Als die vier Händler gegangen waren und niemand im Handelshof auf ihn achtete, küsste Guillem die Wechsel, einmal, zweimal, tausendmal.
Dann machte er sich auf den Rückweg zur Wechselstube, doch auf Höhe der Plaza del Blat überlegte er es sich anders und ging zum Judenviertel. Nachdem er Hasdai Bescheid gegeben hatte, kehrte er übers ganze Gesicht strahlend nach Santa María zurück.
Als er die Wechselstube betrat, traf er Arnau mit Sebastià sowie einem Priester an.
»Guillem«, begrüßte ihn Arnau, »ich möchte dir Pater Juli Andreu vorstellen. Er ist der Nachfolger von Pater Albert.«
Guillem machte eine ungeschickte Verbeugung vor dem Priester. Noch mehr Darlehen, dachte er.
»Es ist nicht, was du denkst«, sagte Arnau.
Guillem betastete die Wechsel, die er dabeihatte, und lächelte. Was tat es zur Sache? Arnau war reich. Er lächelte erneut und Arnau verstand sein Lächeln falsch.
»Es ist schlimmer, als du denkst«, erklärte er ernst. Was konnte schlimmer sein als ein Darlehen an die Kirche?, war der Maure zu fragen versucht. Dann begrüßte er den Zunftmeister der Bastaixos.
»Wir haben ein Problem«, erklärte Arnau.
Die drei Männer sahen den Mauren an. »Nur wenn Guillem einverstanden ist«, hatte Arnau gesagt. Die Einwände des Priesters, dass es sich nur um einen Sklaven handele, hatte er überhört.
»Habe ich dir schon einmal von Ramon erzählt?« Guillem verneinte. »Ramon war ein wichtiger Mensch in meinem Leben. Er hat mir geholfen … sehr geholfen.« Guillem stand immer noch, wie es sich für einen Sklaven geziemte. »Er und seine Frau sind an der Pest gestorben und die Zunft kann sich nicht länger um seine Tochter kümmern. Wir haben gerade darüber gesprochen, und ich wurde gebeten …«
»Weshalb fragst du mich, Herr?«
Pater Juli Andreu wandte sich erwartungsvoll zu Arnau um.
»Das Almosenhaus und die Armenküche kommen mit der Arbeit nicht mehr nach«, fuhr Arnau fort. »Sie können nicht einmal mehr täglich Brot, Wein und Suppe an die Bedürftigen ausgeben wie früher. Die Pest hat schlimme Spuren hinterlassen.«
»Was willst du tun, Herr?«
»Man hat mir angetragen, das Mädchen an Kindes statt anzunehmen.«
Guillem betastete erneut die Wechsel. »Du könntest zwanzig Waisen aufnehmen«, dachte er.
»Wenn es dein Wunsch ist«, antwortete er lediglich.
»Ich habe keine Ahnung von Kindern«, gestand Arnau.
»Sie brauchen nichts weiter als ein wenig Zuwendung und ein Zuhause«, wandte Sebastià ein. »Ein Zuhause hast du … und wie mir scheint auch genug Liebe.«
»Wirst du mir helfen?«, fragte Arnau Guillem, ohne Sebastià zuzuhören.
»Ich werde dir in allem gehorchen, was du wünschst.«
»Ich will keinen Gehorsam. Ich will … Ich bitte dich um Hilfe.«
»Deine Worte ehren mich. Du wirst sie bekommen, von Herzen«, versprach Guillem. »Alle Hilfe, die du brauchst.«
Das Mädchen war sechs Jahre alt. Es hieß Mar, nach der Schutzpatronin des Meeres. Nachdem drei Monate vergangen waren, begann sie allmählich den Schicksalsschlag zu überwinden, den die Pest und der Tod der Eltern ihr zugefügt hatten. Von nun an erfüllten ihr Lachen und ihre Schritte das Haus und übertönten das Klingen der Münzen auf dem Wechseltisch und das Kratzen der Feder in den Büchern. Hinter dem Tisch sitzend, schimpften Arnau und Guillem mit ihr, wenn es ihr gelang, der Sklavin zu entwischen, die Guillem gekauft hatte, damit sie sich um das Mädchen kümmerte. Doch wenn die Kleine dann in die Wechselstube lugte, konnten die beiden Männer nicht anders, als sich lächelnd anzusehen.
Arnau war nicht begeistert gewesen, als Guillem Donaha ins Haus brachte.
»Ich will keine weiteren Sklaven!«, wischte er aufgebracht Guillems Argumente beiseite.
Doch da brach das dünne, schmutzige Mädchen in den zerrissenen Kleidern in Tränen aus.
»Wo könnte es ihr besser gehen als hier?«, wollte Guillem daraufhin von Arnau wissen. »Wenn es dir so missfällt, dann versprich ihr die Freiheit, aber dann wird sie sich an einen anderen verkaufen. Sie muss essen … Und wir brauchen eine Frau, die sich um das Kind kümmert.« Das Mädchen fiel vor Arnau auf die Knie. Der versuchte sie abzuschütteln. »Weißt du, was sie durchgemacht haben muss?« Guillems Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Wenn ich sie zurückbringe …«
Widerwillig gab Arnau nach.
Auch für das Geld aus dem Verkauf der Sklaven fand Guillem eine Lösung. Nachdem er Hasdai als Handelspartner der Verkäufer in Barcelona ausbezahlt hatte, übergab er den beträchtlichen Gewinn einem Juden von Hasdais Vertrauen, der auf der Durchreise in Barcelona weilte.
Abraham Levi erschien eines Morgens in der Wechselstube. Er war ein großer, schlanker Mann mit lichtem weißen Bart. An seinem schwarzen Rock prangte das gelbe Zeichen. Abraham Levi begrüßte Guillem und dieser stellte ihn Arnau vor. Nachdem der Jude ihnen gegenüber Platz genommen hatte, übergab er Arnau einen Wechsel über den gemachten Gewinn.
»Ich möchte dieses Geld bei Euch hinterlegen, Meister Arnau«, sagte er.
Arnau riss erstaunt die Augen auf, als er die Summe sah. Dann reichte er Guillem das Dokument und bat ihn nervös, es zu lesen.
»Aber … das ist viel Geld«, sagte er, während Guillem versuchte, überrascht zu wirken. »Weshalb wollt Ihr es bei mir anlegen und nicht bei einem von Euren …?«
»… Glaubensbrüdern?«, half ihm der Jude. »Ich habe stets Vertrauen in Sahat gehabt«, sagte er mit einem Blick auf den Mauren. »Ich glaube nicht, dass sein Namenswechsel etwas an seinen Fähigkeiten geändert hat. Ich gehe auf eine Reise, eine sehr lange Reise, und ich möchte, dass Ihr und Sahat mit meinem Geld arbeitet.«
»Solche Summen wachsen bereits um ein Viertel, wenn sie einfach nur auf der Bank liegen, nicht wahr, Guillem?« Der Maure nickte. »Wie sollen wir Euch Eure Erträge auszahlen, wenn Ihr zu dieser langen Reise aufbrecht? Wie können wir uns mit Euch in Kontakt setzen?«
Was sollten diese ganzen Fragen?, dachte Guillem. Er hatte Abraham keine ausführlichen Anweisungen gegeben, doch der Jude ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Investiert sie«, antwortete er, »und sorgt Euch nicht um mich. Ich habe weder Kinder noch Familie, und dort, wo ich hingehe, brauche ich kein Geld. Eines fernen Tages werde ich es vielleicht abholen oder jemanden schicken, der es abholt. Bis dahin braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen. Ich werde mich mit Euch in Kontakt setzen. Oder ist Euch das unangenehm?«
»Warum sollte es?«, sagte Arnau. Guillem atmete auf. »Wenn Ihr es so wünscht, soll es so sein.«
Sie besiegelten das Geschäft und Abraham Levi erhob sich.
»Ich muss mich noch von einigen Freunden im Judenviertel verabschieden«, sagte er, nachdem er ihnen Lebewohl gesagt hatte.
»Ich werde Euch begleiten«, sagte Guillem mit einem fragenden Blick zu Arnau. Der nickte zustimmend.
Von dort gingen die beiden zu einem Schreiber, der ein Dokument aufsetzte, das die Einzahlung bestätigte, die Abraham Levi soeben in Arnau Estanyols Wechselstube getätigt hatte. Zugleich verzichtete dieser auf jedweden Gewinn, der aus dieser Anlage erwachsen mochte. Das Dokument unter seinen Kleidern versteckt, kehrte Guillem zur Wechselstube zurück. Es war nur eine Frage der Zeit, dachte er, während er durch Barcelona ging. Formal gehörte das Geld dem Juden – so stand es in Arnaus Büchern –, doch niemand würde Anspruch darauf erheben können, denn der Jude hatte Arnau als Begünstigten eingesetzt. Unterdessen würden die Arnau zustehenden drei Viertel des Gewinns, den dieses Kapital einbrachte, mehr als ausreichen, um sein Vermögen zu vermehren.