Reihe runder Vierpässe an, die den Abschluss der großen Rosette bildeten. In dieses Maßwerk würde, genau wie an den schmalen Fenstern der Fassade, im Anschluss die Bleiverglasung eingepasst werden. Im Moment allerdings sah die Fensterrose wie ein riesiges Spinnennetz aus fein gemeißeltem Stein aus, der darauf wartete, dass die Glasermeister die Lücken füllten.

Es war noch viel zu tun, dachte Joan beim Anblick der vielen hundert Männer, die hingebungsvoll an dem Traum eines ganzen Volkes arbeiteten. In diesem Augenblick kam ein Bastaix vorbei, der einen riesigen Stein trug. Der Schweiß rann ihm von der Stirn bis zu den Waden hinunter, und seine angespannten Muskeln zeichneten sich bei jedem Schritt ab, der ihn der Kirche näher brachte. Aber er lächelte, genau wie sein Bruder damals. Joan konnte den Blick nicht von dem Bastaix wenden. Auf den Gerüsten ließen die Maurer ihre Arbeit liegen und schauten nach unten, um das Eintreffen der Steine zu beobachten, die sie später verarbeiten sollten. Hinter dem ersten Bastaix erschien ein zweiter, und dann noch einer und noch einer. Sie alle beugten sich unter ihrer Last. Das Hämmern der Meißel auf dem Stein verstummte beim Anblick der einfachen Lastenträger aus dem Hafenviertel von Barcelona, und für einige Augenblicke war ganz Santa María verzaubert. Ein Maurer hoch oben auf den Gerüsten brach das Schweigen. Sein aufmunternder Ruf hing in der Luft, hallte von den Steinen wider und ging allen Anwesenden durch Mark und Bein.

»Nur Mut«, flüsterte Joan in das Geschrei hinein, das nun losbrach. Die Bastaixos lächelten, und immer wenn einer seinen Stein ablud, wurden die Rufe lauter. Jemand bot ihnen Wasser an. Die Bastaixos ließen das Wasser aus den Schläuchen über ihre Gesichter rinnen, bevor sie tranken. Joan sah sich selbst am Strand, wie er mit Bernats Schlauch hinter den Bastaixos hergelaufen war. Dann blickte er in den Himmel. Er musste zu ihr gehen. Wenn das die Strafe war, die der Herr ihm auferlegte, so würde er sich auf die Suche nach dem Mädchen machen und ihm die Wahrheit gestehen. Er ging von der Kirche Santa María über die Plaza del Born und den Pia d'en Llull zum Kloster Santa Clara und verließ Barcelona durch das Stadttor San Daniel.

Es war ein Leichtes für Aledis, den Herrn von Bellera und Genis Puig ausfindig zu machen. Außer dem Handelshof für auswärtige Händler, die nach Barcelona kamen, gab es in der gräflichen Stadt lediglich fünf Herbergen. Sie wies Teresa und Eulàlia an, sich an dem Weg hinauf zum Montjuïc zu verstecken, bis sie sie holen kam. Aledis blickte ihnen stumm hinterher, während schmerzliche Erinnerungen in ihr wach wurden.

Als die leuchtenden Kleider der Mädchen nicht mehr zu sehen waren, machte sie sich auf die Suche. Zunächst im Hostal del Bou ganz in der Nähe des Bischofspalasts, an der Plaza Nova. Der Hausbursche jagte sie davon, als sie am Hintereingang klopfte und nach dem Herrn von Bellera fragte. Im Hostal de la Massa in der Portaferrissa, ebenfalls unweit des Bischofspalasts, sagte ihr eine Frau, die am Hintereingang saß und Teig knetete, dass die besagten Herrschaften nicht dort wohnten. Daraufhin ging Aledis zum Hostal del Estanyer an der Plaza de la Llana. Dort musterte ein schamloser Bursche die Frau von oben bis unten.