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»Francesca Esteve«, sagte Nicolau, »schwörst du auf die vier Evangelien?«

Die feste Stimme der Greisin überraschte alle Anwesenden.

»Ich schwöre«, antwortete sie, »doch Ihr sitzt einem Irrtum auf. Ich heiße nicht Francesca Esteve.«

»Wie dann?«, fragte Nicolau.

»Mein Name ist Francesca, doch nicht Esteve, sondern Ribes. Francesca Ribes«, sagte sie laut und vernehmlich.

»Müssen wir dich an deinen Eid erinnern?«, mahnte der Bischof.

»Nein. Wegen dieses Eids sage ich die Wahrheit. Mein Name ist Francesca Ribes.«

»Bist du nicht die Tochter von Pere und Francesca Esteve?«, fragte Nicolau.

»Ich habe meine Eltern nie kennengelernt.«

»Warst du die Ehefrau von Bernat Estanyol aus Navarcles?«

Arnau richtete sich auf. Bernat Estanyol?

»Nein. Ich bin nie an diesem Ort gewesen und ich war auch nicht verheiratet.«

»Hattest du keinen Sohn namens Arnau Estanyol?«

»Nein. Ich kenne keinen Arnau Estanyol.«

Arnau sah Francesca an.

Nicolau Eimeric und Berenguer d'Erill flüsterten miteinander. Dann wandte sich der Inquisitor an den Schreiber.

»Hör genau hin«, forderte er Francesca auf.

»Aussage von Jaume de Bellera, Herr von Navarcles«, begann der Schreiber zu lesen.

Arnaus Augen verengten sich, als er den Namen Bellera hörte. Sein Vater hatte ihm von ihm erzählt. Neugierig hörte er die Geschichte seines Lebens an, die sein Vater zum großen Teil mit in den Tod genommen hatte. Wie seine Mutter auf die Burg bestellt worden war, um den neugeborenen Sohn Llorenç de Belleras zu stillen. Eine Hexe? Aus dem Mund des Schreibers hörte er Jaume de Belleras Version über die Flucht seiner Mutter, nachdem dieser noch als Säugling die ersten Anfälle von Fallsucht erlitten hatte.

»Bernat Estanyol«, fuhr der Schreiber fort, »nutzte einen unaufmerksamen Moment der Wachen, um seinen Sohn Arnau zu befreien, nachdem er zuvor einen unschuldigen Jungen ermordet hatte. Die beiden ließen ihr Land im Stich und flohen nach Barcelona. In der gräflichen Stadt angekommen, fanden sie Unterschlupf bei der Familie des Händlers Grau Puig. Der Zeuge hat Beweise dafür, dass aus der Hexe eine öffentliche Frau wurde. Arnau Estanyol ist der Sohn einer Hexe und eines Mörders«, schloss er.

»Was hast du dazu zu sagen?«, fragte Nicolau Francesca.

»Dass Ihr die falsche Hure erwischt habt«, sagte die Alte ungerührt.

»Du, eine Metze, wagst es, die Erkenntnisse der Inquisition in Zweifel zu ziehen?«, brüllte der Bischof, während er mit dem Finger auf sie zeigte.

»Ich stehe nicht als Dirne hier«, entgegnete Francesca, »noch, um als solche zur Verantwortung gezogen zu werden. Der heilige Augustinus schreibt, es sei an Gott, über die Dirnen zu richten.«

Der Bischof lief rot an.

»Wie kannst du es wagen, dich auf den heiligen Augustinus zu berufen?«

Berenguer brüllte weiter, doch Arnau hörte nicht hin. ›Der heilige Augustinus schreibt, es sei an Gott, über die Dirnen zu richten.‹ Der heilige Augustinus … Vor vielen Jahren hatte er diese Worte schon einmal von einer Hure in einem Gasthof in Figueras gehört. Hieß sie nicht Francesca? Der heilige Augustinus … Konnte es sein?

Arnau wandte sich Francesca zu. Er hatte sie zweimal in seinem Leben gesehen, beide Male an entscheidenden Wendepunkten. Alle Mitglieder des Tribunals sahen, wie er die Frau anstarrte.

»Sieh deinen Sohn an!«, donnerte Eimeric. »Bestreitest du, seine Mutter zu sein?«

Arnau und Francesca hörten seine Worte von den Wänden des Saales widerhallen. Er auf Knien, das Gesicht der alten Frau zugewandt, sie den Blick starr geradeaus auf den Inquisitor gerichtet.

»Sieh ihn an!«, brüllte Nicolau erneut.

Ein leichtes Zittern durchlief Francescas Körper angesichts des Hasses, mit dem der Inquisitor anklagend auf Arnau deutete. Nur Arnau konnte sehen, wie die pergamentene Haut, die sich über ihren Hals spannte, leise bebte. Doch Francesca sah den Inquisitor unverwandt an.

»Du wirst gestehen«, versicherte ihr Nicolau, jedes Wort betonend. »Ich versichere dir, dass du gestehen wirst.«

»Via fora!«

Der Ruf störte die Ruhe auf der Plaza Nova. Ein Junge lief vorbei und wiederholte ein ums andere Mal das »Via fora!«, das die Bürger zu den Waffen rief. Aledis und Mar sahen sich an, dann sahen sie zu Joan.

»Die Glocken läuten gar nicht«, stellte dieser schulterzuckend fest.

Santa María besaß noch keine Glocken.

Dennoch verbreitete sich das »Via fora!« in der ganzen Stadt, und die Menschen sammelten sich überrascht auf der Plaza del Blat, wo sie erwarteten, das Banner des Stadtpatrons Sant Jordi neben dem Stein in der Mitte des Platzes vorzufinden. Stattdessen wurden sie von zwei mit Armbrüsten bewaffneten Bastaixos zur Kirche Santa María geführt.

Auf dem Vorplatz der Kirche versammelte sich das Volk vor dem Gnadenbild der Schutzpatronin des Meeres, das die Bastaixos unter einem Baldachin auf ihren Schultern trugen. Vor der Madonna standen die Zunftmeister der Bastaixos mit ihrem Banner und erwarteten die Menge, die durch die Calle de la Mar herbeiströmte. Einer von ihnen hatte den Schlüssel des Marienschreins um den Hals hängen. Die Leute drängten sich immer zahlreicher um das Gnadenbild. Etwas abseits stand Guillem in der Tür zu Arnaus Wechselstube und beobachtete aufmerksam das Geschehen.

»Die Inquisition hat einen Bürger dieser Stadt entführt, den Seekonsul von Barcelona«, erklärten die Zunftmeister.

»Aber die Inquisition …«, wandte eine Stimme ein.

»Die Inquisition gibt nichts auf unsere Stadt«, entgegnete einer der Zunftmeister, »ja, nicht einmal auf den König. Sie ist weder dem Rat der Hundert noch dem Stadtrichter unterstellt. Ihre Mitglieder werden nicht von einer dieser Autoritäten ernannt, sondern vom Papst, einem fernen Papst, der nur das Geld unserer Bürger will. Wie können sie einen Mann der Ketzerei bezichtigen, der sein Leben für die Schutzpatronin des Meeres gegeben hätte?«

»Sie wollen nur das Geld unseres Konsuls«, rief einer der Versammelten.

»Sie lügen, um an unser Geld zu kommen!«

»Sie hassen das katalanische Volk«, erklärte ein zweiter Zunftmeister.

Die Leute erzählten sich weiter, was dort vorne gesprochen wurde. Die Rufe schallten durch die Calle de la Mar.

Guillem sah, wie die Zunftmeister der Bastaixos den Zunftmeistern der übrigen Innungen die Lage erklärten. Wer fürchtete nicht um sein Geld? Andererseits war auch die Inquisition zu fürchten … Es brauchte nur eine absurde Beschuldigung …

»Wir müssen unsere Rechte verteidigen«, sagte einer, nachdem er mit den Bastaixos gesprochen hatte.

Das Volk begann sich zu empören. Schwerter, Dolche und Armbrüste wurden über den Köpfen geschwenkt, während immer lauter der Schlachtruf »Via fora!« erklang.

Das Gebrüll wurde ohrenbetäubend. Guillem sah, wie mehrere Ratsherren eintrafen, und gesellte sich rasch zu der Gruppe, die vor dem Baldachin mit der Madonna diskutierte.

»Und die Soldaten des Königs?«, hörte er einen der Ratsherren fragen.

Der Zunftmeister wiederholte genau die Worte, die Guillem ihm vorgegeben hatte: »Gehen wir zur Plaza del Blat und sehen wir, was der Stadtrichter zu unternehmen gedenkt.«

Guillem ging davon. Für einen kurzen Moment fiel sein Blick auf die kleine steinerne Figur, die auf den Schultern der Bastaixos ruhte. »Steh ihnen bei«, betete er stumm.