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»Bruder Joan?«, fragte einer der Soldaten, die am Eingang Wache hielten.

Der Dominikaner wandte dem Soldaten sein blaugeschwollenes Gesicht zu.

»Bruder Joan?«, fragte der Soldat noch einmal.

Joan nickte.

»Der Generalinquisitor hat angeordnet, Euch zu ihm zu bringen.«

Der Soldat rief nach der Wache, und mehrere seiner Kameraden kamen herbeigeeilt, um Joan in Gewahrsam zu nehmen.

Die Frau stieg nicht von ihrem Maulesel ab.

52

Sahat stürzte in das Lagerhaus des alten Händlers in Pisa, ganz in der Nähe des Hafens am Arno. Mehrere Angestellte und Lehrburschen grüßten ihn, doch der Maure hörte nicht hin. »Wo ist euer Herr?«, fragte er jeden, während er unruhig zwischen den zahllosen Waren auf und ab lief, die sich in dem riesigen Lagerhaus stapelten. Schließlich fand er den Gesuchten am anderen Ende des Raumes, über einige Stoffballen gebeugt.

»Was gibt es, Filippo?«, fragte er ihn.

Der alte Händler richtete sich mühsam auf und sah Sahat an.

»Gestern lief ein Schiff auf dem Weg nach Marseille ein.«

»Ich weiß. Ist etwas vorgefallen?«

Filippo betrachtete Sahat. Wie alt er wohl war? Jung war er jedenfalls nicht mehr. Er war wie stets gut gekleidet, jedoch nicht protzig wie so viele andere, die weniger reich waren als er. Was mochte zwischen ihm und Arnau vorgefallen sein? Er hatte es ihm nie erzählen wollen. Filippo erinnerte sich, wie der Sklave damals aus Katalonien gekommen war, an den Freilassungsbrief, an Arnaus Zahlungsanweisung.

»Filippo!«

Sahats Stimme rief ihn in die Gegenwart zurück. Der Maure besaß noch immer den Schwung eines jungen Mannes. Alles ging er mit großer Entschlossenheit an.

»Filippo, bitte!«

»Gewiss, gewiss. Du hast recht. Entschuldige.« Der alte Mann trat zu ihm und stützte sich auf seinen Arm. »Du hast recht, du hast recht. Hilf mir. Gehen wir in mein Büro.«

In der Welt der Händler von Pisa gab es nur wenige Menschen, von denen Filippo Tescio sich helfen ließ. Dieser öffentliche Vertrauensbeweis des betagten Mannes konnte mehr Türen öffnen als Tausende von Goldflorins. Diesmal jedoch blieb Sahat stehen und hinderte den reichen Händler am Weitergehen.

»Filippo, bitte!«

Der alte Mann zog ihn sanft weiter.

»Es gibt Nachrichten … schlechte Nachrichten. Es geht um Arnau.« Er ließ dem Mauren Zeit, sich auf das einzustellen, was nun kam. »Er wurde von der Inquisition festgenommen.«

Sahat schwieg.

»Die Gründe sind recht unklar«, fuhr Filippo fort. »Seine Angestellten haben damit begonnen, Warenlieferungen zu verkaufen. So wie es aussieht, ist seine Lage ziemlich düster … Doch das sind vermutlich nur bösartige Gerüchte. Setz dich«, bat er ihn, als sie das ›Büro‹ des alten Händlers erreichten. Es handelte sich um einen schmucklosen Tisch auf einem Podest, von wo aus er die drei Angestellten beaufsichtigte, die an ähnlichen Tischen die Transaktionen in riesige Rechnungsbücher eintrugen, während er gleichzeitig das stete Kommen und Gehen im Lagerhaus im Auge hatte.

Filippo nahm Platz und seufzte.

»Das ist noch nicht alles«, setzte er hinzu. Sahat saß ihm wie versteinert gegenüber. »An Ostern haben sich die Bürger Barcelonas gegen das Judenviertel erhoben. Sie beschuldigten die Juden, eine Hostie geschändet zu haben. Die Sache endete mit einer hohen Geldstrafe und drei Hingerichteten …« Filippo sah, wie Sahats Unterlippe zu zittern begann. »Darunter war Hasdai.«

Der alte Mann sah weg und überließ Sahat für einen Moment seinen Gefühlen. Als er sich ihm wieder zuwandte, sah er, dass seine Lippen fest aufeinandergepresst waren. Sahat zog die Nase hoch und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

»Hier«, sagte Filippo und überreichte ihm einen Brief. »Er ist von Jucef. Eine Kogge aus Barcelona mit Ziel Alexandria hat ihn bei meinem Vertreter in Neapel hinterlegt. Von dort hat ihn mir der Kapitän des Schiffes nach Marseille mitgebracht. Jucef hat das Geschäft übernommen. In dem Brief erzählt er alles, was passiert ist. Über Arnau allerdings sagte er nicht viel.«

Sahat nahm den Brief an sich, öffnete ihn jedoch nicht.

»Hasdai hingerichtet, Arnau verhaftet«, sagte er. »Und ich sitze hier …«

»Ich habe dir eine Überfahrt nach Marseille reserviert«, sagte Filippo. »Das Schiff läuft morgen früh aus. Von dort wird es nicht schwer sein, nach Barcelona zu gelangen.«

»Danke«, murmelte Sahat.

Filippo schwieg.

»Ich kam hierher, um nach meinen Wurzeln zu suchen«, begann Sahat, »die Familie, die ich verloren zu haben glaubte. Weißt du, was ich fand?« Filippo sah ihn stumm an. »Als man mich verkaufte – ich war damals noch ein Kind –, blieben meine Mutter und fünf Geschwister zurück. Ich fand nur einen von ihnen wieder. Und ich kann nicht einmal versichern, dass er es wirklich war. Er war Sklave bei einem Stauer im Hafen von Genua. Als er mir gezeigt wurde, vermochte ich in ihm nicht meinen Bruder wiederzuerkennen. Ich erinnerte mich nicht einmal an seinen Namen. Er zog ein Bein nach und ihm fehlten der kleine Finger der rechten Hand sowie beide Ohren. Damals dachte ich, dass sein Besitzer sehr grausam sein musste, um ihn derart zu bestrafen, doch dann …« Sahat machte eine Pause und sah den alten Mann an. Er erhielt keine Antwort. »Ich kaufte ihn frei und ließ ihm eine hübsche Summe Geldes zukommen, ohne ihm zu eröffnen, dass ich hinter all dem steckte. Das Geld reichte nur sechs Tage. Sechs Tage, in denen er ständig betrunken war und das Geld, das für ihn ein Vermögen sein musste, beim Spiel und mit Frauen durchbrachte. Danach verkaufte er sich erneut gegen Kost und Logis als Sklave an seinen früheren Herrn.« Sahat machte eine abschätzige Handbewegung. »Das war alles, was ich hier fand: einen betrunkenen, streitsüchtigen Bruder.«

»Du hast auch Freunde gefunden«, beschwerte sich Filippo.

»Das ist wahr. Entschuldige. Ich meinte …«

»Ich weiß, was du meintest.«

Die beiden Männer starrten auf die Schriftstücke, die auf dem Tisch lagen. Das rege Treiben im Lagerhaus brachte sie wieder zu sich.

»Sahat«, sagte Filippo schließlich, »ich war viele Jahre lang Hasdais Handelsvertreter und werde diese Aufgabe auch für seinen Sohn wahrnehmen, solange Gott mich noch leben lässt. Später wurde ich auf Hasdais Wunsch und auf deine Veranlassung auch Arnaus Vertreter. In all dieser Zeit habe ich nur Loblieder auf Arnau gehört, ob nun von Händlern, Matrosen oder Kapitänen. Sogar hier erzählte man sich, was er für die unfreien Bauern auf seinen Besitzungen getan hat! Was ist zwischen euch vorgefallen? Wärt ihr im Streit geschieden, so hätte er dir nicht die Freiheit geschenkt, und erst recht nicht hätte er mich angewiesen, dir eine solch hohe Geldsumme auszuhändigen. Was ist vorgefallen, dass du ihn verlassen hast und er dich so reich beschenkte?«

Sahats Erinnerungen wanderten zu einem Hügel in der Nähe von Mataró, zu dem Klirren von Schwertern und Armbrüsten.

»Ein Mädchen … ein außergewöhnliches Mädchen.«

»Aha!«

»Nein«, widersprach Sahat, »nicht, was du denkst.«

Und zum ersten Mal in fünf Jahren erzählte Sahat, was er die ganze Zeit für sich behalten hatte.

»Wie konntest du es wagen!« Nicolau Eimerics Gebrüll hallte durch die Flure des Bischofspalasts. Er wartete nicht einmal ab, bis die Soldaten sein Arbeitszimmer verlassen hatten. Der Inquisitor lief wild gestikulierend im Zimmer auf und ab. »Wie kannst du es wagen, das Vermögen des Sanctum Officium zu gefährden?« Nicolau fuhr zu Joan herum, der in der Mitte des Raumes stand. »Wie kannst du es wagen, den Verkauf von Warenposten unter Preis anzuordnen?«

Joan gab keine Antwort. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, übel zugerichtet und gedemütigt, wie er war. Er war meilenweit hinter einem Maultier hergelaufen und sein ganzer Körper schmerzte. Er roch schlecht und der schmutzstarrende Habit kratzte auf seiner Haut. Seit dem Vortag hatte er nichts mehr gegessen und Durst quälte ihn. Nein, er wollte nicht antworten.