Выбрать главу

Die beiden Männer schwiegen.

»Nun!«, rief Arnau schließlich in die Stille hinein. »Jetzt kennst du die Geschichte von den Feigenbäumen.«

Hasdai stand auf und klopfte Arnau auf die Schulter. Dann forderte er ihn auf, ins Haus zu gehen.

»Es ist kühl geworden«, sagte er mit einem Blick zum Himmel.

Wenn Jucef sie alleine ließ, saßen Arnau und Raquel oft in dem kleinen Garten der Crescas und unterhielten sich. Sie sprachen nicht über den Krieg. Arnau erzählte ihr von seinem Leben als Bastaix und von Santa María.

»Wir glauben nicht an Jesus Christus als Messias. Der Messias ist noch nicht gekommen, und das jüdische Volk wartet auf seine Ankunft«, erklärte ihm Raquel einmal.

»Es heißt, ihr hättet ihn getötet.«

»Das ist nicht wahr!«, entgegnete sie empört. »Wir sind es, die immer wieder getötet und vertrieben wurden!«

»Angeblich«, fuhr Arnau fort, »opfert ihr an Ostern ein christliches Kind und verzehrt sein Herz und seine Gliedmaßen, wie es eure Riten vorschreiben.«

Raquel schüttelte den Kopf.

»Das ist Unsinn! Du hast gesehen, dass wir kein Fleisch essen dürfen, das nicht koscher ist, und dass uns unsere Religion den Verzehr von Blut verbietet. Was sollen wir mit dem Herz eines Kindes, mit seinen Armen oder Beinen? Du kennst meinen Vater und den Vater von Saúl. Hältst du sie für fähig, ein Kind zu essen?«

Arnau sah Hasdais Gesicht vor sich und hörte seine weisen Worte. Er dachte an seine umsichtige Art und an die Zärtlichkeit, die aus seinem Gesicht strahlte, wenn er seine Kinder betrachtete. Wie sollte dieser Mann das Herz eines Kindes verzehren?

»Und die Sache mit der Hostie?«, fragte er. »Es heißt auch, dass ihr Hostien stehlt, um sie zu schänden und so Jesu Leiden zu erneuern.«

Raquel wehrte mit den Händen ab.

»Wir Juden glauben nicht an die Trans…« Sie machte ein ärgerliches Gesicht. Immer verhaspelte sie sich bei diesem Wort, wenn sie mit ihrem Vater sprach! »An die Transsubstantiation.« Nun ging ihr das Wort flüssig über die Lippen.

»An die was?«

»An die Transsubstantiation. Für euch befindet sich euer Jesus in der Hostie, die somit tatsächlich der Leib Christi ist. Wir glauben das nicht. Für uns Juden ist eure Hostie nur ein Stück Brot. Es wäre ziemlich absurd, wenn wir ein Stückchen Brot schändeten.«

»Also stimmt nichts von dem, was man euch vorwirft?«

»Nichts.«

Arnau wollte Raquel glauben. Das Mädchen sah ihn aus großen Augen an, als wollte es ihn bitten, sich von den Vorurteilen freizumachen, mit denen die Christen ihre Gemeinschaft und ihren Glauben diffamierten.

»Aber ihr seid Wucherer. Das könnt ihr nicht leugnen.«

Raquel wollte gerade antworten, als die Stimme ihres Vaters zu vernehmen war.

»Nein. Wir sind keine Wucherer.« Hasdai Crescas kam zu ihnen und setzte sich neben seine Tochter. »Zumindest nicht so, wie man gemeinhin behauptet.« Arnau schwieg und wartete auf eine Erklärung. »Bis vor etwa hundert Jahren, man schrieb das Jahr 1230, verliehen auch die Christen Geld gegen Zinsen. Juden wie Christen taten das, bis ein Erlass eures Papstes Gregor IX. den Christen den Geldhandel verbot. Seither widmen sich nur noch die Juden und einige andere, wie etwa die Lombarden, diesem Geschäft. Zwölfhundert Jahre lang habt ihr Christen Zinsen verlangt. Erst seit hundert Jahren tut ihr es nicht mehr – offiziell.« Hasdai betonte das letzte Wort. »Und nun sollen wir Wucherer sein.«

»Offiziell?«

»Ja, offiziell. Es gibt viele Christen, die sich unserer bedienen, um auch weiterhin Zinsgeschäfte zu machen. Ich will dir auch erklären, warum wir das tun. Zu allen Zeiten und an allen Orten sind wir Juden stets unmittelbar vom König abhängig gewesen. Im Laufe der Zeit wurde unsere Gemeinschaft aus vielen Ländern vertrieben: zunächst aus unserem eigenen Land, dann aus Ägypten, später, 1183, aus Frankreich, und einige Jahre darauf, 1290, aus England. Die jüdischen Gemeinden mussten von einem Land ins andere fliehen, all ihren Besitz zurücklassen und den König des Landes, in das sie zogen, um die Erlaubnis bitten, sich niederlassen zu dürfen. Im Gegenzug bereichern sich die Könige – auch der eure – an der jüdischen Gemeinde und verlangen von uns hohe Zuwendungen für ihre Kriege und ihre Schatullen. Wenn wir keinen Zins auf unser Geld nähmen, könnten wir die unmäßigen Forderungen eurer Könige nicht erfüllen, und man würde uns erneut vertreiben.«

»Aber ihr verleiht nicht nur Geld an die Könige«, warf Arnau ein.

»Nein, natürlich nicht. Und weißt du, warum?« Arnau schüttelte den Kopf. »Weil die Könige ihre Darlehen nicht zurückzahlen. Ganz im Gegenteil, sie fordern immer weitere Kredite für ihre Kriege und ihre persönlichen Ausgaben. Irgendwoher muss das Geld kommen, das wir ihnen leihen – oder vielmehr unentgeltlich zur Verfügung stellen.«

»Könnt ihr euch nicht weigern?«

»Sie würden uns vertreiben … Oder, was noch schlimmer wäre, uns nicht mehr gegen die Christen verteidigen wie vor einigen Tagen. Wir würden alle sterben.« Diesmal nickte Arnau schweigend, während Raquel mit zufriedenen Blicken verfolgte, wie es ihrem Vater gelang, den Bastaix zu überzeugen. Arnau hatte selbst gesehen, wie die aufgebrachten Bürger Barcelonas nach dem Blut der Juden geschrien hatten. »Wir verleihen außerdem nur Geld an Christen, die Händler sind oder mit dem An- und Verkauf von Waren zu tun haben. Vor beinahe hundert Jahren hat König Jaime I. der Eroberer ein Gesetz erlassen, das jedes zwischen einem jüdischen Geldwechsler und einem Nichthändler getätigte Warengeschäft als nichtig und von den Juden gefälscht betrachtet, sodass man niemanden belangen kann, der kein Händler ist. Wir können mit jemandem, der nicht im Handel tätig ist, keine Warengeschäfte machen, da wir nie unser Geld zurückbekämen.«

»Und wo ist der Unterschied?«

»Da ist ein großer Unterschied, Arnau. Ihr Christen seid stolz darauf, die Vorschriften eurer Kirche zu erfüllen und keine Zinsen zu nehmen, und tatsächlich haltet ihr euch daran, zumindest auf den ersten Blick. Aber im Grunde tut ihr das Gleiche, nur nennt ihr es anders. Bis die Kirche die Zinsnahme unter Christen verbot, funktionierten die Geschäfte so wie heute zwischen Juden und Händlern: Es gab Christen mit viel Geld, die anderen Christen, Händlern, Geld liehen, und diese zahlten ihnen das Kapital mit Zinsen zurück.«

»Und was geschah, als man die Zinsnahme verbot?«

»Nun, ganz einfach. Wie immer habt ihr Christen die Vorgaben der Kirche umgangen. Es war einleuchtend, dass kein Christ einem anderen sein Geld leihen würde, ohne einen Nutzen davon zu haben. Da behielt er es lieber für sich und ging kein Risiko ein. Also habt ihr Christen ein Geschäft erfunden, das sich Warengeschäft nennt. Hast du schon einmal davon gehört?«

»Ja«, bestätigte Arnau. »Im Hafen ist viel von Warengeschäften die Rede, wenn ein Handelsschiff einläuft, aber ehrlich gesagt habe ich es nie verstanden.«

»Nun, es ist ganz einfach. Ein Warengeschäft ist nichts anderes als ein verstecktes Darlehen gegen Zinsen. Ein Geschäftsmann, ein Geldwechsler in der Regel, gibt einem Händler Geld, damit dieser Waren kauft oder verkauft. Wenn der Händler das Geschäft abgeschlossen hat, muss er dem Geldwechsler die gleiche Summe zurückgeben, die er erhalten hat, sowie einen Teil des erzielten Gewinns. Es ist nichts anderes als ein verzinster Kredit, nur unter anderem Namen. Der Christ, der das Geld zur Verfügung stellt, vermehrt sein Geld, und das ist es, was die Kirche verbietet: die Vermehrung von Geld, ohne dafür zu arbeiten. Die Christen machen nichts anderes als vor hundert Jahren, bevor die Zinsen verboten wurden, nur nennen sie es heute anders. Wenn wir Geld für ein Geschäft geben, sind wir Wucherer. Nicht so jedoch der Christ, der das Gleiche mittels eines Warengeschäfts tut.«

»Gibt es keinen Unterschied?«

»Nur einen: Bei einem Warengeschäft trägt der Geldgeber das Risiko des Geschäfts mit. Wenn also der Händler nicht zurückkommt oder die Ware verliert, etwa weil er auf der Überfahrt von Piraten überfallen wird, ist das Geld verloren. Bei einem Darlehen würde das nicht passieren, denn bei diesem wäre der Händler weiterhin verpflichtet, das Geld samt Zinsen zurückzuzahlen. In der Praxis allerdings ist es dasselbe, denn ein Händler, der seine Ware verloren hat, zahlt seine Schulden nicht. Letztendlich müssen wir Juden uns an die gängigen Handelspraktiken anpassen: Die Händler wollen Warengeschäfte, bei denen sie nicht das Risiko tragen, und wir müssen darauf eingehen, denn andernfalls hätten wir keine Einkünfte, um die Forderungen eurer Könige zu erfüllen. Hast du es nun verstanden?«