Von der Calle de la Boquería gingen sie plaudernd und lachend in Richtung Meer. Wären sie die Calle del Bisbe entlanggegangen bis zur Plaza Nova, hätten sie dort Aledis getroffen, die zu den Fenstern des Bischofspalasts hinaufsah und in jeder Gestalt, die sich hinter den Scheiben abzeichnete, Arnau oder Francesca zu erkennen versuchte. Sie wusste nicht einmal, hinter welchen Fenstern Arnau der Prozess gemacht wurde! Ob Francesca ausgesagt hatte? Joan wusste nichts von ihr. Aledis blickte von Fenster zu Fenster. Bestimmt, aber wozu ihm von ihr erzählen, wenn er doch nichts tun konnte. Arnau war stark, und Francesca … Diese Leute kannten Francesca nicht.
»Was lungerst du hier herum?« Neben Aledis stand ein Soldat der Inquisition. Sie hatte ihn nicht kommen sehen. »Was schaust du so neugierig?«
Aledis fuhr zusammen und lief davon, ohne zu antworten. »Ihr kennt Francesca nicht«, dachte sie. »Keine Folter wird sie dazu bringen, das Geheimnis zu verraten, das sie ein Leben lang für sich behalten hat.«
Bevor Aledis den Gasthof erreichte, traf Joan ein. Er trug einen sauberen Habit, den er im Kloster Sant Pere de les Puelles erhalten hatte. Als er Guillem bei Mar und den beiden Mädchen sitzen sah, blieb er mitten im Schankraum stehen.
Guillem sah ihn aufmerksam an. War das eben ein Lächeln gewesen oder ein Ausdruck des Missfallens?
Joan hätte es selbst nicht sagen können. Ob Mar ihm von der Entführung erzählt hatte?
Guillem kam wieder in den Sinn, wie der Mönch ihn behandelt hatte, als er noch bei Arnau gewesen war, doch dies war nicht der richtige Moment, um nachtragend zu sein. Sie mussten gemeinsam handeln, um Arnau zu helfen.
»Wie geht es dir, Joan?«, erkundigte er sich und fasste den Mönch bei den Schultern. »Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?«, setzte er hinzu, als er die blauen Flecke bemerkte.
Joan blickte zu Mar herüber, doch die sah ihn genauso hart und ausdruckslos an wie stets, seit er sie aufgesucht hatte. Aber Guillem konnte nicht so zynisch sein zu fragen, obwohl er wusste …
»Eine unangenehme Begegnung«, antwortete er. »So etwas kommt auch bei Mönchen vor.«
»Ich vermute, du hast die Missetäter bereits exkommuniziert – steht es so nicht im Landfrieden?«, sagte Guillem lächelnd, während er den Mönch zum Tisch führte. Joan und Mar wechselten einen Blick. »Ist es nicht so, dass jeder aus der Kirche ausgeschlossen wird, der den Frieden gegen unbewaffnete Geistliche bricht? Du warst doch nicht etwa bewaffnet, Joan?«
Guillem hatte keine Gelegenheit, die Spannung zwischen Mar und dem Mönch zu bemerken, denn in diesem Moment erschien Aledis. Die Vorstellung fiel kurz aus, denn Guillem wollte mit Joan sprechen.
»Du bist Inquisitor«, sagte er zu ihm. »Wie schätzt du Arnaus Lage ein?«
»Ich glaube, Nicolau will ihn unbedingt verurteilen, aber er kann nicht viel gegen ihn in der Hand haben. Meiner Meinung nach wird er mit öffentlicher Buße und einer empfindlichen Geldstrafe davonkommen, denn das ist es, was Eimeric interessiert. Ich kenne Arnau. Er hat niemandem etwas zuleide getan. Selbst wenn Elionor ihn angezeigt haben sollte, können sie nicht …«
»Und wenn Elionors Aussage von mehreren Priestern gestützt würde?« Joan erschrak. »Würde ein Priester eine Nichtigkeit zur Anzeige bringen?«
»Was genau meinst du damit?«
»Das tut nichts zur Sache«, sagte Guillem und dachte an Jucefs Brief. »Antworte mir. Was geschieht, wenn die Anzeige von mehreren Priestern gestützt wird?«
Aledis hörte nicht, was Joan antwortete. Sollte sie erzählen, was sie wusste? Konnte dieser Maure etwas unternehmen? Er war reich, und offenbar … Eulàlia und Teresa sahen sie an.
»Es geht noch um viel mehr«, unterbrach Aledis Joans Mutmaßungen.
Die beiden Männer und Mar sahen sie an.
»Ich werde euch nicht sagen, wie ich davon erfuhr, und ich werde nie wieder über die Sache sprechen, nachdem ich alles erzählt habe. Seid ihr damit einverstanden?«
»Was soll das heißen?«, fragte Joan.
»Das ist doch völlig klar«, fuhr Mar ihn an.
Guillem sah Mar überrascht an. Weshalb sprach sie so mit ihm? Er beobachtete Joan, doch der hatte den Blick gesenkt.
»Fahr fort, Aledis. Wir sind einverstanden«, erklärte Guillem.
»Erinnert ihr euch an die beiden Adligen, die hier im Gasthof wohnen?«
Als Guillem den Namen Genis Puig hörte, unterbrach er Aledis.
»Er hat eine Schwester namens Margarida«, erklärte ihm diese.
Guillem schlug die Hände vors Gesicht.
»Wohnen sie noch hier?«, fragte er.
Aledis berichtete weiter, was ihre Mädchen herausgefunden hatten. Eulàlias Schäferstündchen mit Genis Puig war nicht vergebens gewesen. Nachdem er, vom Wein berauscht, sein Verlangen mit ihr befriedigt hatte, hatte er sich damit gebrüstet, welche Vorwürfe sie vor dem Inquisitor gegen Arnau erhoben hatten.
»Sie behaupten, Arnau habe den Leichnam seines Vaters verbrannt«, erzählte Aledis. »Ich kann das nicht glauben …«
Joan würgte. Alle drehten sich zu ihm um. Der Mönch presste die Hand auf den Mund. Er sah elend aus. Die Dunkelheit, Bernats Körper, der auf dem improvisierten Schafott baumelte, die Flammen …
»Was sagst du nun, Joan?«, hörte er Guillem fragen.
»Sie werden ihn hinrichten«, brachte er heraus, bevor er aus dem Raum stürzte, die Hand auf den Mund gepresst.
Joans Urteil hing in der Luft. Alle starrten vor sich hin.
»Was ist da zwischen Joan und dir?«, fragte Guillem Mar leise, als der Mönch nach einer ganzen Weile immer noch nicht wieder erschienen war.
»Nichts«, antwortete sie. »Du weißt doch, dass wir uns noch nie gut verstanden haben.«
Mar wich Guillems Blick aus.
»Erzählst du es mir irgendwann einmal?«
Mar senkte den Blick.
54
Das Tribunal war bereits zusammengetreten. Die vier Dominikaner und der Schreiber saßen hinter dem Tisch, die Wachen standen an der Tür, und Arnau wartete in der Mitte des Raumes. Er war genauso schmutzig wie am Tag zuvor.
Kurz darauf betraten Nicolau Eimeric und Berenguer d'Erill, Prunk und Hochmut vor sich hertragend, den Saal. Die Soldaten salutierten, und die übrigen Mitglieder des Tribunals erhoben sich, bis die beiden ihre Plätze eingenommen hatten.
»Die Verhandlung ist eröffnet«, sagte Nicolau, und dann, an Arnau gewandt: »Ich erinnere dich daran, dass du nach wie vor unter Eid stehst.«
»Dieser Mann«, hatte er dem Bischof auf dem Weg zum Gerichtssaal gesagt, »wird eher wegen des geleisteten Eids sprechen als aus Angst vor der Folter.«
»Verlies noch einmal die letzten Worte des Gefangenen«, wandte sich Nicolau nun an den Schreiber.
»Sie folgen nur ihrem Glauben und ihren Überzeugungen, genau wie wir.« Seine eigene Aussage traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Während seine Gedanken ständig bei Mar und Aledis waren, hatte er die ganze Nacht darüber nachgegrübelt, was er gesagt hatte. Nicolau hatte ihm keine Möglichkeit gegeben, sich näher zu erklären, aber was gab es da auch zu erklären? Was sollte er diesen Ketzerjägern sein Verhältnis zu Raquel und ihrer Familie darlegen? Der Schreiber las weiter. Er durfte die Ermittlungen nicht auf Raquel lenken. Die Familie hatte schon genug unter Hasdais Tod gelitten, um ihnen nun auch noch die Inquisition auf den Hals zu hetzen …
»Bist du der Ansicht, der christliche Glaube reduziere sich auf Überzeugungen oder Glaubenslehren, die der Mensch nach Belieben annehmen könne?«, fragte Berenguer d'Erill. »Vermag ein einfacher Sterblicher über die göttlichen Gebote zu urteilen?«
Warum nicht? Arnau sah Nicolau an. Waren er und seinesgleichen keine einfachen Sterblichen? Sie würden ihn verbrennen. Sie würden ihn verbrennen, wie sie Hasdai und so viele andere verbrannt hatten. Es lief ihm kalt den Rücken herunter.
»Ich habe mich nicht korrekt ausgedrückt«, sagte er schließlich.