Guillem hatte einen Spaziergang unternommen, bevor er zum königlichen Palast gegangen war. Sein Weg hatte ihn zu Arnaus Wechselstube geführt. Sie war geschlossen. Die Bücher musste Nicolau Eimeric an sich genommen haben, um Scheinverkäufe zu verhindern. Von Arnaus Angestellten war nichts zu sehen. Guillem blickte zur Kirche Santa María, die von Gerüsten umgeben war. Wie war es möglich, dass ein Mann, der alles für diese Kirche gegeben hatte …? Sein Weg führte ihn weiter zum Seekonsulat und zum Strand.
»Wie geht es deinem Herrn?«, hörte er eine Stimme hinter sich fragen.
Guillem drehte sich um und stand vor einem Bastaix, der einen riesigen Sack auf dem Rücken trug. Arnau hatte ihm vor Jahren Geld geliehen und er hatte es Münze für Münze zurückgezahlt. Guillem hob die Schultern und machte ein ratloses Gesicht. Plötzlich war er von einer ganzen Reihe Bastaixos umringt, die gerade ein Schiff entluden. »Was ist mit Arnau los?«, wurde er gefragt. »Wie kann man ihn der Ketzerei beschuldigen?« Diesem Mann hatte er ebenfalls Geld geliehen. Für die Aussteuer einer seiner Töchter? Wie viele von ihnen hatten Hilfe bei Arnau gesucht? »Wenn du ihn siehst«, sagte ein anderer, »dann richte ihm aus, dass eine Kerze für ihn vor dem Gnadenbild brennt. Wir sorgen dafür, dass sie nie verlischt.« Guillem versuchte, sich dafür zu entschuldigen, dass er nichts Näheres wusste, doch die Bastaixos ließen ihn nicht zu Wort kommen. Nachdem sie auf die Inquisition geschimpft hatten, setzten sie ihren Weg fort.
Die empörten Bastaixos noch vor Augen, war Guillem entschlossenen Schrittes zum königlichen Palast gegangen.
Nun stand der Maure erneut vor Arnaus Wechselstube, während sich hinter ihm die Umrisse von Santa María vor dem Nachthimmel abzeichneten. Er brauchte die Zahlungsbestätigung, die der Jude Abraham Levi seinerzeit unterschrieben und die er selbst hinter einem Mauerstein versteckt hatte. Die Tür war verriegelt, aber im Erdgeschoss befand sich ein Fenster, das nie richtig geschlossen hatte. Guillem spähte in die Dunkelheit. Es schien niemand da zu sein. Arnau hatte nie von diesem Dokument erfahren. Er hätte dieses Geld nicht angenommen. Das Knarren des Fensters drang durch die nächtliche Stille. Guillem erstarrte. Er war ein Maure, ein Ungläubiger, der mitten in der Nacht in das Haus eines Gefangenen der Inquisition einbrach. Dass er getauft war, würde ihm wenig nutzen, wenn man ihn erwischte. Doch die nächtlichen Geräusche zeigten ihm, dass sich die Welt weiterdrehte. Man hörte das Meer, das Knacken der Gerüste von Santa María, weinende Kinder, Männer, die ihre Frauen anschrien …
Er öffnete das Fenster und kroch hinein. Mit dem Geld, das angeblich von Abraham Levi stammte, hatte Arnau gehandelt und gute Gewinne gemacht, doch nach jeder getätigten Transaktion hatte er ein Viertel der Einnahmen Abraham Levi, dem Anleger des Geldes, gutgeschrieben. Guillem wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und der Mond aufging. Bevor Abraham Levi Barcelona verlassen hatte, war Hasdai mit ihm zu einem Schreiber gegangen und hatte ihn eine Verzichtserklärung über das angelegte Geld unterschreiben lassen. Das Geld gehörte also Arnau, in den Büchern des Geldwechslers jedoch stand es nach wie vor unter dem Namen des Juden vermerkt.
Guillem kniete neben der Wand nieder. Es war der zweite Stein in der Ecke des Raumes. Er versuchte ihn herauszuziehen. Er hatte nie den richtigen Moment gefunden, Arnau von diesem ersten Geschäft zu erzählen, das er hinter seinem Rücken, aber in seinem Namen getätigt hatte, und so war Abraham Levis Vermögen immer weiter angewachsen. Der Stein ließ sich nicht bewegen. »Sei unbesorgt«, hatte ihm Hasdai einmal gesagt, als Arnau in seiner Gegenwart den Juden erwähnte. »Ich habe Anweisungen, dass du genauso weitermachen sollst. Mach dir keine Gedanken.« In einem unbeobachteten Moment hatte Hasdai Guillem angesehen, der nur seufzte und mit den Schultern zuckte. Der Stein lockerte sich. Nein, Arnau hätte niemals eingewilligt, mit Geld zu arbeiten, das aus dem Verkauf von Sklaven stammte.
Der Stein gab nach, und dahinter fand Guillem das sorgfältig in Tuch gewickelte Dokument. Er machte sich nicht die Mühe, es zu lesen. Er wusste, was darin stand. Er setzte den Stein wieder in die Mauerlücke und trat ans Fenster. Als er nichts Ungewöhnliches hörte, schloss er das Fenster und verließ Arnaus Wechselstube.
55
Die Soldaten der Inquisition mussten in das Verlies kommen, um ihn zu holen. Zwei von ihnen packten ihn unter den Armen und schleiften den stolpernden Arnau hinter sich her. Er stieß mit den Knöcheln gegen die Treppenstufen, die zum Verlies hinabführten, und ließ sich durch die Gänge des Bischofspalasts schleifen. Er hatte nicht geschlafen. Er bemerkte nicht einmal die Mönche und Priester, die zusahen, wie man ihn zu Nicolau brachte. Wie hatte Joan ihn nur verraten können?
Seit man ihn in den Kerker zurückgebracht hatte, weinte Arnau. Er schrie und schlug den Kopf gegen die Wand. Warum Joan? Und wenn Joan ihn denunziert hatte, was hatte Aledis mit alldem zu tun? Und die gefangene Frau? Aledis hatte allen Grund, ihn zu hassen. Er hatte sie verlassen und war dann vor ihr geflohen. Ob sie mit Joan unter einer Decke steckte? War Joan wirklich zu Mar gegangen? Und falls ja, warum war sie nicht gekommen? War es so schwierig, einen einfachen Kerkermeister zu bestechen?
Francesca hörte ihn schluchzen und toben. Als sie ihren Sohn so hörte, sank ihr Körper noch mehr in sich zusammen. Zu gerne hätte sie ihn angesehen und mit ihm gesprochen, um ihn zu trösten, und sei es durch Lügen. »Du wirst ihm nicht widerstehen können«, hatte sie Aledis gewarnt. Und sie selbst? Würde sie diese Situation noch lange ertragen? Francesca presste sich gegen die kalten Steine der Mauer, während Arnau weiter mit dem Schicksal und der Welt haderte.
Die Türen des Gerichtssaals öffneten sich und Arnau wurde hineingezerrt. Das Tribunal war bereits versammelt. Die Soldaten schleiften Arnau in die Mitte des Raumes und ließen ihn los. Arnau sank zu Boden. Er hörte, wie Nicolau in die Stille hineinsprach, doch er war unfähig, seine Worte zu verstehen. Was konnte ihm dieser Mönch noch antun, nachdem ihn sein eigener Bruder bereits verdammt hatte? Er hatte niemanden mehr. Er hatte nichts.
»Du täuschst dich«, hatte ihm der Kerkermeister geantwortet, als er ihm ein kleines Vermögen anbot, um ihn zu bestechen. »Du hast kein Geld mehr.« Geld! Geld war der Grund dafür gewesen, dass der König ihn mit Elionor verheiratet hatte. Geld steckte hinter dem Verhalten seiner Ehefrau, die seine Festnahme in die Wege geleitet hatte. Sollte Geld Joan dazu bewogen haben …?
»Bringt die Mutter herein!«
Angesichts dieses Befehls war Arnau auf einmal hellwach.
Mar und Aledis standen auf der Plaza Nova, gegenüber dem Bischofspalast. Joan hielt sich ein wenig abseits. »Infant Don Juan wird heute Nachmittag meinen Herrn empfangen«, hatte ihnen einer von Guillems Sklaven tags zuvor mitgeteilt. Heute Morgen in aller Frühe war derselbe Sklave zu ihnen gekommen, um ihnen von seinem Herrn auszurichten, dass sie auf der Plaza Nova warten sollten.
Und da standen die drei nun und spekulierten darüber, warum Guillem ihnen diese Botschaft geschickt hatte.
Arnau hörte, wie hinter ihm die Tür geöffnet wurde. Die Soldaten kamen herein und stellten jemanden neben ihn, dann nahmen sie wieder ihren Posten an der Tür ein.
Er spürte ihre Gegenwart. Er sah ihre nackten, runzligen Füße. Sie waren schmutzig und schwielig, und sie bluteten. Nicolau und der Bischof lächelten, als sie sahen, wie Arnau die Füße seiner Mutter anstarrte. Dann hob er den Kopf und sah zu ihr auf. Obwohl er kniete, überragte ihn die alte Frau um höchstens eine Spanne, so gebeugt war sie. Die Tage im Kerker waren nicht spurlos an Francesca vorübergegangen. Ihr schütteres graues Haar stand wirr in die Höhe. Sie hatte den Blick starr auf das Tribunal gerichtet, die Haut war pergamenten und eingefallen. Ihre Augen lagen tief in violett verfärbten Höhlen.