»Thomas, wie finden Sie unser Wasser vom Land?«, fragte Jack, der nicht mittrank.
»Stark und süffig«, erwiderte der ältere Mann.
»Thomas, erzähl ihnen, wie dein Großvater das Telefon nach Montevideo gebracht hat.« BoomBoom schob ihren Arm durch seinen und lehnte sich an ihn.
»Oh ...«
»Erzählen Sie«, fielen die anderen ein.
»Mein Großvater hat das Telefon in London gesehen. Er war vor dem Ersten Weltkrieg dort unser Botschafter. Er gründete eine Gesellschaft und rief den ersten Fernsprechdienst in unserem Land ins Leben. Später hat mein Vater es sich nicht nehmen lassen, den ersten Fernsehsender zu gründen. Ich weiß noch, dass ich als Junge sehr enttäuscht war, als ich entdeckte, dass Jojo, der Clown aus der Kindersendung, deutlichen Gingeruch verströmte.« Alle lachten.
»Erzähl ihnen, was du getan hast.«
»Meine Liebe«, zierte er sich.
»Thomas hat in ihrer Kommunikationsgesellschaft die Sattelitentechnik eingeführt.«
»BoomBoom, das war die logische Weiterentwicklung. Es bedurfte nicht der Intelligenz oder der Courage von Großvater oder Vater. Oder der Entschlossenheit meiner Mutter, die den Fernsehbetrieb übernahm. Sie tritt wegen Herzproblemen jetzt ein bisschen kürzer, aber sie ist wirklich klüger als ich.«
»Die Steinmetz' sind fix im Erkennen von Zukunft und Profit«, bemerkte Diego anerkennend. »Die Aybars sind Viehtreiber statt Satellitenbetreiber.« Er lachte.
»Sich mit Rindviehchern abgeben ist nie verkehrt«, sagte Jim. »Kommen Sie sich mal meine Herefords angucken.«
»Geht man unten bei Ihnen jagen?«, fragte Jack höflich.
»Ja, und angeln. Wenn Sie Hochseeangeln mögen, müssen Sie zu uns kommen«, sagte Thomas mit einer Spur Stolz in der Stimme.
»Hört sich an wie Maschinengewehrfeuer.« Joyce sah zu dem Blechdach hoch, da der Regen heftiger wurde.
Die vier Jagdhunde fanden das auch und rückten näher zu ihren Menschen.
»Ich würde gerne mal runter kommen zum Angeln.« Jim lächelte Thomas an. »Mim und ich waren nie in Uruguay. Gibt es was, das wir mitbringen können . Jeans vielleicht? Wer Russland besucht, bringt Jeans mit. War zumindest in den Siebzigern so. Für Jeans aus den Vereinigten Staaten haben die Leute 'nen Haufen Geld bezahlt.«
»Nichts mitbringen«, erwiderte Thomas. »Wir kümmern uns um alles.«
»Manche Sachen kosten dreimal so viel und manche sind unglaublich billig«, fügte Diego hinzu. »Wir haben keine Hunde für die Fuchs- oder Waschbärjagd. Die würden einen hohen Preis erzielen.«
»Das sind meine Babys.« Joyce lachte.
»Hier, den hätte ich fast vergessen.« Harry zog den Mercedesstern hervor.
BoomBoom lachte. »Wo ist der Wagen?«
»Das ist das einzige Teil, das ich mir leisten konnte.« Harry lachte auch. »Nein, ich hab ihn ein Stück weiter hinten auf dem Weg gefunden. Als Tracy Wesley Partlow während Mims Party ins Haus brachte, trug er so einen Stern am Hals.«
»Hat jemand einen als vermisst gemeldet?«, lautete Fairs logische Frage.
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete Jim, »aber viele von unseren Gästen waren ihrer Sinne nicht mehr mächtig.«
Alle lachten.
»Es kann auf zweihundertneunzig Dollar kommen, den Stern zu ersetzen«, sagte Thomas. »Behalten Sie ihn.« Er machte eine kurze Pause. »Ich musste einmal einen ersetzen.«
Harry kam nicht vor ein Uhr morgens nach Hause. Sie ging sofort ins Bett und übersah das zerfetzte Petit-pointKissen im Wohnzimmer. Schönen Gruß von Mrs. Murphy.
18
Eine Gewitterserie krachte vierundzwanzig Stunden lang durch Crozet. Zwischendurch war es ein paar Minuten still, und ab und zu hellte sich der Himmel auf, aber binnen einer halben Stunde verfinsterte er sich wieder, Regen fiel, und tiefes Donnergrollen hallte durch Berg und Tal.
Harry sortierte inmitten von Donnerschlägen die Post. Tucker hatte sich unter dem kleinen Tisch im hinteren Bereich des Postamts verkrochen. Mrs. Murphy saß auf der Trennklappe zwischen Publikums- und Arbeitsbereich. Der breite, glatte alte hölzerne Schalter, der sich an einer Stelle hochklappen ließ, hatte Generationen von Crozetern ihre Post holen gesehen.
Die Eisenbahn, gebaut von Claudius Crozet, dem genialen Ingenieur der Neuen Welt, brachte Post und Nachrichten schneller in den nach ihm benannten Ort. Die Bewohner warteten nicht mehr auf die Postkutsche. Sie konnten am Bahnhof stehen und zusehen, wie die Postsäcke vom Zug geworfen wurden. Die Post aus Crozet wurde an eine Art Galgen gehängt, so dass der Sack vom fahrenden Zug aus geschnappt werden konnte. Die Züge hatten als Postämter eingerichtete Waggons, und oft war Geld in so einem Postwagen, weshalb die Postangestellten vorsichtshalber eine Pistole bei sich trugen.
Die Stadt hatte ihr jetziges Postamt an der Wende des neunzehnten Jahrhunderts gebaut und eine einzige Änderung vorgenommen, um mehr Parkplätze zu schaffen, da Autos mehr Raum brauchen als Pferde. In dem hübschen Gebäude waren in hundert Jahren dreimal neue Leitungen verlegt worden, das letzte Mal 1998. So klein die Poststelle auch war, sie war mit dem nationalen Postcomputersystem vernetzt. Miranda weigerte sich, mit dem Rechner zu arbeiten. Die viel jüngere Harry beherrschte es im Nu. Sie war klug genug, Miranda nicht einzuweisen. Sie wartete, bis Miranda sie darum bitten würde - was sie letztendlich auch tat.
So verlockend die Verheißungen der Technik sein mögen, oft zieht sie nur neue Probleme nach sich. Die Postcomputer husteten, spuckten und lagen oft mit Virusinfektionen danieder. Wohl konnten sie Päckchen wiegen, blitzschnell Portokosten für In- und Ausland berechnen, doch jeder, der mit einer Waage umzugehen verstand, einem tausende Jahre alten Instrument, konnte dieselbe Information in ungefähr derselben Zeit liefern. Und so großartig der flimmernde Bildschirm sein mochte, Briefe mussten zuweilen immer noch von Hand entwertet werden, Gebührenvermerke erforderten Menschenhände, und das Sortieren der Post, sobald sie in den Postämtern eingetroffen war, erfolgte wie eh und je - Brief für Brief.
Kurzum, die Arbeitsweise der Postangestellten hatte sich im Laufe des letzten Jahrhunderts kaum gewandelt. Und auch die Ankunft des einundzwanzigsten Jahrhunderts hatte an dieser Arbeit nichts geändert.
Harry hatte einen Computer, mit dem sie E-mails verschickte oder sich gelegentlich im Internet einloggte, um etwas nachzusehen. Sie hatte einmal einen Abend damit verbracht, sich im Internet über Hereford-Rinder zu informieren. Dann war sie zur Angus-Seite gewechselt und hatte die Einträge verglichen. Doch meistens fand sie, dass die Revolution im Informationswesen mehr Rausch als Realität war.
Und nichts konnte einen Liebesbrief ersetzen. Die Sinnlichkeit des Papiers, seine Farbe, die Tinte, der Inhalt, das Vertrauliche waren unantastbar und einmalig.
Während Harry an diesem Montag die Post sortierte, dachte sie daran, Diego einen Brief zu schreiben. Vielleicht würde sie den Kuss im Regen erwähnen oder wie herrlich es gewesen war, an einem kühlen Frühlingsabend mit ihm zu tanzen. Sie konnte aber auch über die Heuernte schreiben. Sie summte vor sich hin, als Miranda das gestreifte Geschirrtuch von den Zimtteilchen mit Orangenglasur zog, die sie mit zur Arbeit gebracht hatte. Der Duft von Mirandas bester Kreation vermischte sich mit dem des Kaffees, der im Hinterzimmer gebrüht wurde.
»Das kommt vom Himmel.«
Miranda sah auf die alte Bahnhofsuhr an der Wand. »Vom Himmel, morgens um halb acht.« Ein Donnerschlag brachte sie zum Lachen. »Ich kann mich nicht erinnern, schon mal so viele Gewitter erlebt zu haben. Eins nach dem anderen. Ich komme gleich rüber und helfe Ihnen. Oh, Tee?«
»Ja, danke. Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Ist nicht so viel Post heute, was mich wundert. Genießen Sie die Flaute. Die Sommerurlaubspostkarten werden früh genug hereinflattern. Vorher kommen noch die Einladungen zu den Schulabschlussfeiern. Das nimmt nie ein Ende.« Sie sortierte Postkarten, als würde sie Spielkarten austeilen.