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Als die Kinder gegangen waren, trat Sahat zu Arnau und legte die Hand auf seine Stirn, die nach wie vor glühte. »Nicht nur die Kinder verdanken dir ihr Leben, Christ. Warum hast du das getan? Was hat dich dazu bewegt, dein Leben für einen Sklaven und drei jüdische Kinder aufs Spiel zu setzen? Streng dich an! Du musst leben. Ich möchte mit dir sprechen, dir danken. Außerdem ist Hasdai sehr reich und wird dich gewiss belohnen.«

Einige Tage später begann sich Arnaus Zustand zu bessern. Eines Morgens stellte Sahat fest, dass er sich weniger heiß anfühlte.

»Allah hat mich erhört, sein Name sei gepriesen.«

Hasdai lächelte, nachdem er sich selbst vergewissert hatte.

»Er wird durchkommen«, versicherte er seinen Kindern.

»Und mir von seinen Schlachten erzählen?«

»Junge, ich glaube nicht …«

Aber Jucef machte vor, wie Arnau seinen Dolch vor den Angreifern geschwungen hatte. Als er gerade so tat, als wollte er dem am Boden Liegenden die Kehle durchschneiden, packte ihn seine Schwester beim Arm.

»Jucef!«, rief sie.

Als sie sich zu dem Kranken umdrehten, sahen sie, dass er die Augen geöffnet hatte. Jucef errötete.

»Wie geht es dir?«, fragte Hasdai.

Arnau versuchte zu antworten, doch sein Mund war trocken. Sahat reichte ihm ein Glas Wasser.

»Gut«, gelang es ihm zu sagen, nachdem er getrunken hatte. »Und die Kinder?«

Ihr Vater schob Jucef und Raquel ans Kopfende des Bettes. Arnau lächelte schwach.

»Hallo«, sagte er.

»Hallo«, antworteten sie ihm.

»Und Saúl?«

»Es geht ihm auch gut«, antwortete Hasdai. »Aber jetzt musst du ausruhen. Kommt, Kinder.«

»Wenn du wieder gesund bist, erzählst du mir dann von deinen Schlachten?«, fragte Jucef noch, bevor sein Vater und seine Schwester ihn aus dem Zimmer zogen.

Arnau nickte und versuchte zu lächeln.

Im Laufe der darauffolgenden Woche verschwand das Fieber ganz und die Wunde begann zu heilen. Arnau und Sahat unterhielten sich, sooft der Bastaix die Kraft dazu hatte.

»Danke«, war das Erste, was der Sklave sagte.

»Du hast dich schon bedankt, erinnerst du dich?«

»Warum hast du das getan?«

»Die Augen der Kinder … Meine Frau hätte nicht zugelassen, dass …«

»Maria?«, fragte Sahat, sich an Arnaus Fieberdelirien erinnernd.

»Ja«, antwortete Arnau.

»Sollen wir ihr Bescheid geben, dass du hier bist?« Arnau presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Gibt es jemanden, den wir benachrichtigen sollen?« Der Sklave fragte nicht weiter, als er sah, wie sich Arnaus Gesicht verdüsterte.

»Wie ist die Belagerung ausgegangen?«, fragte Arnau Sahat ein andermal.

»Zweihundert Männer und Frauen wurden ermordet und viele Häuser wurden geplündert oder in Brand gesetzt.«

»Was für ein Unglück!«

»Kein sehr großes«, wandte Sahat ein. Arnau sah ihn überrascht an. »Die jüdische Gemeinde von Barcelona hat noch Glück gehabt. Vom Orient bis nach Kastilien hat man die Juden gnadenlos ermordet. Mehr als dreihundert Gemeinden wurden völlig vernichtet. In Deutschland hat Kaiser Karl IV. jedem Straffreiheit zugesichert, der einen Juden tötet oder ein Judenviertel zerstört. Kannst du dir vorstellen, was in Barcelona geschehen wäre, wenn unser König allen, die einen Juden umbringen, Straffreiheit zugesichert hätte, statt die Juden zu schützen?« Arnau schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »In Mainz wurden sechstausend Juden verbrannt, und in Straßburg führte man gleich zweitausend auf einmal auf einen riesigen Scheiterhaufen auf dem jüdischen Friedhof, auch Frauen und Kinder. Zweitausend auf einmal …«

Die Kinder durften nur in Arnaus Zimmer, wenn Hasdai den Kranken besuchte und dafür sorgen konnte, dass sie ihn nicht störten. Eines Tages, als Arnau bereits das Bett verließ und erste Schritte zu machen begann, kam Hasdai alleine. Der große, schlanke Jude mit dem langen, schwarzen, glatten Haar setzte sich ihm gegenüber.

»Du wirst wissen«, sagte er mit ernster Stimme, »dass deine Priester das Zusammenleben von Christen und Juden verboten haben. Ich nehme jedenfalls an, dass du davon weißt«, korrigierte er sich.

»Sei unbesorgt, Hasdai. Sobald ich wieder gehen kann …«

»Nein«, unterbrach ihn der Jude. »Damit wollte ich nicht sagen, dass du mein Haus verlassen sollst. Du hast meine Kinder vor dem sicheren Tod gerettet und dein Leben dabei riskiert. Alles, was ich besitze, gehört dir, und ich werde dir ewig dankbar sein. Du kannst so lange in diesem Haus bleiben, wie du willst. Meine Familie und ich würden uns sehr geehrt fühlen. Ich wollte lediglich raten, größtmögliche Diskretion zu wahren, vor allem, falls du dich entschließen solltest zu bleiben. Von meinen Leuten – und damit meine ich die ganze jüdische Gemeinde – wird niemand erfahren, dass du in meinem Haus lebst. Was das angeht, kannst du ganz beruhigt sein. Es ist deine Entscheidung, und ich betone noch einmal, dass wir uns sehr geehrt und glücklich schätzen würden, wenn du dich zum Bleiben entschließt. Wie lautet also deine Antwort?«

»Wer sollte deinem Sohn sonst von meinen Schlachten erzählen?«

Hasdai lächelte und reichte Arnau die Hand, die dieser ergriff.

»Chateau-Roussillon war eine beeindruckende Festung …« Jucef saß vor Arnau im Garten der Crescas auf dem Boden, die Beine untergeschlagen, und lauschte mit weit aufgerissenen Augen immer wieder den Kriegsgeschichten des Bastaix, gespannt, wenn dieser von der Belagerung erzählte, unruhig während der Schilderung des Kampfes, lächelnd beim Sieg.

»Die Verteidiger schlugen sich tapfer«, erzählte Arnau, »doch König Pedros Soldaten waren ihnen überlegen …«

Als er geendet hatte, drängte ihn Jucef, noch eine andere seiner Geschichten zu erzählen. Arnau erzählte ihm genauso viele wahre Geschichten wie erfundene. »Ich war nur zweimal beim Angriff auf eine Burg dabei«, hätte er ihm beinahe gestanden. »An den übrigen Tagen haben wir geplündert und Scheunen und Ernten vernichtet … Nur die Feigenbäume ließen wir stehen.«

»Magst du Feigen, Jucef?«, fragte er den Jungen einmal bei der Erinnerung an die knorrigen Stämme inmitten der allgemeinen Verwüstung.

»Es reicht, Jucef«, sagte sein Vater, der soeben in den Garten gekommen war, als er sah, wie der Kleine Arnau bekniete, ihm von einer weiteren Schlacht zu erzählen. »Geh jetzt schlafen.«

Jucef gehorchte und verabschiedete sich von seinem Vater und Arnau.

»Warum hast du den Jungen gefragt, ob er Feigen mag?«

»Das ist eine lange Geschichte.«

Wortlos nahm Hasdai ihm gegenüber auf einem Stuhl Platz. Erzähl sie mir, sagte sein Blick.

»Wir haben alles dem Erdboden gleichgemacht«, schloss Arnau, nachdem er ihm die Ereignisse in Kürze erzählt hatte, »alles außer den Feigenbäumen. Seltsam, nicht wahr? Wir verwüsteten die Felder, und inmitten dieser ganzen Zerstörung stand ein einsamer Feigenbaum und schien uns zu fragen, was wir da tun.«

Arnau verlor sich in seinen Erinnerungen, und Hasdai wagte es nicht, ihn zu stören.

»Es war ein sinnloser Krieg«, erklärte der Bastaix schließlich.

»Im darauffolgenden Jahr«, sagte Hasdai, »gewann der König das Roussillon zurück. Jaime von Mallorca beugte vor ihm das Knie und übergab ihm seine Truppen. Vielleicht hat dieser erste Feldzug, an dem du teilgenommen hast, dabei geholfen …«

»… die Bauern, die Kinder und die einfachen Leute dem Hungertod auszuliefern«, unterbrach ihn Arnau. »Vielleicht diente er dazu, Jaimes Heer die Vorräte zu nehmen, aber dafür mussten viele einfache Leute sterben. Wir sind nur ein Spielball in den Händen der Adligen. Sie entscheiden, ohne sich darum zu scheren, wie viel Tod und Elend sie den anderen bringen.«

Hasdai seufzte.

»Was soll ich sagen, Arnau. Wir sind Eigentum des Königs, wir gehören ihm …«

»Ich bin in den Krieg gezogen, um zu kämpfen, und am Ende habe ich die Ernte der einfachen Leute verbrannt.«