»Hast du dir jemals auch nur einen Moment etwas daraus gemacht, dass deine Vorfahren 1620 hierher gekommen sind? Nein, 1640. Gutes Gedächtnis.« Er tippte sich an die Stirn.
»Nein. Ich bin stolz auf sie, aber deswegen bin ich nicht besser als alle anderen. Und der Sklavenhandel hat Ende des siebzehnten Jahrhunderts stark zugenommen, insofern sind für mich die afroamerikanischen Familien ebenfalls F.F.V.«
»Wenn es etwas gibt, das ich an Virginia richtig hasse, dann ist es die übertriebene Ahnenverehrung.« Er schnippte den anderen Steigbügel über den Sitz. »Andererseits schenkt es uns Beständigkeit, nehme ich an. Wie auch immer, wenn Lottie einen von uns heiratet, ist sie trotzdem nicht F.F.V.«
»Nein, aber ihre Kinder.«
»Na großartig. Eine neue Generation von Snobs.« Fair lachte wieder. »Mein liebster blamabler Moment der Virginier war, als die Nachfahren von Thomas Jefferson sich bei einem Familientreffen darüber stritten, ob sie Sally Hemings Nachkommen teilnehmen lassen sollten, nachdem die DNA-Proben ergeben hatten, dass sie Jeffersons Blut in sich trugen. Ich meine, wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, und da streiten sich Leute wegen so was.«
»Du bist heute Morgen so redselig.« Sie schüttelte den Kopf.
»Tatsächlich«, er atmete aus, »bin ich froh, Diego nicht hier zu finden.«
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Oh, ob ich gleich bei der ersten Verabredung mit ihm ins Bett gehen würde? Meintest du das?«
»Äh - ja.«
»Fair, mein Körper gehört mir.«
»Ich liebe deinen Körper.«
»Ach Fair ...« Sie hob die Hände.
»Deinen Geist liebe ich auch.«
»»Jetzt wird's spannend.« Mrs. Murphy beugte sich weit über die Heubodenkante.
Sogar Pewter wachte auf. Tucker saß da mit heraushängender Zunge und lauschte auf jede Silbe.
»Du kannst richtig schmeichlerisch sein, wenn du willst. Hör zu, ich tu was ich will, wann ich will und mit wem ich will. Setz mir keine Grenzen.«
»Hab ich nicht getan.«
»Ja, und du hast auch nie Rivalen gehabt.«
»Oh, und jetzt hab ich einen?«
»Schon möglich.«
»Ich kann's nicht ausstehen, wenn du kokett bist.«
»Und ich kann's nicht ausstehen, wenn du mich zu gängeln versuchst.«
»Ich gängel dich nicht.« Er beugte sich über den Sattel.
»Ich bin ehrlich.«
»Dann will ich auch ehrlich sein. Ich mag Diego und ich werde ihn höchstwahrscheinlich Wiedersehen. Davon abgesehen weiß ich gar nichts.«
»Geh nicht mit ihm ins Bett.« Fairs Ton wurde bestimmter.
»Ich tu was ich will, verdammt noch mal.« »Die lateinamerikanischen Männer sind ihrer Mutter treu und sonst keiner. Du weißt nicht, mit wem er alles geschlafen hat. Du kannst nicht vorsichtig genug sein.«
»Das ist ausgesprochen rassistisch.« Ihre Stimme war voller Bitterkeit.
»Ist doch wahr. Sie werden von ihren Müttern beherrscht!«
»Fair, red keinen Stuss.« Harry lachte. Er war unabsichtlich komisch.
»Ich versuche nur dich zu beschützen.«
»Nein, tust du nicht. Du willst nicht, dass ich mit einem anderem ins Bett gehe als mit dir.«
»Zugegeben.«
»Krieg dich wieder ein.«
»Harry, mach langsam. Überleg doch mal. Was für eine Zukunft könnte ein Mann aus einem Land voller Ex-Nazis dir bieten?«
»Fair, um Himmels willen!«
»Stimmt doch.«
»Das trifft auch auf Argentinien und Paraguay zu und übrigens auch auf die Vereinigten Staaten. Hat unsere Regierung nach dem Krieg nicht jedem Deutschen Unterschlupf gewährt, der über Wissen verfügte, das wir brauchten oder wollten? Und außerdem ist das über fünfzig Jahre her. Ich nehme an, dass die meisten von diesen Knilchen tot sind. Und du bist also jetzt UruguayExperte?«
»Man kann's einem Mann nicht verdenken, wenn er sich bemüht.«
»Ja, ja. Um das Thema zu wechseln, gehst du heute Abend auf die Waschbärjagd?«
»Hatte ich vor.«
Die beste Zeit für die Waschbärjagd ist der Herbst, aber manchmal trainiert ein Jäger seine jungen Jagdhunde schon früher an derselben Leine mit einem älteren Hund. Im Sommer war es zu heiß, deshalb war der Frühling oft eine gute Zeit, um junge Jagdhunde arbeiten zu lassen. Die tragenden Waschbärweibchen werfen gewöhnlich zwischen April und Mai ein bis acht Junge. Sie würden nur Männchen jagen.
Harry füllte den ausgespülten Eimer mit sauberen Schwämmen und stellte ihn unter den Ausguss. »Wann wird Rogers Beerdigung sein?«
»Mittwoch oder Donnerstag. Es sei denn, Sean meint, er muss bis zum Wochenende warten wegen Leuten von außerhalb. Bezweifle ich aber. Herb dürfte es wissen. Bringt einem den Tod ein bisschen näher, nicht?«
»Nee.« Sie schüttelte den Kopf. »Man kann nicht darüber nachdenken. Das tut nicht gut. Man kann mit vier Jahren sterben oder mit hundert. Aber man kann nicht darüber nachdenken.«
»Du hörst dich an wie dein Dad.«
»Ist aber wahr.«
»Mag ja sein, aber Rogers Tod lässt mich darüber nachdenken. Eben sitzt er noch auf dem Stuhl, und im nächsten Moment liegt er auf dem Boden und Mim zerrt an seinem Arm und Lottie kreischt.«
»Das war vielleicht ein Wochenende. Lottie kippt vom Festwagen. Nein, warte, es fing damit an, dass Mirandas Radkappen gestohlen wurden und bei O'Bannon landeten. Dann segelt Lottie vom Festwagen. Bei dem Reifrock wundert's mich, dass sie nicht gleich wieder hochgesegelt ist, sonst hätte sie ein lebendiges Taco-Bell-Logo abgeben können. Dann segnet Roger das Zeitliche. Der Heini, der Mirandas Radkappen geklaut hat, tritt auf Mims Party als Wagenparker auf. Tracy stellt ihn. Dann rast ein Höllensturm durch Albemarle County. Und du fürchtest, dass ich mit einem anderen schlafe statt mit dir? Gibt's da nicht einen chinesischen Fluch, >Mögest du in interessanten Zeiten leben<?«
17
Diego und Thomas verbrachten den Tag auf Windy Ridge, einem Landgut, das dem pensionierten Gesandten am englischen Königshof gehörte. Da Harry den Gästen nicht als Fremdenführerin zur Verfügung stehen musste, arbeitete sie und unterdrückte ihre Aufregung wegen der abendlichen Waschbärjagd. Sie liebte die Jagd. Das Aufsammeln des Schutts rund um ihr Haus nahm zwei Stunden in Anspruch.
Dann inspizierte sie ihre Zäune, um sich zu vergewissern, dass sie nicht ramponiert waren. Blair Bainbridges Rinder zottelten nur zu gern hinüber auf Harrys saftige Weiden. Zwar machte es ihr nichts aus, sie zurückzubefördern, aber sie hatte nicht immer die Zeit, sie über den Bach zu treiben, den Zaun zu reparieren, nachzusehen, ob etwas beschädigt war. Zudem konnten ihre drei Pferde, Poptart, Tomahawk und Gin Fizz die Kühe nicht leiden. Sie legten die Ohren an, fletschten die Zähne, stießen grobe Beschimpfungen aus und befanden auch die Tatsache, dass Rinder vier Mägen haben, einer Schmähung wert.
Mrs. Murphy und Tucker begleiteten Harry auf ihrem Rundgang. Pewter erklärte, das Unwetter habe ihre Nerven strapaziert; sie müsse sich im Haus ausruhen. Der unverschämte Blauhäher umflatterte die Küchenfensterbank. Als er die schlafende Pewter auf dem Küchentisch sah, gab er einen Schwall von Verwünschungen von sich.
Nach einem arbeitsamen Tag fanden die Tigerkatze und Tucker, es stehe ihnen zu, an der Waschbärjagd teilzunehmen. Beide waren stinksauer, als Harry sie im Haus einschloss, das Tiertürchen absperrte und dann in ihrem blauen 1978er Ford-Transporter davonfuhr.
»Dafür wirst du büßen!«, drohte Murphy, während die roten Rücklichter in die Abenddämmerung entschwanden.
»Halt die Klappe.« Pewter wälzte sich herum.
»Du hast den ganzen Tag geschlafen. Sag bloß nicht, du bist müde.«
»Ich hab nicht den ganzen Tag geschlafen. Der widerliche Blauhäher hat sich auf die Fensterbank gehockt. Er hat mich eine fette graue Sau geschimpft, eine Seekuh, ein doofes Dickfell. Den bring ich um!«