Mrs. Murphy ging von der Tür weg, sprang auf die Küchenanrichte, trottete zum Fenster über dem Spülbecken.
»Ich kann 's nicht glauben, dass sie mich allein gelassen hat! Wir haben heute gearbeitet. Wir haben 'ne Party verdient.«
»Wir waren zu Tante Tallys Teeparty eingeladen. Freilich, die ist nicht so gut gelaufen, was?«, fügte Tucker nachdenklich hinzu.
»Darum geht's nicht.« Mrs. Murphy schlug an die Fensterscheibe.
Pewter sprang auch auf die Anrichte. Sie ging zielstrebig zu dem großen Napf mit Katzenkeksen, steckte den Kopf hinein und schmatzte drauflos.
»Geräuschvolle Esserin.« Tucker kicherte.
»Schwanzloses Wunder.« Pewter warf ein Bröckchen für den Hund auf den Boden.»Ich hab für einen Tag genug Beleidigungen erlitten. «
»Blöde Zeit zum Waschbären jagen.« Murphy hoffte einen Weg zu finden, ihren Verlust kleiner zu machen. Sie liebte jede Art von Jägerei, und wenn sie nur von der Ladefläche des Transporters aus zusah. Schließlich war sie die beste Jägerin von Mittelvirginia, vielleicht sogar von ganz Virginia.
So verstimmt sie auch war, sie hätte froh sein sollen, dass sie zu Hause gelassen worden war.
Die durchweichte Erde zog den Jägern glatt die Stiefel von den Füßen. Die Büsche und Äste, schwer von Tropfen, durchnässten jeden, der daran vorbeistreifte. Der Durant Creek, ein Nebenfluss vom Beaver Creek, dröhnte wie ein Diesel-Müllauto unter Vollgas.
Harry, durch das Leben im Freien abgehärtet, machte der Matsch nicht viel aus. BoomBoom war eine erstaunlich gute Kumpanin. Thomas in seinem teuren Outfit von Holland and Holland hielt sich tapfer. Diego trug, was Harry ihm gesagt hatte. Nach dem Besuch bei dem ehemaligen Gesandten Großbritanniens hatte er ein Paar Arbeitsstiefel der Marke Red Wing gekauft und seine Aufmachung mit einer alten Jeans und einem Leinenhemd vervollständigt. Thomas fand Diegos Stiefel zu bäuerlich, nicht englisch genug. Das bedauerte er jetzt jedoch, als er versuchte, in seinen grünen Gummistiefeln mitzuhalten, herrlichen Hochschaftstiefeln, für die Feldarbeit geeignet, aber nicht, um hinter Jagdhunden herzulaufen. Thomas strengte sich mächtig an, um dran zu bleiben, seine Taschenlampe zuckte hin und her, während er sich abmühte. Boom blieb mit ihm zurück, ein Opfer für sie, da sie liebend gern vorne war.
Jacks Jagdhunde trieben in rascher Folge zwei Waschbären in die Enge. Jack rief die Hunde zurück, ging etwa vierhundert Meter weiter und ließ sie wieder arbeiten. Joyce, seine Frau, kam mit.
Fair schätzte gute Hundearbeit und sah erfreut die glänzenden Felle der Jagdhunde. Er wäre gern hinter Harry und Diego geblieben, zwang sich jedoch, ihnen voraus zu gehen.
Jim Sanburne bildete mit Don Clatterbuck die Nachhut; die zwei Männer bewegten sich in gemächlichem Tempo und lauschten freudig der »Musik«.
Harry hielt die Taschenlampe, während sie und Diego hinter Fair her gingen.
»Sie haben wieder einen. Haben ihn am Bach aufgespürt«, sagte Harry, aber die Worte waren kaum aus ihrem Mund, als ein Grollen von oben sie überraschte.
Tief jagende Wolken kündeten das nächste Unwetter an. Harry fühlte, dass es kühler wurde, achtete aber nicht weiter darauf. Der bewölkte Himmel hielt die Witterung am Boden; die sinkende Temperatur, jetzt um die neun Grad, würde wohl zum plötzlichen Ende einer herrlichen Jagdnacht führen.
Ein Blitz über dem Bach ließ alle wie angewurzelt stehen bleiben.
»Leute, ich muss abbrechen. Wir können nicht hier draußen bleiben.« Jack setzte das gewaltige Kuhhorn seines Großvaters an die Lippen und sammelte seine Hunde.
Joyce sah zum Himmel hoch. »Ich hoffe bloß, das wird nicht wie gestern Abend.«
Während die Leute umkehrten und zu ihren Autos gingen, kam der Donner näher, und vereinzelte Regentropfen platschten herab.
Impulsiv nahm Diego Harrys Hand, zog sie an sich und küsste sie. Sie erwiderte seinen Kuss, dann rissen sie sich los und rannten lachend zu den Autos.
Etwas Glitzerndes fiel Harry ins Auge. »Halt.«
Der Regen fiel jetzt gleichmäßiger, aber sie wandte sich abseits des Weges nach links. Diego folgte ihr. Sie kniete sich hin, hob den Mercedesstern und eine zerrissene Kette auf.
»Der Radkappendieb.«
»Merkwürdig.« Diego betrachtete den Gegenstand.
»Er hat ihn am Hals getragen.« Ein markerschütternder Donnerschlag veranlasste sie, schleunigst zum Transporter zurückzukehren. Im Laufen steckte Harry den Mercedesstern in ihre Tasche. Bis sie und Diego ihren sicheren Hafen erreicht hatten, waren sie durchnässt und schauderten.
Sie hatten am Ende eines Kiesweges nordöstlich von Crozet geparkt, an der Grenze zwischen den Farmen von Booty Mawyer und Marcus Durant. Durant, der dieses Wochenende nicht in der Stadt war, war ein leidenschaftlicher Waschbär-, Fuchs- und Kaninchenjäger. Er machte auf so gut wie alles Jagd. Er hatte eine sechs mal fünf Meter große Hütte gebaut mit einem Blechdach, einem Holzofen und zwei Doppelstockbetten an den Wänden. Da konnte er sich schlafen legen, wenn seine Hunde bis spät in die Nacht herumliefen. Da er ein großzügiger Mensch war, überließ er die Hütte seinen Freunden, solange sie alles wieder aufräumten.
Mit trockenem Holz, das draußen unter einem schützenden Vorsprung gestapelt war, machte Fair Feuer. Bald war der kleinen Gruppe warm geworden, sie ließen einen Krug herumgehen und erzählten sich Geschichten, wie es von alters her bei den Nachtjägern Brauch war.
Thomas und BoomBoom saßen nebeneinander auf der Kante eines Doppelstockbetts, ebenso Jack und Joyce. Die anderen saßen auf umgedrehten Milchkisten und Holzstühlen vor dem Ofen.
Jim lehnte sich zurück, stellte seine kalten, nassen Füße an den Ofen. Alle hatten Schuhe, Stiefel, Socken ausgezogen und hofften, dass sie trocken sein würden, bevor sie sie wieder anziehen mussten.
»Hab ich euch schon mal erzählt, wie ich das erste Mal mit Mim auf Waschbärjagd war?« Jim ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. »Vermutlich nicht. Also, ich war heil aus Korea zurück, und ich war noch keine drei Tage zu Hause, da sah ich Mim im Gespräch mit Tante Tally aus der Crozet National Bank kommen. Ich hab meinen Wagen angehalten, bin rausgesprungen, hab vor den Damen den Hut gezogen und Mim auf der Stelle gefragt, ob sie mit mir ausgeht. Hatte gehört, dass ihre Familie die Romanze mit einem anderen unterbunden hat, weil er nicht vornehm genug war. Hey, der war tauglicher als ich, aber wer nicht wagt, gewinnt nicht, und zum Teufel mit der Tauglichkeit. Tante Tally hat mich gemustert, als wär ich ein Pferd, das man kaufen konnte. Also, Mim hat ja gesagt. Da fragt Tally, >wo wollen Sie mit ihr hingehen?<
>Waschbärjagd<, sag ich. >Ah, verstehe, das jagen Sie, junger Mann.<« Lachend imitierte er Tallys Stimme. »War 'ne schöne Nacht. Frisch, man konnte die sich färbenden Blätter riechen. Marcus' Vater Lucius hatte ein gutes Rudel Jagdhunde, ließ sie los. War das eine Jagd!
Mim war 'ne flotte kleine Biene. Sie hat wacker mitgehalten, und auf einmal hörten wir's schreien und fluchen. Allmächtiger. Die Hunde rannten auf Arnold Berryman los, der Ellie McIntire schützte. Hat die gekreischt. Er hielt seinen Mantel über sie. Hat den Hunden eine Heidenangst eingejagt. Ich dachte, das wär meine letzte Verabredung mit Mim gewesen.
Sie hat sich so amüsiert, dass sie fragte, wann wir es wieder tun könnten.« Er schlug sich auf die Schenkel und lachte, die anderen lachten mit ihm.
»Ellie McIntire.« BoomBoom schüttelte den Kopf, sie erinnerte sich an die unverheiratete Bibliothekarin, die ihre Herzen mit Schrecken erfüllt hatte, als sie Kinder waren.
»Danke«, sagte Thomas, als er den Krug von Fair entgegennahm. Nach einem tiefen Schluck reichte er ihn Boom-Boom.