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»Geh doch zu deiner jüdischen Geliebten!« Elionors Worte klangen ihm wieder in den Ohren, und auch jetzt lief es ihm kalt über den Rücken, genau wie damals. Arnau sah auf. Nicolau ließ ihn nicht aus den Augen … Und er lächelte. Hatte er seine Reaktion bemerkt?

Der Schreiber las weiter: »… worauf der Konsul ihr zur Antwort gab, dass Gott ihn nicht zwingen könne, mit ihr zu schlafen …«

Nicolau bat den Schreiber zu schweigen. Sein Lächeln erstarb.

»Lügt der Kanoniker ebenfalls?«

»Geh doch zu deiner jüdischen Geliebten!« Weshalb hatte er den Schreiber nicht zu Ende lesen lassen? Was hatte Nicolau vor? Deine jüdische Geliebte, deine jüdische Geliebte … die Flammen, die an Hasdais Körper emporzüngelten, die Stille, die aufgebrachte Menge, die stumm Genugtuung forderte, Worte schreiend, die ihre Münder nicht verließen, Elionor, die mit dem Finger auf ihn zeigte, Nicolau und der Bischof, die zu ihm herübersahen … und Raquel, die sich an ihn klammerte.

»Lügt der Kanoniker ebenfalls?«, wiederholte Nicolau.

»Ich habe niemanden der Lüge beschuldigt«, verteidigte sich Arnau. Er musste nachdenken.

»Stellst du die göttlichen Gebote in Abrede? Verweigerst du dich den Pflichten eines christlichen Ehemannes?«

»Nein … nein«, stotterte Arnau.

»Also?«

»Also was?«

»Stellst du die göttlichen Gebote in Abrede?« Nicolau erhob die Stimme.

Die Worte hallten von den steinernen Wänden des großen Saales wider. Arnaus Beine waren taub, nach so vielen Tagen im Verlies.

»Das Tribunal kann dir dein Schweigen als Geständnis auslegen«, erklärte der Bischof.

»Nein. Ich stelle sie nicht in Abrede.« Seine Beine begannen zu schmerzen. »Weshalb hat das Sanctum Officium solches Interesse an meinem Verhältnis zu Doña Elionor? Ist es etwa eine Sünde, sich …«

»Damit das klar ist, Arnau«, unterbrach ihn der Inquisitor, »die Fragen stellt das Tribunal.«

»Nun, so fragt.«

Nicolau beobachtete, wie Arnau unruhig von einem Fuß auf den anderen trat und immer wieder seine Haltung änderte.

»Es fängt an, ihm wehzutun«, flüsterte er Berenguer d'Erill ins Ohr.

»Lassen wir ihn darüber nachdenken«, antwortete der Bischof.

Sie begannen erneut zu tuscheln und Arnau spürte wieder die vier Augenpaare der Dominikaner auf sich ruhen. Seine Beine schmerzten, aber er musste durchhalten. Er durfte nicht vor Nicolau Eimeric in die Knie gehen. Was würde geschehen, wenn er zusammenbrach? Er brauchte … einen Stein! Einen Stein auf seinem Rücken, einen langen Weg, den er mit einem Stein für seine Madonna zurücklegen musste. ›Wo bist du jetzt? Sind diese Männer wirklich deine Stellvertreter auf Erden?‹ Er war noch ein Kind gewesen … Warum sollte er jetzt nicht durchhalten? Er hatte einen Stein durch ganz Barcelona geschleppt, der mehr wog als er selbst, er hatte geschwitzt und geblutet, während er die aufmunternden Rufe der Leute hörte. War ihm nichts mehr von dieser Stärke geblieben? Sollte ihn ein fanatischer Pfaffe bezwingen? Ihn, den jungen Bastaix, den alle Halbwüchsigen in der Stadt bewundert hatten? Schritt für Schritt hatte er sich nach Santa María geschleppt, um dann nach Hause zu gehen und sich auszuruhen für den nächsten Tag. Zu Hause … die braunen Augen, große braune Augen. Und da, in diesem Moment wurde ihm klar, dass die Besucherin in dem dunklen Verlies Aledis gewesen war. Die Erkenntnis ließ ihn beinahe zu Boden gehen.

Nicolau Eimeric und Berenguer d'Erill wechselten einen Blick, als sie sahen, wie Arnau sich straffte. Zum ersten Mal schaute einer der Dominikaner zur Mitte des Tisches.

»Er bricht nicht ein«, flüsterte der Bischof nervös.

»Wo befriedigst du deine Instinkte?«, fragte Nicolau mit donnernder Stimme.

Deshalb hatte sie seinen Namen gewusst. Ihre Stimme … ja, natürlich. Das war die Stimme, die er so oft am Hang des Montjuïc gehört hatte.

»Arnau Estanyol!« Die Stimme des Inquisitors brachte ihn in die Realität zurück. »Ich fragte, wo du deine Instinkte befriedigst.«

»Ich verstehe Eure Frage nicht.«

»Du bist ein Mann. Du unterhältst seit Jahren keine fleischlichen Beziehungen zu deiner Frau. Es ist ganz einfach: Wo befriedigst du deine Bedürfnisse als Mann?«

»Seit ebenso vielen Jahren habe ich keinerlei Kontakt zu einer Frau.«

Er hatte geantwortet, ohne zu überlegen. Der Kerkermeister hatte behauptet, sie sei seine Mutter.

»Du lügst!« Arnau zuckte zusammen. »Das Tribunal selbst hat dich in Umarmung mit einer Ketzerin gesehen. Ist das kein Kontakt mit einer Frau?«

»Nicht jener, von dem Ihr spracht.«

»Was kann einen Mann und eine Frau dazu treiben, sich in der Öffentlichkeit zu umarmen, außer …« Nicolau fuchtelte mit den Händen, »außer der Wollust?«

»Schmerz.«

»Welcher Schmerz?«, fragte der Bischof.

»Welcher Schmerz?«, setzte Nicolau angesichts seines Schweigens nach. Arnau schwieg. Die Flammen des Scheiterhaufens erhellten den Raum. »Wegen der Hinrichtung eines Ketzers, der eine geweihte Hostie schändete?«, fragte der Inquisitor und richtete seinen beringten Finger auf ihn. »Ist das der Schmerz, den du als guter Christ empfindest? Wegen der gerechten Vergeltung an einem ruchlosen Verbrecher, einem Gotteslästerer, einem gemeinen Dieb?«

»Er war es nicht!«, schrie Arnau.

Sämtliche Mitglieder des Tribunals, auch der Schreiber, fuhren auf ihren Stühlen hoch.

»Die drei haben ihre Schuld eingestanden. Weshalb verteidigst du die Ketzer? Die Juden …«

»Die Juden! Die Juden!«, entgegnete er. »Was haben die Juden denn verbrochen?«

»Weißt du das nicht?«, fragte der Inquisitor und erhob die Stimme. »Sie haben Jesus Christus ans Kreuz geschlagen!«

»Haben sie nicht oft genug mit ihrem eigenen Leben dafür gebüßt?«

Arnau sah die Blicke sämtlicher Tribunalsmitglieder auf sich gerichtet. Alle hatten sich auf ihren Stühlen aufgerichtet.

»Du plädierst dafür zu verzeihen?«, fragte Berenguer d'Erill.

»Hat es uns der Herr nicht so gelehrt?«

»Der einzige Weg ist die Bekehrung! Man kann niemandem vergeben, der nicht bereut«, brüllte Nicolau.

»Ihr sprecht von etwas, das vor mehr als dreizehnhundert Jahren geschah. Was soll ein Jude bereuen, der in unserer Zeit geboren wird? Er trägt keine Schuld an dem, was damals geschehen sein mag.«

»Jeder, der dem jüdischen Glauben anhängt, ist für das verantwortlich, was seine Vorfahren taten. Er nimmt ihre Schuld an.«

»Sie folgen nur ihrem Glauben, ihren Überzeugungen, genau wie wir …« Nicolau und Berenguer zuckten zusammen. »Genau wie wir«, wiederholte Arnau mit fester Stimme.

»Du setzt den christlichen Glauben mit der Häresie gleich?«, entfuhr es dem Bischof.

»Solche Vergleiche stehen mir nicht zu. Diese Aufgabe überlasse ich Euch, den Männern Gottes. Ich habe lediglich gesagt …«

»Wir wissen genau, was du gesagt hast!«, unterbrach ihn Nicolau Eimeric. »Du hast den einzig wahren, den christlichen Glauben mit den häretischen Lehren der Juden gleichgesetzt.«

Arnau sah das Tribunal an. Der Notar schrieb weiter in seinen Akten. Sogar die Soldaten, die reglos hinter ihm an der Tür standen, schienen zuzuhören, wie die Feder über das Pergament kratzte. Nicolau lächelte, und das Kratzen der Feder verursachte Arnau eine Gänsehaut. Ein Zittern durchlief seinen gesamten Körper. Der Inquisitor bemerkte es und lächelte unverhohlen. Ja, schien sein Blick zu sagen, das ist deine Aussage.

»Sie sind genau wie wir«, beteuerte Arnau.

Nicolau bedeutete ihm zu schweigen.