Auch wenn der König nichts gegen die Eroberung der Burg Bellaguarda durch Eiximèn d'Esparça und seine Almogavaren gehabt hatte, so versuchte er doch zu verhindern, dass eine weitere Gruppe von Rittern auf dem Weg nach Elne mit Waffengewalt den Turm von Nidoleres einnahm. Aber als der König dort eintraf, hatten die Ritter die Burg bereits überfallen, die Bewohner ermordet und die Festung gebrandschatzt.
Doch niemand wagte es, sich Elne zu nähern oder seine Bewohner zu behelligen. Das gesamte Heer versammelte sich um die Lagerfeuer und sah zu den Lichtern der Stadt hinüber. Elne hatte die Stadttore weit geöffnet.
»Warum …«, begann Arnau, als sie am Feuer saßen.
»Warum man sie die Stolze nennt?«, unterbrach ihn einer der Älteren.
»Ja. Warum hat man solche Achtung vor ihr? Weshalb schließen sie nicht die Tore?«
Der alte Soldat sah zu der Stadt hinüber, bevor er antwortete.
»Die Stolze lastet auf unserem Gewissen … dem Gewissen der Katalanen. Sie wissen, dass wir nicht angreifen werden.« Dann schwieg er. Arnau hatte gelernt, die Art der Soldaten zu respektieren. Er wusste, wenn er ihn bedrängte, würde der Mann ihn verächtlich ansehen und gar nichts mehr sagen. Allen Veteranen gefiel es, in Erinnerungen und Geschichten zu schwelgen, mochten sie nun wahr sein oder falsch, übertrieben oder nicht. Es machte ihnen Freude, die Spannung zu erhöhen. Schließlich erzählte der Soldat weiter: »Im Krieg gegen die Franzosen, als Elne noch uns gehörte, versprach Pedro der Große, die Stadt zu verteidigen, und schickte eine Abteilung katalanischer Ritter. Doch diese ließen die Stadt im Stich. Sie flohen bei Nacht und überließen Elne der Gnade des Feindes.« Der Veteran spuckte ins Feuer. »Die Franzosen entweihten die Kirchen, erschlugen die Kinder, vergewaltigten die Frauen und töteten alle Männer … bis auf einen. Das Blutbad von Elne lastet auf unserem Gewissen. Kein Katalane würde es wagen, sich Elne zu nähern.«
Arnau sah erneut zu den offenen Toren der Stadt. Dann beobachtete er die einzelnen Gruppen im Feldlager. Immer wieder blickte jemand schweigend nach Elne hinüber.
»Wen verschonten sie?«, fragte er, seine Vorsätze brechend.
Der Veteran musterte ihn über das Lagerfeuer hinweg.
»Einen Mann namens Bastard von Roussillon.« Arnau wartete erneut, bis der Mann schließlich weitersprach. »Jahre später führte dieser Soldat die französischen Truppen über den Pass von Maçana nach Katalonien.«
Das Heer lagerte im Schatten der Stadt Elne. Ein Gleiches taten, in einiger Entfernung, die Hunderte von Menschen, die den Truppen folgten. Francesca beobachtete Aledis. War dies der geeignete Ort? Die Geschichte von Elne hatte die Runde durch Zelte und Hütten gemacht und im Lager herrschte ungewöhnliche Ruhe. Auch sie sah immer wieder zu den geöffneten Toren der Stadt hinüber. Ja, sie befanden sich in Feindesland. Kein Katalane würde in Elne und Umgebung freundlich aufgenommen werden. Aledis war weit von zu Hause weg. Fehlte nur noch, dass sie alleine war.
»Dein Arnau ist tot«, sagte sie, nachdem sie Aledis zu sich gerufen hatte.
Das Mädchen brach zusammen. Francesca sah, wie sie in ihrem grünen Kleid in sich zusammensank. Aledis schlug die Hände vors Gesicht und ihr Schluchzen hallte durch die ungewohnte Stille.
»Wie … wie ist es passiert?«, fragte sie nach einer Weile.
»Du hast mich belogen«, lautete Francescas ungerührte Antwort.
Aledis sah sie an, die Augen voller Tränen, schluchzend und zitternd. Dann blickte sie zu Boden.
»Du hast mich belogen«, sagte Francesca noch einmal. Aledis antwortete nicht. »Du willst wissen, wie es passiert ist? Dein Mann hat ihn getötet. Dein richtiger Mann, der Gerbermeister.«
Pau? Unmöglich! Aledis sah auf. Dieser alte Greis konnte unmöglich …
»Er erschien im königlichen Feldlager und beschuldigte diesen Arnau, dich entführt zu haben«, sagte Francesca in die Überlegungen des Mädchens hinein. Sie wollte sehen, wie sie reagierte. Arnau hatte ihr erzählt, dass sie ihren Ehemann fürchtete. »Der Junge bestritt das und dein Mann forderte ihn zum Kampf.«
Aledis wollte widersprechen. Wie konnte Pau jemanden zum Kampf herausfordern?
»Er bezahlte einen Soldaten, damit dieser für ihn kämpfe«, fuhr Francesca fort, nachdem sie ihr bedeutet hatte zu schweigen. »Wenn jemand zu alt ist, um zu kämpfen, kann er einen anderen dafür zahlen, dass dieser an seiner statt antritt. Wusstest du das nicht? Dein Arnau starb, um seine Ehre zu verteidigen.«
Aledis war verzweifelt. Francesca sah, wie sie zitterte. Ihre Beine gaben nach, und das Mädchen sank vor ihr auf die Knie, doch Francesca zeigte kein Mitleid.
»Soweit ich weiß, ist dein Mann immer noch auf der Suche nach dir.«
Aledis schlug erneut die Hände vors Gesicht.
»Du musst uns verlassen. Antonia wird dir deine alten Kleider wiedergeben.«
Das war der Blick, den sie sehen wollte. Angst! Panik!
Tausend Fragen schossen Aledis durch den Kopf. Was sollte sie tun? Wo sollte sie hin? Barcelona war am anderen Ende der Welt, und was war ihr dort geblieben? Arnau war tot! Die Reise von Barcelona nach Figueras fiel ihr wieder ein, und ihr ganzer Körper empfand erneut die Angst, die Demütigung, die Scham … den Schmerz. Und Pau suchte nach ihr!
»Nein«, setzte Aledis an. »Ich kann nicht!«
»Ich will keine Probleme bekommen«, antwortete Francesca ungerührt.
»Gewährt mir Obdach!«, flehte das Mädchen. »Ich weiß nicht, wohin. Ich habe niemanden, zu dem ich gehen könnte.«
Aledis kniete schluchzend vor Francesca und wagte es nicht, sie anzusehen.
»Das geht nicht. Du bist schwanger.«
»Aber das stimmt doch gar nicht!«, brach es aus dem Mädchen hervor.
Aledis umklammerte nun ihre Beine. Francesca rührte sich nicht.
»Was würdest du im Gegenzug dafür tun?«
»Alles, was Ihr wollt!«, rief Aledis. Francesca unterdrückte ein Lächeln. Das war das Versprechen, das sie hören wollte. Wie oft hatte sie es von Mädchen wie Aledis gehört. »Alles, was Ihr wollt«, sagte diese noch einmal. »Gewährt mir Obdach, versteckt mich vor meinem Mann, und ich werde tun, was Ihr verlangt.«
»Nun, du weißt ja, was wir tun«, erklärte die Patronin.
Was tat das noch zur Sache? Arnau war tot. Sie hatte nichts mehr. Ihr war nichts geblieben außer einem Ehemann, der sie steinigen würde, wenn er sie fand.
»Versteckt mich, ich flehe Euch an. Ich werde tun, was Ihr verlangt«, beteuerte Aledis noch einmal.
Francesca wollte nicht, dass sich Aledis unter die Soldaten mischte. Arnau war bekannt im Heer.
»Du wirst heimlich arbeiten«, sagte sie ihr am nächsten Tag, als sie sich zum Aufbruch bereit machten. »Ich möchte nicht, dass dein Mann …« Aledis nickte. »Du darfst dich nicht blicken lassen, bis der Krieg vorüber ist.« Aledis nickte erneut.
Noch in derselben Nacht schickte Francesca eine Nachricht an Arnau: »Alles geklärt. Sie wird dich nicht mehr behelligen.«
Am nächsten Tag beschloss Pedro III. weiter in Richtung Meer zu ziehen statt nach Perpignan, wo sich König Jaime von Mallorca aufhielt. Ziel war Canet, wo der Vicomte der Ortschaft ihm seine Burg zur Verfügung stellen sollte. Der Vicomte hatte dem katalanischen König nach der Eroberung Mallorcas und der Flucht König Jaimes Gefolgschaft geschworen, als dieser ihm nach der Aufgabe der Festung Bellver die Freiheit geschenkt hatte.
Und so geschah es. Der Vicomte von Canet überließ König Pedro die Burg und das Heer konnte sich ausruhen. Es wurde von den Einwohnern, die darauf hofften, dass die Katalanen das Lager bald wieder abschlagen und nach Perpignan weiterziehen würden, großzügig mit Lebensmitteln versorgt. Gleichzeitig besaß der König nun einen Brückenkopf zu seiner Flotte, die er sogleich mit Proviant versorgte.
Nachdem er sich in Canet eingerichtet hatte, empfing Pedro III. einen weiteren Vermittler. Dieses Mal handelte es sich um einen leibhaftigen Kardinal, der zweite, der für Jaime von Mallorca eintrat. Doch auch ihn hörte Pedro nicht an, sondern schickte ihn weg und begann mit seinen Ratgebern zu überlegen, wie Perpignan am besten zu belagern sei. Während der König auf Nachschub von See wartete und diesen in der Burg von Canet lagerte, nutzte das katalanische Heer den sechstägigen Aufenthalt, um die Burgen und Festungen zwischen Canet und Perpignan zu erobern.