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Miss Rich, die Englisch und Erdkunde lehrte, ging mit schnellen Schritten auf das Haus zu. Hin und wieder stolperte sie, denn wie gewöhnlich achtete sie nicht auf den Weg. Sie hatte ein hässliches, aber intelligentes Gesicht und trug einen unordentlichen Haarknoten.

»Wieder hier zu sein… hier… es ist, als wären Jahre vergangen…« Und mit diesen Worten fiel sie über einen Rechen; der Gärtner streckte seinen Arm aus und sagte: »Vorsicht, Miss!«

»Vielen Dank«, flüsterte Miss Eileen Rich, ohne aufzublicken.

Miss Rowan und Miss Blake, die beiden jungen Hilfslehrerinnen, gingen langsam auf die Turnhalle zu. Miss Rowan war schlank, dunkel und empfindsam, Miss Blake blond und mollig. Sie unterhielten sich angeregt über ihre Ferienabenteuer in Florenz – über die Bilder, die Skulpturen, die herrliche Landschaft sowie über die Aufmerksamkeiten von zwei jungen Italienern.

»Na, man kennt ja die Italiener«, meinte Miss Blake abfällig.

»Überhaupt nicht verklemmt«, erklärte Miss Rowan, die nicht nur Volkswirtschaft, sondern auch Psychologie studiert hatte. »Sie folgen ihren gesunden Instinkten, sie haben keine Komplexe.«

»Giuseppe war sehr beeindruckt, als er hörte, dass ich Lehrerin in Meadowbank bin«, sagte Miss Blake. »Er benahm sich daraufhin höchst respektvoll. Seine Kusine würde gern herkommen, aber Miss Bulstrode scheint im Augenblick nicht daran interessiert zu sein.«

»Meadowbank genießt allgemein großes Ansehen«, stellte Miss Rowan zufrieden fest. »Die neue Turnhalle macht wirklich einen guten Eindruck; ich hätte nicht geglaubt, dass sie rechtzeitig fertig sein würde.«

»Miss Bulstrode hat darauf bestanden«, erwiderte Miss Blake.

Gleich darauf stieß sie ein erstauntes »Oh!« aus.

Die Tür der Turnhalle wurde mit einem Ruck aufgestoßen, und eine knochige, rothaarige junge Person kam heraus. Sie warf ihnen einen unfreundlichen Blick zu und ging schnell fort.

»Das muss die neue Turnlehrerin sein«, sagte Miss Blake kopfschüttelnd. »Wie ungeschliffen.«

»Scheint keine sehr sympathische neue Kollegin zu sein«, meinte Miss Rowan. »Schade, Miss Jones war so freundlich und umgänglich.«

»Warum hat sie uns eigentlich so wütend angesehen?«, fragte Miss Blake gekränkt…

Die Fenster von Miss Bulstrodes Wohnzimmer gingen in zwei verschiedene Richtungen; von dem einen überblickte man die kiesbestreute Einfahrt und die dahinterliegende Rasenfläche, von dem anderen sah man auf eine Rhododendronhecke an der Rückseite des Hauses. Das Zimmer war eindrucksvoll, aber Miss Bulstrode selbst war noch eindrucksvoller. Sie war groß und wirkte sehr vornehm; ihre grauen humorvollen Augen passten zu dem sorgfältig frisierten Haar und dem festen Mund. Der Erfolg der Schule beruhte ausschließlich auf der Persönlichkeit ihrer Leiterin. Das Internat war eine der teuersten Schulen in England, aber es lohnte sich, das hohe Schulgeld zu bezahlen. Die Eltern wussten, dass ihre Töchter in ihrem Sinn, und auch im Sinn von Miss Bulstrode, erzogen wurden – das Ergebnis war im Allgemeinen mehr als zufrieden stellend. Miss Bulstrode konnte es sich leisten, genügend Personal anzustellen, und die Lehrerinnen fanden Zeit, sich mit den individuellen Problemen und Begabungen ihrer Schülerinnen zu beschäftigen und gleichzeitig eine straffe Disziplin aufrechtzuerhalten. Disziplin ohne Zwang und Drill – das war Miss Bulstrodes Motto. Sie war der Ansicht, dass die Einhaltung gewisser Regeln jungen Menschen ein Gefühl der Sicherheit gab, während die übertriebene Disziplin des Kasernenhofs nur schaden konnte. Sie hatte die verschiedenartigsten Schülerinnen. Es gab unter ihnen viele Ausländerinnen, oft sogar ausländische Prinzessinnen. Die jungen Engländerinnen waren größtenteils reiche Mädchen aus guter Familie, die nicht nur in Kunst und Wissenschaften, sondern auch im Umgang mit ihren Mitmenschen ausgebildet wurden. Nach Verlassen der Schule mussten sie in der Lage sein, sich an jeder Unterhaltung mit der notwendigen Sachkenntnis zu beteiligen. Einige der jungen Mädchen legten Wert darauf, hart zu arbeiten, um sich auf die Examen vorzubereiten, die für ein Universitätsstudium erforderlich waren, während andere in den gewöhnlichen Mädchenschulen nicht recht vorangekommen waren. Aber Miss Bulstrode hatte gewisse Prinzipien; sie nahm keine geistig zurückgebliebenen oder schwer erziehbaren Mädchen auf, und sie zog es vor, Schülerinnen zu haben, deren Eltern sie mochte. Wie jede Lehrerin legte sie natürlich Wert darauf, möglichst viel versprechende und intelligente Kinder zu erziehen. In Meadowbank gab es Schülerinnen jeden Alters, fast erwachsene junge Damen, die nur noch den letzten Schliff erhalten sollten, und eine Reihe von kleinen Mädchen, deren Eltern oft im Ausland lebten. Für diese Kinder besorgte Miss Bulstrode auf Wunsch auch einen geeigneten Ferienaufenthalt.

Über alle wichtigen Fragen hatte allein Miss Bulstrode zu entscheiden. Jetzt stand sie beim Kaminsims, während Mrs Gerald Hope mit weinerlicher Stimme über ihre Tochter sprach. Miss Bulstrode hatte ihre Besucherin, in weiser Voraussicht, nicht aufgefordert, sich zu setzen.

»Henrietta ist ein sensibles Kind – hypersensibel, wie unser Hausarzt feststellte, und…«

Miss Bulstrode nickte zustimmend, obwohl sie am liebsten geantwortet hätte: Wissen Sie wirklich nicht, dass jede Mutter ihr Kind für besonders empfindsam hält? Statt dessen sagte sie:

»Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs Hope. Eine unserer Damen, Miss Rowan, ist voll ausgebildete Psychologin. Sie werden erstaunt sein, wie gut Henrietta sich unter ihrem Einfluss in kurzer Zeit entwickeln wird.«

»Davon bin ich überzeugt, Miss Bulstrode. Ich weiß, wie sehr sich die kleine Lambeth hier verändert hat – ganz erstaunlich. Nein, ich mache mir ja eigentlich keine Sorgen um Henrietta… übrigens möchten wir sie in sechs Wochen mit nach Südfrankreich nehmen…«

»Tut mir leid, das ist unmöglich«, erklärte Miss Bulstrode höflich, aber entschieden.

»Aber, ich bitte Sie…« Ein ärgerliches Rot breitete sich über Mrs Hopes törichtes Gesicht. »Darauf muss ich leider bestehen, schließlich handelt es sich um mein Kind.«

»Und um meine Schule«, entgegnete Miss Bulstrode.

»Ich habe das Recht, meine Tochter jederzeit aus der Schule zu nehmen. Wollen Sie das vielleicht bestreiten?«

»Durchaus nicht, aber in diesem Fall würde ich mich weigern, sie später wieder aufzunehmen.«

Mrs Hopes Ärger drohte in einen Wutanfall auszuarten.

»Das geht mir denn doch zu weit! Ich bezahle ein enorm hohes Schulgeld, und dafür…«

»Sie bezahlen das bei uns übliche Schulgeld, weil Sie Wert darauf legen, Ihre Tochter zu uns zu schicken, nicht wahr?«, unterbrach Miss Bulstrode sie. »Aber Sie müssen uns so nehmen, wie wir sind; Sie können uns ebenso wenig ändern wie das bezaubernde Balenciaga-Modell, das Sie tragen. Es ist doch Balenciaga? Man findet nur wenige Frauen mit einem so sicheren Geschmack wie Sie, liebe Mrs Hope.«

Miss Bulstrode reichte ihr huldvoll die Hand und geleitete sie zur Tür.

»Machen Sie sich bitte keine Sorgen um Henrietta – oh, hier ist sie ja!« Miss Bulstrode betrachtete Henrietta wohlwollend; sie war ein nettes, intelligentes, ausgeglichenes Mädchen, das eine bessere Mutter verdient hätte. »Bitte bringen Sie Henrietta Hope zu Miss Johnson, Margaret.«

Miss Bulstrode zog sich in ihr Wohnzimmer zurück und empfing kurz darauf weitere Besucher, mit denen sie Französisch sprach.

»Selbstverständlich kann Ihre Nichte Tanzstunden nehmen, Exzellenz. Moderne Gesellschaftstänze und Sprachen gehören unbedingt zu einer umfassenden gesellschaftlichen Erziehung.«

Die Wolke teuren Parfüms, die ihren nächsten Besuchern voranschwebte, nahm Miss Bulstrode fast den Atem.